Molekülfilm mit Elektronen in der Hauptrolle
Röntgen-Spektroskopie zeigt Veränderungen der Elektronenstruktur über gesamte Photoreaktion.
Kohlenstoff-Ringe gehören nicht nur zu den fundamentalen Bausteinen der organischen Chemie. Sie sind zunehmend auch für molekulare Maschinen und Sensoren von Interesse. Ein in dieser Hinsicht besonders wichtiges und häufig untersuchtes System ist 1,3-Cyclohexadien. Es spielt sowohl bei der Synthese von Vitamin D in der Haut eine Rolle als auch als optischer Schalter in optoelektronischen Anwendungen oder als Nanomotor. Dies liegt an seiner Fähigkeit, nach Anregung durch UV-Strahlung seine Anordnung zu ändern. Bei einer solchen Isomerisierung können mehrere unterschiedlich geformte Produkte der Photoreaktion entstehen, die einen geöffneten Ring besitzen.
Abb.: Die Potenzialenergie zeigt auf dem Reaktionspfad der Ringöffnung verschiedene Minima, die zu unterschiedlichen Produkten führen. Rechts unten drei konformale Isomere. (Bild: A. R. Attar et al.)
Einer Forschergruppe um Stephen Leone von der Universität Berkeley ist es nun gelungen, diese technisch wie biochemisch bedeutsame Reaktion quasi im Daumenkino festzuhalten. Mit Hilfe einer neu entwickelten Pump-Probe-Technik konnten die Wissenschaftler die zeitliche Entwicklung der gesamten Reaktion festhalten und hierbei insbesondere die elektronischen Zustände identifizieren. Bemerkenswert an diesen Messungen auf sehr kurzen Zeitskalen ist auch, dass sie an einem eigens entwickelten Laboraufbau stattfanden, während sie sonst eher Großforschungsanlagen wie Zyklotrons oder Freie-Elektronen-Lasern vorbehalten sind. Die gesamte Reaktion findet innerhalb einiger Dutzend Femtosekunden statt.
Vor gut zwei Jahren hatte bereits eine andere Forschergruppe die Strukur von Cyclohexadien mit Hilfe von Röntgenstrahlen untersucht. Michael Minitti und Kollegen vom SLAC National Laboratory in Kalifornien nutzten hierzu harte Röntgenstrahlung. Damit konnten sie bereits die Zwischenschritte bei dieser Photoreaktion nachvollziehen. Allerdings konnten die Forscher seinerzeit nicht die Struktur der Elektronenzustände, sondern nur die Positionen der Atomkerne per Röntgen-Diffraktometrie nachweisen. Die neuen Messungen von Leone und Kollegen liefern nun den Rest des Bildes.
Als Strahlquelle nutzten die Wissenschaftler aus Berkeley einen Laser mit einer Wellenlänge von 800 Nanometern und einer Leistung von 12 Millijoule, den sie in zwei Strahlen aufteilten. Dabei gingen neunzig Prozent der Energie in den Probe-Puls, der Rest in den Pump-Puls. Letzteren brachten die Forscher mit Hilfe eines eigens konstruierten Hohen-Harmonischen-Generators auf 266 Nanometer Wellenlänge, bevor sie ihn in die Gaszelle mit Cyclohexadien leiteten.
Den Probe-Puls erzeugten die Forscher aus dem 800-Nanometer-Strahl, indem sie ihn zunächst über einen parametrischen Verstärker ins Infrarote bei 1320 Nanometern konvertierten und anschließend in eine Helium-Zelle schickten. Dabei entstand durch die Erzeugung hoher Harmonischer ein breitbandiges Spektrum weicher Röntgenstrahlung von 160 bis 310 Elektronenvolt. Filter entfernten die Reste an infraroter Strahlung im Puls. Durch Variation der Dauer zwischen Pump- und Probe-Puls und aufwändige Dichtefunktional-Rechnungen gelang es den Forschern dann, die Ringöffnungsreaktion mit hoher Präzision nachzuvollziehen.
Nach der Anregung des 1A-Grundzustandes ging das Cyclohexadien – wie in der Abbildung zu sehen – zunächst in den angeregten 1B-Zustand über. Dabei übertrug sich die von den Elektronen aufgenommene Anregungsenergie der Pi-Bindungen in kinetische Energie der Atomkerne. In diesem molekularen Film lässt sich also experimentell nachvollziehen, wie das Wechselspiel von elektronischer Struktur und Anordnung der Atomkerne im Molekül vonstatten geht. Der Zwischenzustand fiel dann über den 2A-Zwischenzustand wieder in den Grundzustand zurück, wobei nun aufgrund der verschiedenen lokalen Minima der Potenzialenergie verschiedene Isomere als Endprodukt vorliegen konnten. Die Forscher konnten auch die Prozentrate an Cyclohexadien-Molekülen abschätzen, die durch den Pump-Puls angeregt wurden. Anhand des Absorptions-Wirkungsquerschnitts bestimmten sie diesen Wert zu rund 13 Prozent.
Von Interesse bei solchen Analysen ist außerdem das Verhältnis von Molekülen, deren Ring am Ende der Reaktion offen ist, und solchen, die wieder in den geschlossenen Zustand zurückfallen. Wie anhand der Abbildung zu vermuten ist, befindet sich der energetisch tiefste Punkt im Zustand 2A ein kleines Stück rechts des Maximums des 1A-Zustands. Laut den Berechnungen der Forscher, die ein nichtadiabatisches moleküldynamisches Modell verwendeten, sollte das Verhältnis von Reaktionsprodukten mit offenem Ring zu solchen mit geschlossenem Ring dementsprechend bei 64 zu 36 liegen. Die Messungen konnten diesen Wert allerdings nicht exakt reproduzieren, wiesen aber auf ein Verhältnis von mindestens 60 zu 40 hin. Vermutlich werden erst Messungen bei höheren Röntgenenergien Aufschluss darüber geben können, ob Theorie und Experiment hier zusammen passen.
Für die Zukunft gehen die Forscher davon aus, dass sich immer mehr Arbeitsgruppen die neuartigen Röntgen-Generatoren und entsprechende Röntgenspektrometer zunutze machen werden, die auf der Erzeugung hoher Harmonischer beruhen und dadurch auch in kleinen Laboren Analysen möglich machen, die bislang großen Forschungseinrichtungen vorbehalten waren. Dies könnte nicht nur die Erforschung fundamentaler physikalisch-chemischer Fragen voranbringen, sondern ließe sich auch auf molekulare Maschinen und Sensoren anwenden.
Dirk Eidemüller
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