07.04.2017

Molekülfilm mit Elektronen in der Hauptrolle

Röntgen-Spektroskopie zeigt Veränderungen der Elektronenstruktur über gesamte Photoreaktion.

Kohlen­stoff-Ringe gehören nicht nur zu den funda­mentalen Bausteinen der organischen Chemie. Sie sind zunehmend auch für molekulare Maschinen und Sensoren von Interesse. Ein in dieser Hinsicht besonders wichtiges und häufig untersuchtes System ist 1,3-Cyclo­hexadien. Es spielt sowohl bei der Synthese von Vitamin D in der Haut eine Rolle als auch als optischer Schalter in opto­elek­tronischen Anwendungen oder als Nano­motor. Dies liegt an seiner Fähigkeit, nach Anregung durch UV-Strahlung seine Anordnung zu ändern. Bei einer solchen Isomeri­sierung können mehrere unter­schiedlich geformte Produkte der Photo­reaktion entstehen, die einen geöffneten Ring besitzen.

Abb.: Die Potenzialenergie zeigt auf dem Reaktionspfad der Ringöffnung verschiedene Minima, die zu unterschiedlichen Produkten führen. Rechts unten drei konformale Isomere. (Bild: A. R. Attar et al.)

Einer Forscher­gruppe um Stephen Leone von der Univer­sität Berkeley ist es nun gelungen, diese technisch wie bio­chemisch bedeut­same Reaktion quasi im Daumen­kino festzuhalten. Mit Hilfe einer neu entwickelten Pump-Probe-Technik konnten die Wissen­schaftler die zeitliche Entwicklung der gesamten Reaktion festhalten und hierbei ins­besondere die elek­tronischen Zustände identi­fizieren. Bemerkens­wert an diesen Messungen auf sehr kurzen Zeitskalen ist auch, dass sie an einem eigens ent­wickelten Labor­aufbau stattfanden, während sie sonst eher Großforschungs­anlagen wie Zyklotrons oder Freie-Elek­tronen-Lasern vorbehalten sind. Die gesamte Reaktion findet innerhalb einiger Dutzend Femto­sekunden statt.

Vor gut zwei Jahren hatte bereits eine andere Forscher­gruppe die Strukur von Cyclo­hexadien mit Hilfe von Röntgen­strahlen untersucht. Michael Minitti und Kollegen vom SLAC National Laboratory in Kali­fornien nutzten hierzu harte Röntgen­strahlung. Damit konnten sie bereits die Zwischen­schritte bei dieser Photo­reaktion nachvollziehen. Allerdings konnten die Forscher seinerzeit nicht die Struktur der Elektronen­zustände, sondern nur die Positionen der Atomkerne per Röntgen-Diffrak­tometrie nachweisen. Die neuen Messungen von Leone und Kollegen liefern nun den Rest des Bildes.

Als Strahl­quelle nutzten die Wissen­schaftler aus Berkeley einen Laser mit einer Wellen­länge von 800 Nano­metern und einer Leistung von 12 Milli­joule, den sie in zwei Strahlen aufteilten. Dabei gingen neunzig Prozent der Energie in den Probe-Puls, der Rest in den Pump-Puls. Letzteren brachten die Forscher mit Hilfe eines eigens konstruier­ten Hohen-Harmo­nischen-Generators auf 266 Nanometer Wellen­länge, bevor sie ihn in die Gaszelle mit Cyclo­hexadien leiteten.

Den Probe-Puls erzeugten die Forscher aus dem 800-Nano­meter-Strahl, indem sie ihn zunächst über einen para­metrischen Verstärker ins Infrarote bei 1320 Nano­metern konver­tierten und anschließend in eine Helium-Zelle schickten. Dabei entstand durch die Erzeugung hoher Harmonischer ein breit­bandiges Spektrum weicher Röntgen­strahlung von 160 bis 310 Elektronen­volt. Filter entfernten die Reste an infra­roter Strahlung im Puls. Durch Variation der Dauer zwischen Pump- und Probe-Puls und aufwän­dige Dichte­funktional-Rechnungen gelang es den Forschern dann, die Ringöffnungs­reaktion mit hoher Präzision nachzu­vollziehen.

Nach der Anregung des 1A-Grund­zustandes ging das Cyclo­hexadien – wie in der Abbildung zu sehen – zunächst in den angeregten 1B-Zustand über. Dabei übertrug sich die von den Elektronen aufge­nommene Anregungs­energie der Pi-Bindungen in kine­tische Energie der Atomkerne. In diesem mole­kularen Film lässt sich also experi­mentell nachvollziehen, wie das Wechselspiel von elek­tronischer Struktur und Anordnung der Atomkerne im Molekül vonstatten geht. Der Zwischenzustand fiel dann über den 2A-Zwischen­zustand wieder in den Grund­zustand zurück, wobei nun aufgrund der ver­schiedenen lokalen Minima der Potenzial­energie verschiedene Isomere als Endprodukt vorliegen konnten. Die Forscher konnten auch die Prozent­rate an Cyclo­hexadien-Molekülen abschätzen, die durch den Pump-Puls angeregt wurden. Anhand des Absorptions-Wirkungs­querschnitts bestimmten sie diesen Wert zu rund 13 Prozent.

Von Interesse bei solchen Analysen ist außerdem das Verhältnis von Molekülen, deren Ring am Ende der Reaktion offen ist, und solchen, die wieder in den geschlos­senen Zustand zurück­fallen. Wie anhand der Abbildung zu vermuten ist, befindet sich der ener­getisch tiefste Punkt im Zustand 2A ein kleines Stück rechts des Maximums des 1A-Zustands. Laut den Berechnungen der Forscher, die ein nicht­adiabatisches molekül­dynamisches Modell verwendeten, sollte das Verhältnis von Reaktions­produkten mit offenem Ring zu solchen mit geschlos­senem Ring dementsprechend bei 64 zu 36 liegen. Die Messungen konnten diesen Wert aller­dings nicht exakt repro­duzieren, wiesen aber auf ein Verhältnis von mindestens 60 zu 40 hin. Vermutlich werden erst Messungen bei höheren Röntgen­energien Aufschluss darüber geben können, ob Theorie und Experiment hier zusammen passen.

Für die Zukunft gehen die Forscher davon aus, dass sich immer mehr Arbeits­gruppen die neu­artigen Röntgen-Genera­toren und entsprechende Röntgen­spektrometer zunutze machen werden, die auf der Erzeugung hoher Harmo­nischer beruhen und dadurch auch in kleinen Laboren Analysen möglich machen, die bislang großen Forschungs­einrichtungen vorbe­halten waren. Dies könnte nicht nur die Er­forschung funda­mentaler physi­kalisch-chemischer Fragen voran­bringen, sondern ließe sich auch auf mole­kulare Maschinen und Sensoren anwenden.

Dirk Eidemüller

JOL

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