24.08.2011

Molekülorbitale sichtbar gemacht

Ein Rastertunnelmikroskop mit einer besonderen Spitze erzeugt einzigartige Bilder organische Moleküle.

Die Möglichkeiten des Rastertunnelmikroskops (RTM) sind auch dreißig Jahre nach seiner Erfindung noch lange nicht ausgeschöpft. Bei IBM in Rüschlikon, der Geburtsstätte des RTM, haben Forscher jetzt mit einer modifizierten Mikroskopspitze detaillierte Bilder von Molekülorbitalen aufgenommen. Dabei konnten sie erstmals die Knotenebenen der Orbitale direkt sichtbar machen, in denen die Elektronendichte verschwindet.

Abb.: Molekülorbital von Naphthalozyanin, aufgenommen mit Cu-Spitze (a) und mit CO-dekorierter Spitze (b), wobei die Knotenebenen sichtbar werden. (Bild: L. Gross et al. / PRL)

Das Rastertunnelmikroskop, mit dem Leo Gross und seine Kollegen einzelne organische Moleküle untersucht haben, unterscheidet sich in zwei Punkten von einem herkömmlichen RTM. Zum einen liegen die Moleküle nicht wie üblich direkt auf einer Kupferoberfläche sondern auf einer Pufferschicht aus zwei Monolagen Natriumchlorid. Sie entzieht die Molekülorbitale dem verfälschenden Einfluss des Kupfersubstrats. Zum anderen sitzt an der Kupferspitze des neuen RTM ein Kohlenmonoxidmolekül, das die Forscher mit der zunächst sauberen Kupferspitze von einer CO-bedeckten Unterlage aufgenommen haben.

Während eine saubere Kupferspitze eine kugelsymmetrische Elektronenverteilung in Form einer s-Wellenfunktion hat, weist die mit Kohlenmonoxid dekorierte Spitze an ihrem durch das O-Atom gebildeten freien Ende eine p-Wellenfunktion auf: Das Orbital des O-Atoms hat die Form einer Hantel, deren keulenförmigen Enden unterschiedliches Vorzeichen haben, sodass zwischen ihnen die Elektronendichte verschwindet. Diese komplexere Elektronenverteilung an der Spitze ermöglicht es, die Orbitalstruktur von Molekülen genauer auszuloten.

Die Forscher untersuchten mit der dekorierten RTM-Spitze einzelne Naphthalozyanin- und Pentazenmoleküle, die eine komplexe Orbitalstruktur haben, die sich jedoch noch mit ausreichender Genauigkeit berechnen lässt. Dabei konnten sowohl die höchsten besetzten Molekülorbitale (HOMO) als auch die tiefsten unbesetzten (LUMO) dadurch sichtbar gemacht werden, dass zwischen Spitze und Kupferoberfläche eine negative bzw. positive Spannung angelegt wurde. Aus der Änderung der Stromstärke bei geringfügiger Variation der Spannung ließen sich dann Rückschlüsse auf die lokale Struktur der Molekülorbitale ziehen.

Die Orbitale an der Oberseite der organischen Moleküle hatten die Form von Keulen mit wechselnden Vorzeichen. Der Stromfluss durch die Spitze hing nun empfindlich davon ab, wie deren hantelfömiges Orbital über den keulenfömigen Molekülorbitalen positioniert wurde. War die Hantel genau über einer Keule, so floss kein Strom, da die entgegengesetzten Vorzeichen im hantelförmigen Orbital zu destruktiver Interferenz führten. Dasselbe war der Fall, wenn sich die Hantel genau über zwei positiven oder zwei negativen Orbitalkeulen positioniert wurde. Hingegen floss ein Strom, wenn sich die Hantel über zwei Orbitalkeulen mit entgegen gesetztem Vorzeichen befand, da es dann zu konstruktiver Interferenz kam.

Auf diese Weise konnten die Forscher nicht nur die keulenförmigen Molekülorbitale sichtbar machen, sondern auch die Orte bestimmen, an denen wegen eines Vorzeichenwechsels der Orbitalkeulen die Elektronendichte verschwinden musste. Diese Knotenflächen der Orbitale konnten mit undekorierten RTM-Spitzen bisher nicht aufgelöst werden. Doch mit dem neuen RTM ließ sich sogar erkennen, wenn sich zwei Knotenflächen schnitten.

Ein Vergleich der von den Molekülorbitalen aufgenommenen Bilder mit Berechnungen zeigte insgesamt sehr gute Übereinstimmung. Nur an den Rändern der Moleküle wichen die gemessenen und die berechneten Orbitale voneinander ab. Nahezu perfekte Übereinstimmung ergab sich jedoch, wenn bei den Berechnungen den Orbitalen s-Wellen der undekorierten Spitze hinzugefügt wurden. Da der Stromfluss durch die dekorierte Spitze empfindlich auf das Vorzeichen oder die Phase der Molekülorbitale reagiert, könnte man möglicherweise mit dem neuen RTM auch zwischen bindenden und antibindenden Molekülorbitalen unterscheiden, bei denen diese Phase eine Rolle spielt. Damit ließen sich auch molekulare Schalter genauer studieren.

Rainer Scharf

OD

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