06.10.2016

Molekülschwingungen im Daumenkino

Zwei Forschergruppen gelingt die Aufnahme molekularer Schwingungen mit Röntgen- und Elektronenpulsen.

Nicht nur Chemiker träumen davon, Schwingungen und Reaktionen von Molekülen wie in einem Film aufzunehmen. Auch für viele biologische Prozesse – insbesondere für photo­induzierte Reaktionen – würde dies ein ganz neues Verständnis ermöglichen. Zwar gibt es bereits einige Methoden, die solche Filme liefern können. Sie basieren jedoch meist auf indirekten Messungen des Zustandes, etwa aus Bestimmungen des Absorptions­spektrums. Will man aus solchen „femto­chemischen” Messungen die Dynamik des Moleküls berechnen, so benötigt man ein gutes Vorver­ständnis der Potenzial­oberfläche der elek­tronischen Zustände in Abhängigkeit von der Form des Moleküls, was natürlich die Zahl der zu unter­suchenden molekularen Reaktionen begrenzt.

Abb.: Mit ultrakurzen Röntgenpulsen oder relativistischen Elektronenstrahlen lassen sich die Bewegungen von Jodmolekülen anhand der Interferenz von Grund- und angeregtem Zustand aufzeichnen. (Bild: APS / M. J. J. Vrakking)

Zwei Forscher­gruppen aus unterschied­lichen Instituten, die beide die Ein­richtungen des Stanford Linear Accelerator Centers SLAC nutzen, konnten nun neue Verfahren präsentieren, die eine direkte Abbildung der zeitlichen Entwicklung von Molekül­schwingungen ermöglichen. Beide Teams arbeiteten mit einem gut verstandenen und einfachen Testsystem, dem zwei­atomigen Jodmolekül I2. Sie verwendeten eine Pump-Probe-Technik, bei der zunächst ein optischer Lichtpuls auf dünnes Jodgas trifft und einen Teil der Moleküle vom Grund- in einen angeregten Zustand pumpt. Dies bringt das Molekül zum Schwingen, wobei die Schwingungsdauer bei rund 400 Femto­sekunden liegt. Dann schickten beide Forscher­teams den Probe-Strahl auf die Moleküle. Indem sie den zeitlichen Versatz zwischen Pump- und Probe-Strahl variierten, konnten sie die zeitliche Dynamik des Systems bestimmen.

James M. Glownia und seine Kollegen vom kalifornischen SLAC National Acce­lerator Labo­ratory nutzten für ihre Experimente Röntgen­pulse von der 2009 eröffneten Linac Coherent Light Source (LCLS) am SLAC. Ein Problem bei den Messungen entstand daraus, dass nur zwischen ein und zehn Prozent der Jodmoleküle durch den optischen Puls in einen angeregten Zustand gelangt. Die Über­lagerung mit den Jodmolekülen im Grund­zustand ergibt dann ein Interferenz­muster. Durch Vergleich dieses Musters mit dem unan­geregten Gas ohne Pumppuls konnten die Forscher per Fourier-Trans­formation die zeitliche Entwicklung der Abstände zwischen den Jodatomen bestimmen. Das Besondere bei dieser Messung lag darin, dass die Forscher die kohärenten Eigen­schaften des Röntgenstrahls ähnlich wie bei der holo­graphischen Aufnahmen ausnutzen konnten, bei der man ja ebenfalls einen Objekt- und einen Referenz­strahl einsetzt. Die Forscher erreichten mit diesem Verfahren eine zeitliche Auflösung von 30 Femto­sekunden und räumliche Auflösung von 0,3 Ångström, was in dieser Kombination bemerkens­wert ist.

Die andere Forscher­gruppe um Jie Yang von der Universität in Nebraska, Lincoln, setzte auf relati­vistische Elektronen­strahlen. Die Messungen folgten der selben Abfolge von Pump- und Probepuls. Der eingesetzte Elektronenstrahl hatte mit 3,7 Mega­elektronen­volt aber eine deutlich höhere Energie als bislang bei solchen Experimenten üblich. Dies ermöglichte es den Forschern, zwei Schwierig­keiten zu umgehen, die bislang die Auflösung solcher Experimente beschränkte. Einerseits sind bei geringeren Energien die Elektronen spürbar langsamer als Photonen, was die zeitliche Auflösung verringert. Bei 3,7 MeV ist dieser Effekt praktisch zu vernach­lässigen. Andererseits stoßen sich die Elektronen gegenseitig ab und verbreitern dadurch den Puls. Auch dieser Effekt lässt bei hoch­relativis­tischen Elektronen spürbar nach. Dadurch gelang es den Forschern, dank der geringen Wellenlänge der Elektronen eine hervor­ragende räumliche Auflösung von 0,07 Å zu erzielen, während die zeitliche Auflösung sich mit 230 Femto­sekunden als gerade noch ausreichend erwies, um die 400 Femtosekunden langen Schwingungen des Jodmoleküls aufzu­zeichnen. Diese Schwingung hatte durchaus eine starke Amplitude: Der Abstand der beiden Atome oszilliert zwischen 2,7 und 3,9 Å.

Noch handelt es sich bei solchen Aufnahmen um grundlegende Demonstra­tionen des Abbildungs­prinzips – und zweiatomiges Jod stellt keine so hohen Ansprüche an die Messungen wie einige der wirklich interes­santen Kandidaten für photo­induzierte Femtochemie. Doch mit weiteren Verbes­serungen könnten sich diese Verfahren durchaus als gute Alter­nativen zu gängigen Methoden erweisen. Wenn es gelingt, die räumliche und zeitliche Auflösung zu verbessern, so könnte man damit insbesondere Reaktionen wie etwa die Photo­isomerisierung untersuchen. Typische Zeit­skalen für molekulare Schwingungen liegen im Bereich von rund zehn bis einigen hundert Femto­sekunden, und diese Schwingungen sind Auslöser für chemische Reaktionen.

Um schnelle Schwingungen einfangen zu können, arbeiten die Forscher bereit an kürzeren Pulsen, sowohl bei den Röntgen- als auch bei den Elektronen­strahlen. Bei den Elektronen­pulsen besteht laut Yang und Kollegen eine Möglich­keit darin, Pulse mit weniger Elektronen zu verwenden, so dass die wechselseitige Coulomb-Abstoßung in jedem Puls geringer wird und sich die zeitliche Auflösung verbessert. Dies ließe sich durch eine höhere Pulsrate ausgleichen. Man könnte auch durch eine optimierte Radio­frequenz-Be­schleunigungs­sequenz die Elektronen­pulse stärker komprimieren. Mit diesen Ansätzen sind die Forscher zuversichtlich, eine zeitliche Auflösung von weniger als 50 Femto­sekunden zu erzielen. Im Prinzip könnte es in Zukunft auch mit Elektronen­strahlen möglich werden, holo­graphische Methoden einzusetzen, wie es James Glownia und Kollegen bei ihren Röntgen­experimenten getan haben.

Dieses Forscher­team wiederum plant, die räumliche und zeitliche Auflösung ihrer Experimente mit FEL-Röntgen­strahlen höherer Energie und Pulsrate zu verbessern. Ebenso ist etwa auch der Einsatz von Sub-Femto­sekunden-Pulsen möglich. Man darf auf die weitere Entwicklung gespannt sein: Sollte es beiden Verfahren gelingen, ihre spezi­fischen Stärken weiter auszubauen, könnten sie sich durchaus als komplemen­täre Verfahren für die Erforschung femto­chemischer Zustände etablieren.

Dirk Eidemüller

JOL

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