Molekülschwingungen im Daumenkino
Zwei Forschergruppen gelingt die Aufnahme molekularer Schwingungen mit Röntgen- und Elektronenpulsen.
Nicht nur Chemiker träumen davon, Schwingungen und Reaktionen von Molekülen wie in einem Film aufzunehmen. Auch für viele biologische Prozesse – insbesondere für photoinduzierte Reaktionen – würde dies ein ganz neues Verständnis ermöglichen. Zwar gibt es bereits einige Methoden, die solche Filme liefern können. Sie basieren jedoch meist auf indirekten Messungen des Zustandes, etwa aus Bestimmungen des Absorptionsspektrums. Will man aus solchen „femtochemischen” Messungen die Dynamik des Moleküls berechnen, so benötigt man ein gutes Vorverständnis der Potenzialoberfläche der elektronischen Zustände in Abhängigkeit von der Form des Moleküls, was natürlich die Zahl der zu untersuchenden molekularen Reaktionen begrenzt.
Abb.: Mit ultrakurzen Röntgenpulsen oder relativistischen Elektronenstrahlen lassen sich die Bewegungen von Jodmolekülen anhand der Interferenz von Grund- und angeregtem Zustand aufzeichnen. (Bild: APS / M. J. J. Vrakking)
Zwei Forschergruppen aus unterschiedlichen Instituten, die beide die Einrichtungen des Stanford Linear Accelerator Centers SLAC nutzen, konnten nun neue Verfahren präsentieren, die eine direkte Abbildung der zeitlichen Entwicklung von Molekülschwingungen ermöglichen. Beide Teams arbeiteten mit einem gut verstandenen und einfachen Testsystem, dem zweiatomigen Jodmolekül I2. Sie verwendeten eine Pump-Probe-Technik, bei der zunächst ein optischer Lichtpuls auf dünnes Jodgas trifft und einen Teil der Moleküle vom Grund- in einen angeregten Zustand pumpt. Dies bringt das Molekül zum Schwingen, wobei die Schwingungsdauer bei rund 400 Femtosekunden liegt. Dann schickten beide Forscherteams den Probe-Strahl auf die Moleküle. Indem sie den zeitlichen Versatz zwischen Pump- und Probe-Strahl variierten, konnten sie die zeitliche Dynamik des Systems bestimmen.
James M. Glownia und seine Kollegen vom kalifornischen SLAC National Accelerator Laboratory nutzten für ihre Experimente Röntgenpulse von der 2009 eröffneten Linac Coherent Light Source (LCLS) am SLAC. Ein Problem bei den Messungen entstand daraus, dass nur zwischen ein und zehn Prozent der Jodmoleküle durch den optischen Puls in einen angeregten Zustand gelangt. Die Überlagerung mit den Jodmolekülen im Grundzustand ergibt dann ein Interferenzmuster. Durch Vergleich dieses Musters mit dem unangeregten Gas ohne Pumppuls konnten die Forscher per Fourier-Transformation die zeitliche Entwicklung der Abstände zwischen den Jodatomen bestimmen. Das Besondere bei dieser Messung lag darin, dass die Forscher die kohärenten Eigenschaften des Röntgenstrahls ähnlich wie bei der holographischen Aufnahmen ausnutzen konnten, bei der man ja ebenfalls einen Objekt- und einen Referenzstrahl einsetzt. Die Forscher erreichten mit diesem Verfahren eine zeitliche Auflösung von 30 Femtosekunden und räumliche Auflösung von 0,3 Ångström, was in dieser Kombination bemerkenswert ist.
Die andere Forschergruppe um Jie Yang von der Universität in Nebraska, Lincoln, setzte auf relativistische Elektronenstrahlen. Die Messungen folgten der selben Abfolge von Pump- und Probepuls. Der eingesetzte Elektronenstrahl hatte mit 3,7 Megaelektronenvolt aber eine deutlich höhere Energie als bislang bei solchen Experimenten üblich. Dies ermöglichte es den Forschern, zwei Schwierigkeiten zu umgehen, die bislang die Auflösung solcher Experimente beschränkte. Einerseits sind bei geringeren Energien die Elektronen spürbar langsamer als Photonen, was die zeitliche Auflösung verringert. Bei 3,7 MeV ist dieser Effekt praktisch zu vernachlässigen. Andererseits stoßen sich die Elektronen gegenseitig ab und verbreitern dadurch den Puls. Auch dieser Effekt lässt bei hochrelativistischen Elektronen spürbar nach. Dadurch gelang es den Forschern, dank der geringen Wellenlänge der Elektronen eine hervorragende räumliche Auflösung von 0,07 Å zu erzielen, während die zeitliche Auflösung sich mit 230 Femtosekunden als gerade noch ausreichend erwies, um die 400 Femtosekunden langen Schwingungen des Jodmoleküls aufzuzeichnen. Diese Schwingung hatte durchaus eine starke Amplitude: Der Abstand der beiden Atome oszilliert zwischen 2,7 und 3,9 Å.
Noch handelt es sich bei solchen Aufnahmen um grundlegende Demonstrationen des Abbildungsprinzips – und zweiatomiges Jod stellt keine so hohen Ansprüche an die Messungen wie einige der wirklich interessanten Kandidaten für photoinduzierte Femtochemie. Doch mit weiteren Verbesserungen könnten sich diese Verfahren durchaus als gute Alternativen zu gängigen Methoden erweisen. Wenn es gelingt, die räumliche und zeitliche Auflösung zu verbessern, so könnte man damit insbesondere Reaktionen wie etwa die Photoisomerisierung untersuchen. Typische Zeitskalen für molekulare Schwingungen liegen im Bereich von rund zehn bis einigen hundert Femtosekunden, und diese Schwingungen sind Auslöser für chemische Reaktionen.
Um schnelle Schwingungen einfangen zu können, arbeiten die Forscher bereit an kürzeren Pulsen, sowohl bei den Röntgen- als auch bei den Elektronenstrahlen. Bei den Elektronenpulsen besteht laut Yang und Kollegen eine Möglichkeit darin, Pulse mit weniger Elektronen zu verwenden, so dass die wechselseitige Coulomb-Abstoßung in jedem Puls geringer wird und sich die zeitliche Auflösung verbessert. Dies ließe sich durch eine höhere Pulsrate ausgleichen. Man könnte auch durch eine optimierte Radiofrequenz-Beschleunigungssequenz die Elektronenpulse stärker komprimieren. Mit diesen Ansätzen sind die Forscher zuversichtlich, eine zeitliche Auflösung von weniger als 50 Femtosekunden zu erzielen. Im Prinzip könnte es in Zukunft auch mit Elektronenstrahlen möglich werden, holographische Methoden einzusetzen, wie es James Glownia und Kollegen bei ihren Röntgenexperimenten getan haben.
Dieses Forscherteam wiederum plant, die räumliche und zeitliche Auflösung ihrer Experimente mit FEL-Röntgenstrahlen höherer Energie und Pulsrate zu verbessern. Ebenso ist etwa auch der Einsatz von Sub-Femtosekunden-Pulsen möglich. Man darf auf die weitere Entwicklung gespannt sein: Sollte es beiden Verfahren gelingen, ihre spezifischen Stärken weiter auszubauen, könnten sie sich durchaus als komplementäre Verfahren für die Erforschung femtochemischer Zustände etablieren.
Dirk Eidemüller
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