19.01.2015

Molekulare Motoren mit großer Wirkung

Lichtinduzierte Verdrillung vernetzter Molekülketten bewirkt makroskopische Kontraktion.

Die Natur macht es uns vor: Kollektive Bewegungen molekularer Motoren führen zu makroskopischen Effekten wie der Kontraktion von Muskeln. Davon inspiriert warten Forscher mit immer raffinierteren Methoden auf, um Moleküle gezielt als Motoren verwenden zu können. Die eigentliche Herausforderung bleibt jedoch die Koordination der einzelnen Bewegungen zu einem messbaren, mechanischen Effekt auf der Makroebene. Forschern der Universität Straßburg ist es nun gelungen, einen solchen Vorgang zu realisieren. Indem sie molekulare Motoren in das Polymernetzwerk eines Gels integrierten, konnten sie das Material auf ein Fünftel seines Volumens zusammenziehen – ein Effekt, der sich mit freiem Auge beobachten lässt.

Abb.: Polymere in Form einer Acht mit einem Nanomotor im Zentrum (oben). Nach einigen Umdrehungen der Motoren waren die Polymerketten zu engen Knäueln aufgewickelt (unten; Bild: Q. Li et al.)

Molekulare Motoren wandeln externe Energiequellen, wie etwa Lichteinstrahlung, in Bewegung um. Um dieser Bewegung eine bestimmte Richtung zu geben, muss die zugrunde liegende Reaktion jenseits des chemischen Gleichgewichts ablaufen. Wie bei einer Ratsche wird dabei der Reaktionsweg in einer Richtung gesperrt. Auf diese Art lassen sich lineare Verschiebungen zwischen Molekülen realisieren, wie etwa bei der Muskelkontraktion. Man kann aber auch Bindungen innerhalb von Molekülen in eine bestimmte Richtung verdrehen.

Einen solchen Effekt hat sich die Forschergruppe von Nicolas Giuseppone zunutze gemacht. Indem sie rotierende, molekulare Motoren in das Netzwerk eines Gels einbauten, konnten sie die Polymerketten zu engen Knäueln aufwickeln und so das Volumen verringern. „Es ist das erste Mal, dass künstliche Nanomotoren in ein Material eingebaut wurden, um eine mechanische Bewegung zu realisieren“, sagt Giuseppone. „Das eröffnet ein weites Feld, in dem Materialien nicht mehr länger statisch sind, sondern durch Dynamiken fernab des chemischen Gleichgewichts angetrieben werden – wie in lebenden Organismen.“

Abb.: Integriert in das Polymernetzwerk eines Gels (oben) wickeln die rotierenden Nanomotoren die Polymerketten auf und ziehen die Probe auf ein Fünftel ihres Volumens zusammen (unten; Bild: Q. Li et al.)

Um ein solches System zu realisieren, griffen die Forscher auf wegweisende Arbeiten der Gruppe von Ben L. Feringa zurück. Dort, an der Universität von Groningen in den Niederlanden, beschäftigt man sich schon seit langem mit rotierenden, molekularen Motoren. Ein erster Prototyp wurde bereits im Jahr 1999 vorgestellt und erregte damals großes Aufsehen.

Dabei handelte es sich um ein chirales, schraubenförmiges Alken - ein organisches Molekül mit einer zentralen Kohlenstoff-Doppelbindung, die als Drehachse diente. Durch ultraviolettes Licht induzierte Cis-Trans-Isomerisierungen verdrehten das Molekül um jeweils 180 Grad. Unmittelbar nach einem jeden solchen Schritt veränderte sich aufgrund thermischer Anregung die Helizität des Moleküls. Diese Veränderung sperrte die Doppelbindung gegen eine Verdrehung in die Gegenrichtung. Wie eine Ratsche verdrehte sich das Molekül also nur in einem bestimmten Drehsinn, angeregt durch kontinuierliche Bestrahlung und dennoch in sich wiederholenden Zyklen. Den Groninger Forschern gelang es sogar, solche Motoren quasi als Propeller auf Nanopartikel zu fixieren. Einen beobachtbaren makroskopischen Effekt konnten sie so jedoch nicht erzeugen.

Guiseppone und seine Mitarbeiter realisierten ihren neuartigen Zugang in zwei Schritten. In einem ersten Experiment verbanden sie die Enden eines rotierenden, molekularen Motors durch zwei Polymerketten. So entstand ein Molekül in Form einer Acht mit dem Motor im Zentrum. Während die Struktur dieser Moleküle unter dem AFM zu Beginn noch eindeutig zu erkennen war, waren nach 15-minütiger Bestrahlung nur noch kleine Knäuel zu sehen – die Rotation hatte die Ketten vollständig aufgewickelt.

Nach diesen erfolgreichen ersten Tests implementierten die Forscher die Nanomotoren schließlich in das Polymernetzwerk eines Gels. Nach 120-minütiger Bestrahlung und etwa 100 Umdrehungen war die maximale Kontraktion erreicht – die Probe war von fünf auf etwa zwei Millimeter zusammengeschrumpft. Bei noch längerer Bestrahlung brachen die Motoren und das Gel schwoll wieder zu seinem ursprünglichen Volumen an. Auslöser für diesen Bruch war vermutlich eine Oxidation der Kohlenstoff-Doppelbindungen, also der Drehachsen. Die Reaktivität dieser Bindungen steigt nämlich durch die mechanische Spannung deutlich an. Sie werden dabei jedoch nicht vollständig durchttrennt, sondern lediglich in Einzelbindungen umgewandelt. Die Vernetzung bleibt also auch während des Abspulens und der damit verbundenen Expansion erhalten. Wie die Forscher berichten, war in einigen Experimenten die im kontrahierten Gel gespeicherte Energie so hoch und der Bruch so plötzlich, dass die Probe förmlich sprang.

Die Nanomotoren wandeln also nicht bloß Licht in makroskopische, mechanische Bewegung um, sie speichern auch Energie. Einer groben Abschätzung zufolge wurden in den bisherigen Experimenten etwa 0,15 Prozent der Strahlungsenergie in potenzielle, mechanische Energie umgewandelt. In Zukunft wollen Giuseppone und seine Kollegen diesen Effekt noch genauer unter die Lupe nehmen und nach Wegen suchen, die gespeicherte Energie kontrolliert zu nutzen.

Thomas Brandstetter

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