13.10.2016

Mond unter Beschuss

Aufnahmen des Lunar Reconnaissance Orbiter belegen deutlich höhere Kraterbildung und Oberflächenveränderungen als bislang angenommen.

Jeder kennt die Bilder von der Mond­oberfläche, die mit Kratern übersäht ist. Da unser Trabant keine Atmosphäre besitzt, hinterlässt jeder größere Gesteins­brocken einen Einschlagkrater. Doch obwohl der Mensch schon lange auch mit großen Teleskopen auf den Mond schaut, ließ sich die Bildungs­rate neuer Krater und damit die Stärke des Beschusses aus dem Weltall bislang nur grob abschätzen. Wissen­schaftler der Arizona State und der Cornell University haben nun Daten des Lunar Reconnais­sance Orbiter ausgewertet und sind dabei auf eine signifikant höhere Rate an neuen Kratern durch Kometen, Asteroiden oder ihre Fragmente gestoßen als bislang angenommen. Noch überraschender ist zudem ihre Schluss­folgerung, dass sekundäre Trümmer­teile solcher Einschläge die Mond­oberfläche um Größen­ordnungen schneller umformen, als bisherige Modelle es vermuten ließen.

Abb.: Zwischen zwei Überflügen (a, b) des Lunar Reconnaissance Orbiter hat sich in der Bildmitte ein 14,3 Meter durchmessender Krater gebildet, der im Verhältnis der Leuchtkraft beider Bilder (c) deutlich hervorsticht. Die gezeigte Region hat eine Ausdehnung von 225 Metern.(Bild: E. J. Speyerer et al. / NASA)

Der rund zwei Tonnen schwere Lunar Reconnais­sance Orbiter umkreist seit Juni 2009 den Erd­trabanten und macht derzeit jeden Tag 475 Aufnahmen der Mond­oberfläche mit seiner Narrow Angle Camera. Auf diese Weise soll ein bis auf wenige Meter genaues Bild der gesamten Mondober­fläche entstehen. Hin und wieder überfliegt die Raumsonde dabei dasselbe Gebiet, so dass Paare von Bildern derselben Region entstehen. Die Wissen­schaftler analysierten nun über 14.000 Bildpaare aus den letzten Jahren darauf, ob sich neue Krater gebildet hatten oder ob sich die Reflek­tivität der Oberfläche geändert hatte. Letzteres ist ein Hinweis darauf, dass sich der Regolith, der die Mond­oberfläche bedeckt, umgewühlt worden ist. Dabei ist es wichtig, dass bei beiden Überflügen ähnliche Belichtungs­verhältnisse vorgelegen sind – der Mond also in einer vergleichbaren Position zur Sonne stand.

Die Forscher konnten anhand dieser Bildpaare immerhin knapp sieben Prozent der Mond­oberfläche auf neue Krater untersuchen. Durch Vergleich der Ober­flächen-Reflek­tivität fanden sie insgesamt 222 neue Krater ab einem Durchmesser von zehn Metern – rund ein Drittel mehr als von bisherigen Modellen vorhergesagt. Einer der Krater erreichte sogar einen Durch­messer von 43 Metern.

Dabei untersuchten sie die Bildpaare anhand des Verhält­nisses ihrer Leuchtkraft. Wie auch in der Abbildung zu sehen, ist der Vorteil bei dieser Methode, dass auch noch viele Krater­durchmesser vom Auftreff­punkt entfernt noch Leuchtkraft­unterschiede auszumachen sind. Dies liegt an den großen Mengen von Staub und feinem Sand, die bei solchen Einschlägen entstehen und die die Reflek­tivität der Ober­fläche verändern. Das Interessante an dieser Methode: Sie funktioniert auch bei kleineren Kratern, die mit bloßem Auge – nicht nur aufgrund der Vielzahl an kleineren Kratern – kaum zu entdecken sind.

Die Entfernung, in der sich eine Veränderung der Mond­oberfläche nachweisen lässt, ist in einigen Fällen erstaunlich hoch: Bei einem Zwölf-Meter-Krater konnten die Forscher noch in bis zu 1800 Metern Distanz Reste der Trümmer­wolke vermessen. Auch in anderen Fällen trat noch bei vielen Dutzend Krater­durchmessern Abstand eine Verdunkelung oder Aufhellung des lunaren Regoliths auf.

Die hohe Qualität der Bilder erlaubt es den Forschern zudem, nicht nur die Anzahl neuer Krater zu bestimmen, sondern auch die Einschlag­prozesse genauer zu analysieren. Wie die großen Entfer­nungen des ausge­worfenen Materials vom Aufschlag­ort zeigen, entstehen bei der Kollision Jets aus geschmolzenem und verdampften Material. Diese können sogar höhere Ausstoß­geschwindig­keiten erreichen als der Einschlag­körper.

Die Wissen­schaftler konnten auch über 47.000 Veränderungen am Mond­regolith nachweisen, die nicht mit einem Einschlag­krater einhergingen. Vermutlich stammen diese Prozesse von sekun­dären Gesteins­brocken oder sehr kleinen Meteoriten, die keinen sichtbaren Krater hinterlassen. Das Über­raschende hierbei: Bislang gingen Mond­forscher davon aus, dass unser Trabant durch Kolli­sionen mit Gestein aus dem All die obersten zwei Zentimeter seiner Oberfläche in einem Zeitraum von rund zehn Millionen Jahren umwälzt. Nach den neuen Abschät­zungen sollte dies aber über hundert­fach schneller geschehen – laut den Extra­polationen der Forscher in nur 81.000 Jahren. Diese Analyse deckt sich auch mit Proben der Apollo-Mission. Deren Analyse hatte ergeben, dass der Anteil an kosmogenen Radio­nukliden wie Aluminium-26 auf ein beständiges Durchwalken der Mond­oberfläche in rund 100.000 bis einer Million Jahre hinweist.

Diese Modelle sind nicht nur für die Erfor­schung des Mondes von Bedeutung. Vom Erd­trabanten besitzen einige Labore immerhin bestens analysierte Gesteins­proben. Andere Himmels­körper sind sehr viel schwieriger mit Raum­sonden zu erreichen – und vor allem ist der Transport ihres Gesteins in irdische Labore kaum möglich. Ein genaues Verständnis der Mond­oberfläche erlaubt daher Rück­schlüsse auf andere Himmels­körper in unserem Sonnensystem. Aber auch für eine eventuell länger­fristig angelegte Mond­station – ob bemannt oder robotisch – ist es vielleicht nicht unin­teressant, das Risiko durch sekundäre Gesteins­treffer abschätzen zu können.

Dirk Eidemüller

JOL

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