Mond unter Beschuss
Aufnahmen des Lunar Reconnaissance Orbiter belegen deutlich höhere Kraterbildung und Oberflächenveränderungen als bislang angenommen.
Jeder kennt die Bilder von der Mondoberfläche, die mit Kratern übersäht ist. Da unser Trabant keine Atmosphäre besitzt, hinterlässt jeder größere Gesteinsbrocken einen Einschlagkrater. Doch obwohl der Mensch schon lange auch mit großen Teleskopen auf den Mond schaut, ließ sich die Bildungsrate neuer Krater und damit die Stärke des Beschusses aus dem Weltall bislang nur grob abschätzen. Wissenschaftler der Arizona State und der Cornell University haben nun Daten des Lunar Reconnaissance Orbiter ausgewertet und sind dabei auf eine signifikant höhere Rate an neuen Kratern durch Kometen, Asteroiden oder ihre Fragmente gestoßen als bislang angenommen. Noch überraschender ist zudem ihre Schlussfolgerung, dass sekundäre Trümmerteile solcher Einschläge die Mondoberfläche um Größenordnungen schneller umformen, als bisherige Modelle es vermuten ließen.
Abb.: Zwischen zwei Überflügen (a, b) des Lunar Reconnaissance Orbiter hat sich in der Bildmitte ein 14,3 Meter durchmessender Krater gebildet, der im Verhältnis der Leuchtkraft beider Bilder (c) deutlich hervorsticht. Die gezeigte Region hat eine Ausdehnung von 225 Metern.(Bild: E. J. Speyerer et al. / NASA)
Der rund zwei Tonnen schwere Lunar Reconnaissance Orbiter umkreist seit Juni 2009 den Erdtrabanten und macht derzeit jeden Tag 475 Aufnahmen der Mondoberfläche mit seiner Narrow Angle Camera. Auf diese Weise soll ein bis auf wenige Meter genaues Bild der gesamten Mondoberfläche entstehen. Hin und wieder überfliegt die Raumsonde dabei dasselbe Gebiet, so dass Paare von Bildern derselben Region entstehen. Die Wissenschaftler analysierten nun über 14.000 Bildpaare aus den letzten Jahren darauf, ob sich neue Krater gebildet hatten oder ob sich die Reflektivität der Oberfläche geändert hatte. Letzteres ist ein Hinweis darauf, dass sich der Regolith, der die Mondoberfläche bedeckt, umgewühlt worden ist. Dabei ist es wichtig, dass bei beiden Überflügen ähnliche Belichtungsverhältnisse vorgelegen sind – der Mond also in einer vergleichbaren Position zur Sonne stand.
Die Forscher konnten anhand dieser Bildpaare immerhin knapp sieben Prozent der Mondoberfläche auf neue Krater untersuchen. Durch Vergleich der Oberflächen-Reflektivität fanden sie insgesamt 222 neue Krater ab einem Durchmesser von zehn Metern – rund ein Drittel mehr als von bisherigen Modellen vorhergesagt. Einer der Krater erreichte sogar einen Durchmesser von 43 Metern.
Dabei untersuchten sie die Bildpaare anhand des Verhältnisses ihrer Leuchtkraft. Wie auch in der Abbildung zu sehen, ist der Vorteil bei dieser Methode, dass auch noch viele Kraterdurchmesser vom Auftreffpunkt entfernt noch Leuchtkraftunterschiede auszumachen sind. Dies liegt an den großen Mengen von Staub und feinem Sand, die bei solchen Einschlägen entstehen und die die Reflektivität der Oberfläche verändern. Das Interessante an dieser Methode: Sie funktioniert auch bei kleineren Kratern, die mit bloßem Auge – nicht nur aufgrund der Vielzahl an kleineren Kratern – kaum zu entdecken sind.
Die Entfernung, in der sich eine Veränderung der Mondoberfläche nachweisen lässt, ist in einigen Fällen erstaunlich hoch: Bei einem Zwölf-Meter-Krater konnten die Forscher noch in bis zu 1800 Metern Distanz Reste der Trümmerwolke vermessen. Auch in anderen Fällen trat noch bei vielen Dutzend Kraterdurchmessern Abstand eine Verdunkelung oder Aufhellung des lunaren Regoliths auf.
Die hohe Qualität der Bilder erlaubt es den Forschern zudem, nicht nur die Anzahl neuer Krater zu bestimmen, sondern auch die Einschlagprozesse genauer zu analysieren. Wie die großen Entfernungen des ausgeworfenen Materials vom Aufschlagort zeigen, entstehen bei der Kollision Jets aus geschmolzenem und verdampften Material. Diese können sogar höhere Ausstoßgeschwindigkeiten erreichen als der Einschlagkörper.
Die Wissenschaftler konnten auch über 47.000 Veränderungen am Mondregolith nachweisen, die nicht mit einem Einschlagkrater einhergingen. Vermutlich stammen diese Prozesse von sekundären Gesteinsbrocken oder sehr kleinen Meteoriten, die keinen sichtbaren Krater hinterlassen. Das Überraschende hierbei: Bislang gingen Mondforscher davon aus, dass unser Trabant durch Kollisionen mit Gestein aus dem All die obersten zwei Zentimeter seiner Oberfläche in einem Zeitraum von rund zehn Millionen Jahren umwälzt. Nach den neuen Abschätzungen sollte dies aber über hundertfach schneller geschehen – laut den Extrapolationen der Forscher in nur 81.000 Jahren. Diese Analyse deckt sich auch mit Proben der Apollo-Mission. Deren Analyse hatte ergeben, dass der Anteil an kosmogenen Radionukliden wie Aluminium-26 auf ein beständiges Durchwalken der Mondoberfläche in rund 100.000 bis einer Million Jahre hinweist.
Diese Modelle sind nicht nur für die Erforschung des Mondes von Bedeutung. Vom Erdtrabanten besitzen einige Labore immerhin bestens analysierte Gesteinsproben. Andere Himmelskörper sind sehr viel schwieriger mit Raumsonden zu erreichen – und vor allem ist der Transport ihres Gesteins in irdische Labore kaum möglich. Ein genaues Verständnis der Mondoberfläche erlaubt daher Rückschlüsse auf andere Himmelskörper in unserem Sonnensystem. Aber auch für eine eventuell längerfristig angelegte Mondstation – ob bemannt oder robotisch – ist es vielleicht nicht uninteressant, das Risiko durch sekundäre Gesteinstreffer abschätzen zu können.
Dirk Eidemüller
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