21.11.2016

Motor des Golfstroms

Neue Erkenntnisse zu Entwicklung der Nordmeere in Warmzeiten.

Aufgrund steigender Temperaturen und schmelzender Gletscher werden sich die Wasser­eigenschaften im Euro­päischen Nordmeer verändern. Um eine Idee von den Auswirkungen zu erhalten, werden auch die Entwicklungen in vergangenen Warmzeiten untersucht. Doch zwei aktuelle Studien internationaler Forschungs­teams zeigen, dass die Wasser­eigenschaften in den Nord­meeren während verschiedener Warm­zeiten durchaus unterschiedlich waren.

Abb.: Strömungsverhältnisse im Nordatlantik. Rot zeigt warme und salzreiche Oberflächenströmung, blau die kalte Tiefenströmung. (Bild: C. Kersten / H. Bauch, Geomar)

Egal ob in Norwegen, auf Island oder in Grönland: Rund um den Nordatlantik und das Europäische Nordmeer ziehen sich die Gletscher zurück und setzen dabei große Mengen Süßwasser frei. Auch die sommer­liche Eisbedeckung der Arktis schrumpft beinahe konti­nuierlich von Jahr zu Jahr, was wiederum die Menge des Süßwassers im Nordmeer zwischen Island und Spitzbergen beeinflusst. Ausgerechnet in dieser Region sinkt dichtes, salziges Wasser aus dem Atlantik in die Tiefe und fließt nahe des Meeresbodens wieder Richtung Süden. Diese Umwälz­bewegung treibt unter anderem den Golfstrom und seine Ausläufer an und ist deshalb wichtig für den euro­päischen Wärme­haushalt. Mehr Süßwasser in den Meeren könnte den Strömungs­motor beeinflussen.

Um zukünftige Auswirkungen des aktuellen Klima­wandels abschätzen zu können, richten Wissen­schaftler den Blick auch auf Klima­schwankungen in der Vergangen­heit. Abgeschlossene Warmzeiten gelten dabei als gute Modelle für die Warmzeit, in der wir leben. Zwei neue Studien von Forschenden des Geomar Helmholtz-Zentrums für Ozean­forschung Kiel, des Alfred-Wegener-Instituts Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeres­forschung AWI in Bremerhaven und der Universität von Hongkong mit Unter­stützung des Nieder­ländischen Instituts für Meeres­forschung NIOZ, der Universität Utrecht und der kanadischen University of Victoria zeigen unabhängig voneinander, dass sich der Zustand der Nordmeere in den verschiedenen Warm­zeiten deutlich unterscheidet. Gleichzeitig geben sie neue Einblicke, wie diese wichtigen Prozesse in ver­schiedenen Abschnitten der Erdgeschichte abgelaufen sind.

Eine der Studien zielte darauf ab, den Salzgehalt in der Grönlandsee und im Euro­päischen Nordmeer in einer Warmzeit vor rund 400.000 Jahren zu rekon­struieren. Dafür nutzten die Forscher Sediment­kerne aus dem Meeresboden südlich von Spitzbergen. Diese Kerne wurden mit einer neuartigen, vom NIOZ entwickelten Methode, analysiert. Das Verfahren basiert auf der Untersuchung von Wasserstoff­isotopen in Alkenonen. Das sind organische Verbindungen, die von bestimmten Meeresalgen produziert werden. „Da sich der Salzgehalt direkt auf die Zusammen­setzung dieser Alkenone auswirkt, ist die Methode deutlich direkter und damit weniger fehler­anfällig als bisherige Verfahren“, sagt Evguenia Kandiano vom Geomar.

Die neuen Daten zeigen, dass die Meeres­oberfläche im zentralen Nordmeer vor rund 400.000 Jahren wesentlich kälter war als bisher angenommen. Gleichzeitig waren die oberflächen­nahen Schichten auch sehr salzarm, was wahr­scheinlich auf das konti­nuierliche Abschmelzens der grön­ländischen Eisdecke und einer Süßwasser­zufuhr aus der Arktis zurück­zuführen ist. Diese Prozesse führten dazu, dass sich eine dicke, salzarme Schicht an der Oberfläche bildete, die das von Süden ein­strömende Atlantik­wasser in größere Tiefen abdrängte.

In der zweiten Studie hat sich ein Team um Benoit Thibodeau von der Uni­versität Hongkong die Nährstoff­­nutzung im Ober­flächen­­wasser der Grön­landsee und der Nor­wegischen See während drei Warmzeiten zwischen 400.000 vor heute und der Gegen­wart angesehen. „Die von uns rekon­struierte Nähr­stoff­nutzung deutet darauf hin, dass in den älteren Warm­phasen zwischen zwei Eis­zeiten sich eine gegenüber der heutigen dickere Misch­­schicht an der Oberfläche ausbildete. Diese wurde vermutlich durch ein dauer­haften Frisch­wasser­­eintritt aufgrund des langen Abschmelz­­prozesses der damals sehr großen Land­­eismassen hervor­gerufen“, sagt Thibodeau.

Beide Studien beruhen zwar auf ganz unter­schiedlichen Methoden, „dennoch sind die Ergebnisse recht ähnlich. Die Dicke der salzarmen Oberflächen­schicht im Euro­päischen Nordmeer schwankt von Warmzeit zu Warmzeit deutlich und bestimmt somit auch die Wasser­tiefe, in der das salzhaltigere und schwerere Atlantik­wasser in die nördlichen Meere vordringen kann“, sagt der Paläo­ozeanograph Henning Bauch, der am Geomar und am AWI forscht. „Die Ergebnisse zeigen uns vor allem, dass wir vorsichtig sein müssen, wenn wir ältere Warm­zeiten als Analogie für unsere aktuelle Warmzeit nutzen oder sie sogar als Modell für die Zukunft verwenden.“

Geomar / JOL

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