14.12.2015

Muschelschalen in Plattenbauweise

Anlagerung von Nanopartikeln als Vorbild für neuartige Hochleistungskeramiken.

Perlmutt in Muschelschalen bildet sich nicht in einem klassischen Kristallisations­prozess, sondern durch Anlagerung von Nano­partikeln in einer organischen Gerüst­matrix. Das zeigen Unter­suchungen eines inter­nationalen Forscher­teams unter Beteiligung der Uni Erlangen-Nürnberg. Die neuen Erkenntnisse könnte den Weg ebnen für ein besseres Verständnis über den Aufbau von Biomineralien und die Entwicklung neuartiger Hochleistungs­keramiken.

Abb.: Die Muschel Pinna nobilis. (Bild: Biodiversity Heritage Library)

Um der Struktur von Perlmutt auf den Grund zu gehen, haben Stephan Wolf und sein Team eine besondere Technik angewandt: Aus der Schale einer sechzig Zentimeter großen Pinna nobilis, einer im Mittelmeer beheimateten Steck­muschel­art, schnitten sie mit einem Diamant­draht einen Keil, polierten ihn mit einem neuartigen Schleif­mittel und untersuchten ihn unter einem Raster­transmissions-Elektronen­mikroskop. „Die Keil-Polier-Technik haben wir von der Halbleiter­industrie abgeschaut.“, erklärt Wolf. „Das Verfahren ermöglicht die Abbildung extrem groß­flächiger Bereiche, wie sie uns vorher nur schwer zugänglich waren.“

Die hochauflösenden Bilder zeigten einen sehr heterogenen Aufbau – von unregel­mäßig geformten Calcit-Prismen auf der Außen­seite über eine organische Schicht in der Mitte bis hin zum glatten Perlmutt im Inneren der Schale. „Besonders interessant ist der Übergang von der organischen zur Perlmutt­schicht“, sagt Wolf. „Hier finden wir erste Nano­partikel mit einer Größe zwischen fünfzig und achtzig Nanometer, die sich zum Schalen­inneren hin immer mehr aggregieren und zu Perlmutt­plättchen verschmelzen, bis sie schließlich das hochgeordnete Perlmutt bilden, wie wir es alle kennen.“

Damit haben die Forscher erstmals den Nachweis erbracht, dass sich Perlmutt nicht – wie lange angenommen – durch klassische Kristallisations­prozesse bildet, bei denen sich Atome oder Ionen in gesättigten Lösungen sukzessive ablagern, sondern durch eine Aggregation vorge­fertigter Nano­kristalle. „Würde man den Wachstums­prozess von Perlmutt bildlich auf den Bau von Häusern übertragen, dann bedient sich die Muschel einer Art Plattenbau“, so Wolf, „während die klassische Kristallisation mit dem Mauern einzelner Steine vergleichbar wäre.“

Die Kalziumkarbonat-Nanopartikel lagern sich zu kristallinen Aragonit-Plättchen zusammen. Sie bilden die Grundlage des Perlmutts und verursachen sein typisches Schillern. Die einzelnen, etwa 350 bis 500 Nanometer dicken Plättchen sind in organische Layer eingebettet, die sie wie Zement zusammen­halten. Dass diese Schicht­struktur wiederum aus kleineren Partikeln aufgebaut ist, die ebenfalls organisches Material einschließen, hat einen wesentlichen Einfluss auf die mechanischen Eigen­schaften der Muschel­schale. Ein vergleich­bares, aus einzelnen Ionen kristalli­siertes Material würde viel schneller zerbrechen.

Jetzt arbeiten die Materialwissenschaftler des Teams daran, die Kristalli­sation aus Nano­partikeln im Labor nachzubilden – mit dem Ziel, neuartige Hochleistungs­keramiken nach dem Vorbild der Natur zu entwickeln. „Dabei haben wir nicht nur Form und Festigkeit der Werkstoffe im Blick“, so Wolf, „sondern auch den energetischen Vorteil – schließlich entsteht Perlmutt nicht im Brenn­ofen, sondern in kaltem Meeres­wasser.“

FAU / RK

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