Muschelschalen in Plattenbauweise
Anlagerung von Nanopartikeln als Vorbild für neuartige Hochleistungskeramiken.
Perlmutt in Muschelschalen bildet sich nicht in einem klassischen Kristallisationsprozess, sondern durch Anlagerung von Nanopartikeln in einer organischen Gerüstmatrix. Das zeigen Untersuchungen eines internationalen Forscherteams unter Beteiligung der Uni Erlangen-Nürnberg. Die neuen Erkenntnisse könnte den Weg ebnen für ein besseres Verständnis über den Aufbau von Biomineralien und die Entwicklung neuartiger Hochleistungskeramiken.
Abb.: Die Muschel Pinna nobilis. (Bild: Biodiversity Heritage Library)
Um der Struktur von Perlmutt auf den Grund zu gehen, haben Stephan Wolf und sein Team eine besondere Technik angewandt: Aus der Schale einer sechzig Zentimeter großen Pinna nobilis, einer im Mittelmeer beheimateten Steckmuschelart, schnitten sie mit einem Diamantdraht einen Keil, polierten ihn mit einem neuartigen Schleifmittel und untersuchten ihn unter einem Rastertransmissions-Elektronenmikroskop. „Die Keil-Polier-Technik haben wir von der Halbleiterindustrie abgeschaut.“, erklärt Wolf. „Das Verfahren ermöglicht die Abbildung extrem großflächiger Bereiche, wie sie uns vorher nur schwer zugänglich waren.“
Die hochauflösenden Bilder zeigten einen sehr heterogenen Aufbau – von unregelmäßig geformten Calcit-Prismen auf der Außenseite über eine organische Schicht in der Mitte bis hin zum glatten Perlmutt im Inneren der Schale. „Besonders interessant ist der Übergang von der organischen zur Perlmuttschicht“, sagt Wolf. „Hier finden wir erste Nanopartikel mit einer Größe zwischen fünfzig und achtzig Nanometer, die sich zum Schaleninneren hin immer mehr aggregieren und zu Perlmuttplättchen verschmelzen, bis sie schließlich das hochgeordnete Perlmutt bilden, wie wir es alle kennen.“
Damit haben die Forscher erstmals den Nachweis erbracht, dass sich Perlmutt nicht – wie lange angenommen – durch klassische Kristallisationsprozesse bildet, bei denen sich Atome oder Ionen in gesättigten Lösungen sukzessive ablagern, sondern durch eine Aggregation vorgefertigter Nanokristalle. „Würde man den Wachstumsprozess von Perlmutt bildlich auf den Bau von Häusern übertragen, dann bedient sich die Muschel einer Art Plattenbau“, so Wolf, „während die klassische Kristallisation mit dem Mauern einzelner Steine vergleichbar wäre.“
Die Kalziumkarbonat-Nanopartikel lagern sich zu kristallinen Aragonit-Plättchen zusammen. Sie bilden die Grundlage des Perlmutts und verursachen sein typisches Schillern. Die einzelnen, etwa 350 bis 500 Nanometer dicken Plättchen sind in organische Layer eingebettet, die sie wie Zement zusammenhalten. Dass diese Schichtstruktur wiederum aus kleineren Partikeln aufgebaut ist, die ebenfalls organisches Material einschließen, hat einen wesentlichen Einfluss auf die mechanischen Eigenschaften der Muschelschale. Ein vergleichbares, aus einzelnen Ionen kristallisiertes Material würde viel schneller zerbrechen.
Jetzt arbeiten die Materialwissenschaftler des Teams daran, die Kristallisation aus Nanopartikeln im Labor nachzubilden – mit dem Ziel, neuartige Hochleistungskeramiken nach dem Vorbild der Natur zu entwickeln. „Dabei haben wir nicht nur Form und Festigkeit der Werkstoffe im Blick“, so Wolf, „sondern auch den energetischen Vorteil – schließlich entsteht Perlmutt nicht im Brennofen, sondern in kaltem Meereswasser.“
FAU / RK