Nachweis der Wannier-Stark-Lokalisierung
Ultrakurze Lichtpulse offenbaren den Effekt in einem Galliumarsenid-Kristall.
Wissenschaftlern der Universität Konstanz und der Universität Paderborn ist es gelungen, die Wannier-Stark-Lokalisierung erstmalig zu realisieren und nachzuweisen. Die Physiker haben damit Hürden überwunden, die auf dem Gebiet der Optoelektronik und Photonik lange als unüberwindbar galten. Bei der Wannier-Stark-Lokalisierung wird das elektrische System eines Festkörpers in ein extremes Ungleichgewicht gebracht.
Abb.: Detail des Versuchsaufbaus im Konstanzer Hochfeld-Terahertzlabor. Unter den extremen Bedingungen des Experiments ist aus dem angeregten Galliumarsenid-Halbleiterkristall ein helles rotes Leuchten zu sehen. Dieses hat seinen Ursprung in der äußerst hohen optischen Nichtlinearität des Systems, die unter den Bedingungen der Wannier-Stark-Lokalisierung vorliegt. (Bild: U. Konstanz)
„Es handelt sich um einen grundlegenden Effekt, der schon vor über achtzig Jahren vorhergesagt wurde, von dem aber nicht klar war, ob sich dieser Zustand in einem Volumenkristall realisieren lässt, also auf der Ebene der chemischen Bindungen zwischen den Atomen“, sagt Alfred Leitenstorfer, Professor für Ultrakurzzeitphysik und Photonik an der Universität Konstanz. Der Zustand lässt sich nur für minimale Zeiträume aufrechterhalten, die kürzer als eine infrarote Lichtschwingung sind. Die Wannier-Stark-Lokalisierung konnte mit den Konstanzer Ultrakurzzeit-Lasersystemen erstmals festgehalten werden. Der Nachweis erfolgte in einem hochreinen Galliumarsenid-Kristall, der an der ETH Zürich durch epitaktisches Wachstum gezüchtet wurde.
Zur Veranschaulichung des Effekts lassen sich die Atome eines Kristalls wie ein dreidimensionales Gitter aus kleinen Kügelchen vorstellen, die sich gegenseitig abstoßen und nur von Gummibändern zusammengehalten werden. Solange die Abstoßung genauso stark ist wie das Gummiband, ist das System stabil: Die Kügelchen werden dann weder enger zusammengezogen, noch entfernen sie sich voneinander, sondern bleiben auf etwa gleichem Abstand. Die Wannier-Stark-Lokalisierung tritt auf, wenn die haltgebenden Gummibänder sehr schnell entfernt werden. Es ist der elektronische Zustand in exakt jenem Augenblick, wenn die Gummibänder bereits weg sind, aber noch bevor die Kugeln auseinanderfliegen: Die chemischen Bindungen, die den Kristall zusammenhalten, wurden aufgehoben.
Wird dieser Zustand zu lange aufrechterhalten, fliegen die Kugeln auseinander und der Kristall löst sich auf. Um den Zustand der Wannier-Stark-Lokalisierung zu analysieren, mussten die Physiker folglich zunächst die haltgebenden Kräfte entfernen, dann das System im Bruchteil einer Lichtschwingung mittels Lichtimpulsen erfassen und anschließend schnell genug wieder stabilisieren, bevor die Atome auseinanderfliegen. Ermöglicht wurde dies durch das hochintensive elektrische Feld eines ultrakurzen Infrarot-Lichtimpulses, das nur sehr kurzfristig für wenige Femtosekunden im Kristall präsent ist. „Das ist eine unserer Spezialitäten: Phänomene zu untersuchen, die nur auf ganz kurzen Zeitskalen existieren“, erläutert Leitenstorfer.
Abb.: Experimentskizze zur Wannier-Stark-Lokalisierung von Elektronen: Eine intensive infrarote Lichtwelle (rot) setzt für kurze Zeiten einen Halbleiterkristall aus Gallium-Arsenid (GaAs, gelb) unter ein hohes elektrisches Feld. Extrem kurze Abtastimpulse im sichtbaren Spektralbereich (blau) werden genutzt, um zeitaufgelöst die charakteristischen Änderungen der optischen Absorption des Halbleiterkristalls zu analysieren. (Bild: U. Konstanz)
„In perfekten Isolatoren und Halbleitern sind die elektronischen Zustände über den gesamten Kristall ausgedehnt. Das sollte sich laut einer schon etwa achtzig Jahre alten Vorhersage ändern, wenn man eine elektrische Spannung anlegt“, erklärt Torsten Meier von der Universität Paderborn. „Wenn das elektrische Feld im Inneren des Kristalls stark genug ist, können die elektronischen Zustände auf wenige Atome lokalisiert werden. Dieser Zustand wird Wannier-Stark-Leiter genannt“, so der Physiker. „Ein System, das so starke Abweichungen von seinem Gleichgewichtsverhalten zeigt, hat ganz neue Eigenschaften“, erklärt Leitenstorfer das besondere wissenschaftliche Interesse an diesem Zustand: Die kurzzeitige Wannier-Stark-Lokalisierung geht einher mit drastischen Veränderungen der elektronischen Struktur des Kristalls und führt beispielsweise zu einer extrem großen optischen Nichtlinearität. Darüber hinaus vermuten die Physiker eine besonders hohe chemische Reaktivität in diesem Zustand.
Die erstmalige experimentelle Realisierung der Wannier-Stark-Lokalisierung in einem Galliumarsenid-Kristall wurde durch hochintensive Terahertz-Strahlung mit Feldstärken von mehr als zehn Millionen Volt pro Zentimeter möglich. Nachgewiesen wurde dieser Zustand dann über die Veränderung der optischen Eigenschaften mittels weiterer ultrakurzer optischer Lichtimpulse. „Verwendet man geeignete intensive Lichtimpulse, die aus nur wenigen Schwingungen mit Periodendauern von einigen zehn Femtosekunden bestehen, kann die Wannier-Stark-Lokalisierung in einem kurzen Zeitfenster realisiert werden“, so Leitenstorfer. „Die Messergebnisse stimmen mit theoretischen Überlegungen und Simulationen überein, die in den Arbeitsgruppen meines Kollegen Wolf Gero Schmidt und mir durchgeführt wurden“, ergänzt Torsten Meier. Der extreme Materiezustand der Wannier-Stark-Lokalisierung soll zukünftig insbesondere auf atomarer Skala detaillierter untersucht und dessen besondere Eigenschaften nutzbar gemacht werden.
U. Konstanz / JOL