Nanoelektronik lernt wie das Gehirn
Erstmals Funktionsweise der Neuronen des Gehirns mit Halbleitermaterialien nachgeahmt.
Vor allem der Bereich der künstlichen Intelligenz verlangt stetig nach leistungsfähigeren und dabei gleichzeitig sparsameren Computerchips, um beispielsweise Robotern das Laufen zu lernen oder präzise automatische Bilderkennung zu ermöglichen. Während die Optimierung herkömmlicher Mikroelektronik immer näher an physikalische Grenzen kommt, zeigt die Natur am Beispiel des Gehirns, wie sich Informationen schnell und energieeffizient verarbeiten und speichern lassen. Wissenschaftlern der TU Dresden und des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf ist es jetzt erstmals gelungen, die Funktionsweise der Neuronen des Gehirns mit Halbleitermaterialien nachzuahmen.
Die heute gängige Methode, um die Leistungsfähigkeit von Mikroelektronik weiter zu erhöhen, liegt in der Verkleinerung der Komponenten, insbesondere der einzelnen Transistoren auf den Computerchips aus Silizium. „Das geht aber nicht unendlich – wir benötigen neue Ansätze“, erklärt Larysa Baraban vom HZDR. Der Ansatz der Forscherin und ihrer Kollegen orientiert sich am Gehirn und verbindet Datenverarbeitung mit Datenspeicherung in einem künstlichen Neuron.
„Unsere Gruppe hat viel Erfahrung mit biologischen und chemischen elektronischen Sensoren“, fährt Baraban fort. „Deshalb haben wir die Eigenschaften der Neuronen mit den Prinzipien von Biosensoren simuliert und einen klassischen Feldeffekttransistor so verändert, dass ein künstlicher Neurotransistor entsteht.“ Der Vorteil einer solchen Architektur liegt in der gleichzeitigen Speicherung und Verarbeitung von Informationen in ein und demselben Bauelement. Denn diese sind bei herkömmlicher Transistortechnik getrennt, was der Verarbeitungszeit und damit letztendlich auch der Leistungsfähigkeit Grenzen setzt.
Die Idee, Computer nach dem Vorbild des Gehirns zu entwerfen, ist nicht neu. Bereits vor Jahrzehnten gab es schon Versuche, Nervenzellen in der Petrischale mit Elektronik zu verbinden. „Aber niemand braucht einen nassen Computerchip, der regelmäßig gefüttert werden muss“, gibt Gianaurelio Cuniberti von der TU Dresden zu Bedenken. Er zählt zu den geistigen Vätern des Neurotransistors. Jetzt konnten Cuniberti, Baraban und ihr Team ihn umsetzen.
„Wir bringen dafür eine zähflüssige Substanz – Solgel genannt – auf einen herkömmlichen Siliziumwafer mit den Schaltungen auf. Dieses Polymer härtet aus und wird zu einer porösen Keramik“, erklärt Cuniberti. „Zwischen den Löchern bewegen sich Ionen. Sie sind schwerer als Elektronen und springen nach einer Anregung langsamer auf ihre Position zurück. Diese Verzögerung nennt man Hysterese und die ist für den Speichereffekt verantwortlich.“ Das hat entscheidenden Einfluss auf die Funktionsweise, erläutert Cuniberti. „Je stärker der einzelne Transistor angeregt wird, umso eher öffnet er und lässt den Strom fließen. Damit verstärkt sich die entsprechende Verbindung. Das System lernt.“
Cuniberti und sein Team zielen dabei weniger auf herkömmliche Problemstellungen ab. „Computer auf Basis unseres Chips wären weniger präzise und würden mathematische Berechnungen eher schätzen als bis in die letzte Nachkommastelle zu berechnen“, erklärt der Wissenschaftler. „Aber sie wären intelligenter. Ein Roboter mit solchen Prozessoren würde damit beispielsweise laufen oder greifen lernen, ein optisches System besitzen und lernen, Zusammenhänge zu erkennen. Und das alles, ohne Software entwickeln zu müssen.“ Das sind aber nicht die einzigen Vorteile neuromorpher Computer. Dank ihrer Plastizität, die der des menschlichen Gehirns ähnelt, können sie sich im laufenden Betrieb an veränderte Aufgabenstellungen anpassen und auch solche Probleme lösen, für die sie ursprünglich nicht programmiert wurden.
HZDR / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
E. Baek et al.: Intrinsic plasticity of silicon nanowire neurotransistors for dynamic memory and learning functions, Nat. Electronics, online 25. Mai 2020; DOI: 10.1038/s41928-020-0412-1 - Institut für radiopharmazeutische Krebsforschung, Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf
- Materialwissenschaft und Nanotechnik (G. Cuniberti), Technische Universität Dresden