Nanoröhrchen als Hochdruckpressen
Bei der Transmissions-Elektronen-Mikroskopie schrumpfen Nanoröhrchen zusammen und bauen in ihrem Inneren einen hohen Druck auf.
Nanoröhrchen als Hochdruckpressen
Bei der Transmissions-Elektronen-Mikroskopie schrumpfen Nanoröhrchen zusammen und bauen in ihrem Inneren einen hohen Druck auf.
Unter hohem Druck können sich die Eigenschaften von Materialien dramatisch verändern. Die genaue Untersuchung dieser Änderungen ist schwierig. Einem internationalen Forscherteam an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz gelang es nun zu zeigen, dass Nanoröhrchen aus Kohlenstoff bei solchen Untersuchungen helfen können. Unter der Bestrahlung mit Elektronen bei einer Transmissions-Elektronen-Mikroskopie nämlich schrumpfen die Nanoröhrchen zusammen und bauen so in ihrem Inneren einen hohen Druck auf. So kann die Transmissions-Elektronen-Mikroskopie Bilder davon liefern, wie sich ein im Inneren der Röhrchen befindliches Material auf atomarer Ebene unter hohem Druck verändert. Die Forscher berichten in der aktuellen Ausgabe von „Science“ über ihre Experimente.
„Der Druck im Inneren der Nanoröhrchen kann über 40 Gigapascal erreichen“, berichten Florian Banhart und seine Kollegen. Das ist immerhin etwa ein Zehntel des Drucks im Zentrum der Erde, sowie ein Zehntel des Drucks, der sich mit so genannten Diamant-Amboss-Zellen erreichen lässt. Banhart und sein Team verwendeten bei ihren Versuchen mehrschichtige Nanoröhrchen aus Kohlenstoff, die mit Eisen, Eisenkarbid oder Kobalt gefüllt waren.
Abb.: Mehrwandiges Nanoröhrchen, gefüllt mit Eisenkarbid. Die Bilder zeigen das Schrumpfen des Röhrchens im Verlauf der Bestrahlung mit Elektronen: (A) vor der Bestrahlung, (B) nach 12 Minuten, (C) nach 21 Minuten Bestrahlung. (D) zeigt schematisch den Vorgang: Das Röhrchen schrumpft an einem Ende und presst das Eisenkarbid zusammen, dass dadurch in dem Röhrchen nach oben gedrückt wird. (Quelle: Sun et al.)
Die Forscher platzierten die gefüllten Nanoröhrchen in einem Transmissions-Elektronen-Mikroskop (TEM). Bei einer Temperatur von etwa 600 Grad Celsius schlagen die Elektronen einzelne Atome aus dem Kohlenstoffgitter der Nanoröhrchen heraus. Daraufhin strukturieren sich die Atome in der Röhrchenwand um, um die entstandenen Löcher zu schließen. Dieser Vorgang führt zu einem langsamen Zusammenziehen der Nanoröhrchen, wobei das in ihnen befindliche Material wie in einer Hochdruckpresse zusammengedrückt wird.
Der Grund für dieses erstaunliche Verhalten der Nanoröhrchen liegt in der kovalenten Bindung zwischen den Kohlenstoffatomen, eine der stärksten atomaren Bindungen überhaupt. Die hexagonale Anordnung von Kohlenstoffatomen in den Wandungen der Nanoröhrchen bildet deshalb ein nahezu unzerstörbares Netz. Zum einen schließen sich die durch den Elektronenbeschuss erzeugten Lücken durch Neuordnung sofort wieder, zum anderen können die Wandungen der Röhrchen einem großen inneren Druck standhalten.
Bislang benutzen die Materialforscher in erster Linie Diamant-Amboss-Zellen zur Untersuchung kleiner Proben unter hohem Druck. Dabei wird die Probe zwischen zwei Diamantspitzen zusammengepresst. So lassen sich zwar hohe Drucke von bis zu 400 Gigapascal erzeugen. Doch das Material lässt sich dabei nur per Röntgenbeugung oder Raman-Spektroskopie untersuchen. So lassen sich zwar Informationen über die Kristallstruktur gewinnen, die eigentlichen Vorgänge auf atomarer Ebene bleiben aber unbeobachtbar. Die hochauflösende Transmissions-Elektronen-Mikroskopie ist das einzige Verfahren, das Bilder der atomaren Strukturen und ihrer Veränderungen liefern kann.
Die Versuche von Banhart und seinem Team zeigen, dass sich selbst extrem harte Materialien wie Eisenkarbid unter dem hohen Druck im Inneren der Nanoröhrchen deformieren und schließlich brechen. Die Nanoröhrchen-Presse eröffnet den Wissenschaftlern einen neuen Weg, um durch hohen Druck induzierte Veränderungen auf atomarer Ebene zu untersuchen. Die Spannbreite der Anwendungen recht dabei von den Materialwissenschaften über die Geophysik bis zur Planetenforschung. Denn das Verständnis der unter hohem Druck auftretenden Phänomene ist nicht nur für die Optimierung neuartiger Werkstoffe von Bedeutung, sondern auch für die Entwicklung theoretischer Modelle für das Innere der Erde und anderer Planeten.
Rainer Kayser
Weitere Infos:
- Originalarbeit:
L. Sun et al., Carbon Nanotubes as High-Pressure Cylinders and Nanoextruders, Science 312, 1199 (2006).
http://dx.doi.org/10.1126/science.1124594 - Johannes-Gutenberg-Universität Mainz:
http://www.uni-mainz.de - Elektronenmikroskopie-Zentrum Mainz:
http://www.emzm.uni-mainz.de
Weitere Literatur:
- P. M. Ajayan und Sumio Lijima, Capillarity-induced filling of carbon nanotubes, Nature 361, 333 (1993).
- S. C. Tsang et al., A simple chemical method of opening and filling carbon nanotubes, Nature 372, 159 (1994).