18.12.2014

Neue Struktur der Materie

Bei der externen Begutachtung hat die Helmholtz-Forschung hervorragend abgeschnitten.

Alle fünf Jahre müssen sich die sechs Forschungsbereiche der Helmholtz-Gemeinschaft der Begutachtung durch internationale, unabhängige Experten stellen. Ende November wurden die Ergebnisse der jüngsten Evaluation vorgestellt, die im Frühjahr 2014 abgeschlossen wurde. Über 400 Experten haben daran mitgewirkt und 30 Forschungsprogramme sowie 22 große Forschungsinfrastrukturen auf Herz und Nieren geprüft. Dabei ging es um die Frage, wie die Helmholtz-Forschung im internationalen Vergleich abschneidet und ob sie die richtigen Schwerpunkte setzt. Bereits im Frühjahr 2013 wurden die Forschungsbereiche Erde und Umwelt, Gesundheit sowie Luftfahrt, Raumfahrt und Verkehr begutachtet, 2014 waren die Bereiche Energie, Schlüsseltechnologien und Struktur der Materie an der Reihe. Basierend auf dem Urteil der Experten hat der Helmholtz-Senat im Oktober 2014 beschlossen, die drei letztgenannten Bereiche in den Jahren 2015 bis 2019 mit insgesamt 6,63 Milliarden Euro zu fördern.

Die größten Veränderungen gab es im Forschungsbereich „Struktur der Materie“, der am 1. Januar 2015 unter dem neuen Namen „Materie“ und mit grundlegend veränderter Programmstruktur in die neue Förderperiode gestartet ist. „Für die Evaluierung haben wir uns radikal reformiert“, erläutert Helmut Dosch, Vorsitzender des DESY-Direktoriums und Koordinator des Forschungsbereichs. So gliedert der Forschungsbereich sich nun in die drei neu konzipierten Programme „Materie und das Universum“, „Von Materie zu Materialien und Leben“ sowie „Materie und Technologie“. „Das erste Programm kann man durchaus als Revolution bezeichnen“, hebt Dosch hervor. Dort finden sich erstmals Wissenschaftler aus der Teilchen-, Astroteilchen- und Kernphysik in einem gemeinsamen Programm zusammen, um Themen wie Dunkle Materie oder Neutrinophysik aus verschiedenen Perspektiven und auf einer breiteren Basis zu bearbeiten. „Wir wollen nun untersuchen, wo im Überlapp dieser Disziplinen das meiste Entdeckungspotenzial steckt und wie man dieses heben kann“, führt Helmut Dosch aus. „Hier sind wir Architekten einer neuen Forschungsstruktur, die sich weltweit durchsetzen wird“, ist er überzeugt.

Im zweiten Programm geht es um die Frage, wie sich Materialien und Wirkstoffe mit neuen nützlichen Funktionen herstellen lassen. Dies gelingt nur mit verbesserten Einblicken in die molekulare Struktur. Hierfür betreibt der Forschungsbereich modernste Supermikroskope, die höchstaufgelöste Bilder aus dem Nanokosmos liefern: hochbrillante Synchrotronstrahlungs- und Neutronenquellen und die neuartigen Röntgenlaser, die künftig Schnappschüsse von chemischen Reaktionen und von schnellen elektronischen Prozessen in kondensierter Materie erlauben.

Der Freie-Elektronen-Laser FLASH am DESY – hier eine Mess-Station in der Experimentierhalle – gehört zu den begutachteten Großgeräten der Helmholtz-Gemeinschaft. (Bild: DESY)

Auch das dritte Programm hat sich völlig neu aufgestellt, um das technologische Know-how der verschiedenen Helmholtz-Zentren zu bündeln und den Bereich strategisch weiterzuentwickeln. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung neuer Beschleunigertechnologien und Detektorsysteme. „Wir haben ein nationales Beschleunigerprogramm ins Leben gerufen, um das uns die amerikanischen Kollegen bereits beneiden“, freut sich Helmut Dosch. Ein Ziel dieser Anstrengungen sind neuartige Hochgradienten-Beschleuniger, die deutlich kleiner sind als derzeitige Anlagen und die man beispielsweise in Kranken­häusern installieren könnte.

Die Gutachter haben allen drei Programmen herausragende wissenschaftliche Qualität bescheinigt und die mutige Umstrukturierung begrüßt. Gleichzeitig empfahlen sie, eine Roadmap für Photonenquellen in Deutschland zu erstellen, um die vielversprechendsten Projekte dieses Gebiets auszuloten. Ein anderes wichtiges Thema betrifft die deutsche Beteiligung am LHC sowie an dessen Upgrade-Programm, das auch neue Detektoren umfasst. Disziplinenübergreifend gaben die Gutachter den Forschern aller sechs Bereiche den Auftrag, eine Strategie für das Management der riesigen Datenmengen zu entwickeln, die künftig weiter anwachsen werden.

Separat wurden zudem die erwähnten Nutzer-Großgeräte evaluiert, also im Bereich Materie die Röntgen-, Neutronen- und Ionenquellen oder auch das neue Hochfeldmagnetlabor in Dresden-Rossendorf. Während die Forschungsprogramme in der neuen Förderperiode jährlich drei Prozent mehr Mittel erhalten, sind es bei den Großgeräten vier Prozent. Helmut Dosch wertet dies als großen Erfolg und freut sich: „Die Planungs­sicherheit über mehrere Jahre ist ein besonderes Gut, das unsere Zentren so attraktiv macht, dass wir internationale Koryphäen zu uns locken können.“

Offen ist allerdings die Frage, wer die Betriebskosten für die internationalen Großgeräte zahlt, an denen Deutschland beteiligt ist. Allein beim Europäischen Röntgen­laser XFEL geht es jährlich um rund hundert Millionen Euro. Während bislang das BMBF solche Kosten übernommen hat, soll sich künftig die Helmholtz-Gemeinschaft als Betreiber der Großgeräte daran beteiligen. „Die Gefahr besteht aber, dass das federführende Helmholtz-Zentrum dadurch eine so hohe finanzielle Belastung hat, dass es sich an der wissenschaftlichen Ernte nicht mehr beteiligen kann“, fürchtet Helmut Dosch. Angesichts einer sehr konstruktiven Diskussion mit dem Ministerium hofft er aber auf eine Lösung, mit der alle leben können.

Maike Pfalz

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