Physiker der Universität Leipzig haben ein achtzig Jahre altes Problem der Raman-Spektroskopie gelöst. Die Forscher um Marius Grundmann stellten eine Theorie auf und erklärten damit die bei der Raman-Streuung auftretenden Intensitäten für beliebig orientierte Kristalle aller Klassen. Die Raman-Spektroskopie ist eine berührungsfreie Analysemethode zur Materialcharakterisierung. Sie lässt sich unter anderem zur chemischen und physikalischen Charakterisierung von Halbleitermaterialien, Edel- und Halbedelsteinen, Katalysatoren, Mineralien, Polymeren und vielen anderen Materialien verwenden.
Abb.: Blaue Leuchtdioden basieren auf Indiumgalliumnitrid. (Bild: Materialscientist, wikipedia.org)
Bei der Raman-Streuung regt auf den Kristall einfallendes Laserlicht mechanische Gitterschwingungen der Atome an, verliert dabei an Energie und kommt mit etwas anderer Wellenlänge zurück. Das untersuchte Phänomen tritt bei nicht-kubischen Kristallen auf, wie beispielsweise bei Galliumnitrid – dem Material, aus dem moderne, weiße Leuchtdioden hergestellt werden.
„Die mit der Doppelbrechung verbundenen Effekte auf die Raman-Streuung wurden, nach Scheitern erster Ansätze, jahrzehntelang ignoriert, als viel zu schwierig angesehen oder auch völlig falsch interpretiert", sagt Experimentalphysiker Grundmann. Bei der Doppelbrechung breitet sich Licht verschiedener Polarisation im Kristall mit unterschiedlicher Geschwindigkeit aus. Mit der neuen Leipziger Theorie, welche die durch Doppelbrechung verursachten Effekte berücksichtigt, gelingt es, die im Labor gemessenen Eigenschaften von Galliumnitrid und anderen doppelbrechenden Materialien wie Zinkoxid oder Galliumoxid erstmalig vollständig zu erklären. „Es wird möglich, die Raman-Streuung an optisch anisotropen Materialien überhaupt zu verstehen. Anwendungen ergeben sich für alle kristallinen Materialien und insbesondere Dünnschichtsysteme, die nicht aus kubischen Materialien aufgebaut sind, also zum Beispiel blaue und weiße Leuchtdioden, UV-Photodetektoren, UV-Laser, aber auch bestimmte Transistoren, die nicht aus Silizium sind", sagt Grundmann.
Bisherige Erklärungsansätze seien dadurch hinfällig geworden, ergänzt Christian Kranert aus Grundmanns Forscherteam. „Unsere Theorie lässt es zu, die Orientierung eines Kristalls zu bestimmen. Sie eröffnet uns einen völlig neuen Zugang für die Untersuchung der Verbindung von elektronischen und strukturellen Eigenschaften", erklärt er. Die Kristallorientierung ist eine Grundeigenschaft, die für physikalische Experimente von großer Bedeutung ist. „Es ist nun erstmals möglich, diese optisch durch Raman-Spektroskopie zu bestimmen", erläutert Grundmann.
In folgenden Arbeiten werden die Leipziger Physiker ihren neuen Erkenntnisse auf weitere Materialien ausdehnen, die für Leuchtdioden, Photodetektoren, Solarzellen und Transistoren von Bedeutung sind.
U. Leipzig / DE