25.01.2022

Neue Theorie zu den Higgs-Bündeln

Mathematisches Modell für das zweidimensionale Äquivalent des Higgs-Bosons.

Symmetrien sind von fundamentaler Bedeutung in der Physik. Die Suche nach ihnen und ihre Analyse ermög­lichten Physikerinnen und Physikern, eine Theorie für verschiedenste Teilchen zu entwickeln, aus denen unser Universum besteht. Mathematike hingegen konzentrieren sich auf die abstrakten Strukturen dahinter. Tamás Hausel vom Institute of Science and Technology Austria (ISTA) entwickelte gemeinsam mit dem Oxford-Wissen­schaftler Nigel Hitchin eine ausgefeilte Theorie rund um die Higgs-Bündel. Sie wirft neues Licht auf Mysterien der Teilchenphysik.

Abb.: Mathematiker Tamás Hausel arbeitet an abstrakten Theorien, von denen...
Abb.: Mathematiker Tamás Hausel arbeitet an abstrakten Theorien, von denen auch Teilchenphysiker profitieren könnten. (Bild: R. Tagiyev, ISTA)

Hitchin hat 1987 den Begriff der Higgs-Bündel entwickelt, weshalb sie auch die Hitchin-Paare genannt werden. Einfach ausgedrückt ist ein Higgs-Bündel ein zwei­dimensionales Äquivalent des berühmten Higgs-Bosons, eines funda­mentalen Teilchens, das in der vierdimensionalen Raumzeit beschrieben wird. Hausel, der vor mehr als zwanzig Jahren bei Hitchin promoviert hat, arbeitet seit jeher an der Schnittstelle von kombina­torischer, differen­tieller und algebraischer Geometrie und verbindet die weit entfernten Gebiete der Physik und der Zahlentheorie mit einem vielseitigen Instru­mentarium mathematischer Ansätze.

Nun schafft ihre erste Zusammenarbeit nicht nur Klarheit in ihren früheren Theorien, sondern beantwortet auch mehrere drängende Fragen auf diesem Gebiet und möglicher­weise sogar in der Teilchen­physik. „Die erste mathematisch saubere Theorie in einem Bereich zu haben, der aus der mathematischen Physik heraus motiviert wurde, ist enorm spannend“, sagt Hausel. „Hoffentlich wird diese Arbeit in der Geschichte der Entwicklung der geo­metrischen Darstellungs­theorie von Bedeutung sein.“ 

Seit den 1930er-Jahren wissen Wissen­schaftlerinnen und Wissenschaftler, dass es eine natürliche Verbindung zwischen Teilchenphysik und Darstellungs­theorie gibt. Die Darstellungs­theorie ist ein Zweig der Mathematik, der algebraische Strukturen untersucht, etwa abstrakte Transformationen von einem Zustand in einen anderen. Eine Darstellung macht dann die Struktur greifbarer; sie verwendet konkrete Zahlen und Operationen. Von Symmetrie spricht man, wenn die Transformation hinterher zu einem identischen Objekt führt. Konti­nuierliche Trans­formationen, also solche mit einer unendlichen Anzahl von inkre­mentellen Zwischen­schritten, werden in Lie-Gruppen zusammengefasst. Diese Art von Symmetrie tritt zum Beispiel auf, wenn man einen Kreis dreht. Er sieht immer gleich aus. Das Konzept der Lie-Gruppe mag sehr speziell erscheinen, ist jedoch für das Verständnis der physikalischen Grundgesetze von zentraler Bedeutung. Zu den Lie-Gruppen gehören auch Symmetrie­konzepte der Elementar­teilchen aus Teilchenphysik und String­theorie. 

Gerne nutzen Hausel und Hitchin die Analogie mit einem schwimmenden Eisberg. Der Eisberg ist mit einer Lie-Gruppe verbunden: Die meisten ihrer Eigenschaften liegen unter der Oberfläche verborgen. Dort unten befinden sich ihre interes­santen nützlichen Eigenschaften. „Alle konzentrieren sich auf den Boden“, sagt Hausel. „Dort ist es äußerst kompliziert. Alles unter der Oberfläche ist noch weitgehend ein Rätsel.“ In ihrer Theorie konstruieren Hausel und Hitchin aus der fraglichen Lie-Gruppe ein abstraktes mathe­matisches Objekt, einen nilpotenten Kegel von Higgs-Bündeln. Der nilpotente Kegel bezieht sich auf den Eisberg. Glücklicherweise ist die Spitze seiner Struktur völlig verständlich. Sie kann mit Hilfe von Gewichtungs­diagrammen verstanden werden, die als visuelle Darstellungen der charak­teristischen Begriffe der Lie-Gruppe dienen. „Von der Spitze können wir Rückschlüsse auf das Unterteil ableiten. Wir können von der Spitze des Eisbergs aus die gesamte Darstellungs­theorie der Lie-Gruppen rekonstruieren. Die anspruchsvollen Fragen dort unten, die sehr technisch sind, sind zwar noch schwer zu erreichen“, räumt Hausel ein, „aber wir haben eine Idee, wie man die Darstellungs­theorie rekons­truieren kann, die – einmal bewiesen – zu neuen, weit­reichenden Erkenntnissen führt.“

Der metaphorische Eisberg hat auch hori­zontale Schichten, die von der Spitze aus analysiert werden können. Es handelt sich dabei um Multi­sektionen des Hitchin-Systems, das ebenfalls von Nigel Hitchin eingeführt wurde und inzwischen weitgehend als die allgemeinste Beschreibung inte­grierbarer Systeme in der mathematischen Physik anerkannt ist. Nun wird das Hitchin-System wie durch einen Röntgen­strahl durchleuchtet, der von der Spitze des nil­potenten Kegels ausgeht. Die Betrachtung von Hitchin-Systemen auf diese Weise ist sowohl elegant als auch nützlich. Hausel erklärt: „In der mathe­matischen Forschung werden einem die Spielregeln nicht vorgegeben. Man muss jene Regeln erfinden, die zu interessanten Konsequenzen führen. Und genau das ist uns in dieser Arbeit gelungen: Wir haben ein sehr schönes Regelwerk erdacht, durch das man ein wunder­bares Universum mit schönen Mustern erhält – wie den Eisberg mit seinen Gewichtungs­diagrammen – und das am Ende das Verständnis des realen Universums befördern kann.“

ISTA / JOL

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