Neuer Oberflächensupraleiter – der merkwürdigste seiner Art
Platinbismut – ein einzigartiger topologischer Supraleiter: Ränder fangen schwer fassbare Majorana-Teilchen ein.
In Platinbismut (PtBi2) geschieht etwas Außergewöhnliches. Eine neue Studie von Forschenden des IFW Dresden und des Exzellenzclusters ct.qmat zeigt: Obwohl PtBi2 wie ein gewöhnlicher, glänzend grauer Kristall aussieht, verhalten sich die Elektronen beim Durchqueren des Materials völlig anders als erwartet. Bereits 2024 konnte das Forschungsteam zeigen, dass die Ober- und Unterseite von Platinbismut supraleitend sind (Link s. Kasten). Wie sich jetzt herausgestellt hat, funktioniert diese Paarbildung anders als bei allen bisher bekannten Supraleitern. Besonders spannend: An den Rändern der supraleitenden Flächen befinden sich Majorana-Teilchen, nach denen schon lange geforscht wird und die sich als fehlertolerante Qubits in Quantencomputern einsetzen lassen.

Drei Eigenschaften machen die Supraleitung von PtBi2 so einzigartig. Erstens: Einige Elektronen sind auf die obere und untere Materialoberfläche beschränkt. Das ist eine sogenannte topologische Eigenschaft von PtBi2, die aus den Wechselwirkungen zwischen Elektronen und der regelmäßig geordneten Atomstruktur entsteht. Entscheidend ist: Topologische Eigenschaften sind robust – sie lassen sich nur ändern, wenn man die Symmetrie des gesamten Materials verändert, etwa durch eine geänderte Kristallstruktur oder ein elektromagnetisches Feld. In PtBi2 ergänzen sich die auf die Oberseite beschränkten Elektronen mit denen auf der Unterseite – unabhängig davon, wie viele Atomlagen dazwischen liegen. Würde man den Kristall in zwei Hälften schneiden, würden auch die neuen Ober- und Unterseiten automatisch wieder komplementäre, oberflächengebundene Elektronen aufweisen.
Zweitens: Bei tiefen Temperaturen schließen sich diese Oberflächenelektronen zu Paaren zusammen und können sich ohne Widerstand bewegen. Die übrigen Elektronen bleiben ungepaart und verhalten sich weiterhin normal. PtBi₂ ist somit ein natürliches Supraleiter-Sandwich – mit supraleitenden Oberflächen und einem normalen metallischen Inneren.
Die topologischen Eigenschaften dieser Oberflächenelektronen machen PtBi2 zu einem topologischen Supraleiter. Nur wenige Materialien gelten bislang als Kandidaten für eine intrinsische topologische Supraleitung – für keines davon gibt es jedoch so überzeugende experimentelle Belege wie für PtBi2.
Drittens: Neue, außergewöhnlich hochauflösende Messungen aus dem Labor von Sergey Borisenko am Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung (IFW Dresden) zeigen, dass nicht alle Oberflächenelektronen gleichermaßen Elektronenpaare bilden. Überraschenderweise verweigern sich Elektronen, die sich entlang sechs symmetrischer Richtungen bewegen, dieser Paarbildung konsequent. Diese Richtungen spiegeln die dreifache Rotationssymmetrie wider, mit der die Atome an der Oberfläche des Materials angeordnet sind.
In herkömmlichen Supraleitern paaren sich alle Elektronen, unabhängig von ihrer Bewegungsrichtung. Manche unkonventionellen Supraleiter – etwa die für ihre hohen Übergangstemperaturen bekannten Kuprate – zeigen eine eingeschränktere Paarbildung mit vierfacher Rotationssymmetrie. PtBi2 ist der erste Supraleiter, der eine Paarbildung mit sechsfacher Rotationssymmetrie aufweist.
„Das haben wir noch nie gesehen. PtBi2 ist nicht nur ein topologischer Supraleiter – auch die Elektronenpaarung, die diese Supraleitung ermöglicht, unterscheidet sich grundlegend von allen anderen bekannten Supraleitern“, sagt Borisenko. „Wir wissen bislang nicht, wie diese Paarung genau zustande kommt.“
Die neue Studie zeigt außerdem, dass PtBi2 einen neuen Weg eröffnet, um die lang gesuchten Majorana-Teilchen zu erzeugen.
„Unsere Berechnungen belegen, dass die topologische Supraleitung in PtBi₂ automatisch Majorana-Teilchen hervorbringt, die an den Rändern des Materials gefangen sind. In der Praxis könnten wir künstlich Stufenkanten im Kristall erzeugen, um so viele Majoranas zu erzeugen, wie wir wollen“, erklärt Prof. Jeroen van den Brink, Direktor des Instituts für Theoretische Festkörperphysik am IFW Dresden und Gründungsmitglied des Würzburg-Dresdner Exzellenzclusters ct.qmat.
Ein Paar aus zwei Majorana-Teilchen verhält sich wie ein einzelnes Elektron – getrennt jedoch sind sie etwas völlig anderes. Dieses Prinzip der „geteilten Elektronen“ bildet die Grundlage des topologischen Quantencomputings, das darauf abzielt, stabilere Qubits zu entwickeln. Die räumliche Trennung der Majorana-Paare schützt sie vor Störungen und Fehlern.
Nach der Entdeckung der einzigartigen Supraleitung von PtBi₂ und der damit verbundenen Majorana-Teilchen geht es nun darum, sie gezielt zu steuern. Wird das Material beispielsweise dünner, verändert sich die nichtsupraleitende „Sandwichfüllung“ und kann sich von einem leitenden Metall in einen Isolator verwandeln. Dadurch würden die nichtsupraleitenden Elektronen die Nutzung der Majoranas als Qubits nicht mehr beeinträchtigen. Alternativ lässt sich durch das Anlegen eines Magnetfelds die Energie der Elektronen verschieben, sodass sich die Majorana-Teilchen etwa von den Rändern zu den Ecken des Materials bewegen könnten. [ct.qmat]
Weitere Informationen
- Originalveröffentlichung
S. Changdar, O. Suvorov, A. Kuibarov, et al., Topological nodal i-wave superconductivity in PtBi2, Nature 647, 613–618, 20. November 2025; DOI: 10.1038/s41586-025-09712-6 - Würzburg-Dresdner Exzellenzcluster ct.qmat, www.ctqmat.de, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
- Synchrotron Methods Research Team (Sergey Borisenko), Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung (IFW Dresden)













