14.08.2025

Neuartige experimentelle Methode misst die Higgs-Mode in Hochtemperatursupraleitern

Analyse solcher Moden erlaubt Rückschlüsse auf die verborgenen Symmetrien und die innere Struktur von Quantenkondensaten.

In Supraleitern können sich Elektronen auf bemerkenswerte Weise in einem gemeinsamen Quantenzustand zusammenschließen, in dem elektrischer Strom völlig verlustfrei fließt. Forschende können diesen Zustand mit ultrakurzen Laserpulsen gezielt anregen und dadurch ins Schwingen bringen. So entstehen Higgs-Moden – kollektive Schwingungen des supraleitenden Zustands selbst. Dabei erinnert der Begriff nicht von ungefähr an das Higgs-Boson der Teilchenphysik: Auch hier geht es um die Schwingung eines Feldes, basierend auf den gleichen physikalischen Prinzipien der Symmetriebrechung. Im Fall der Supraleiter liefert die Higgs-Mode wertvolle Einblicke in die verborgenen Symmetrien und die innere Struktur dieses besonderen Zustands. Man kann sich das Schwingungsspektrum der Higgs-Moden wie den Fingerabdruck eines Supraleiters vorstellen – eine Art charakteristisches Echo, das dessen Eigenschaften sichtbar macht.

Arbeit im Raman-Labor in Hamburg am Center for Free-Electron Laser Science...
Arbeit im Raman-Labor in Hamburg am Center for Free-Electron Laser Science (CFEL), v. l. n. r. Tomke Glier, Mika Rerrer und Malte van Heek
Quelle: UHH, M. Rübhausen

Ein internationales Forschungsteam um Tomke Glier (Universität Hamburg), Stefan Kaiser (TU Dresden), Dirk Manske (Max-Planck-Institut Stuttgart) und Michael Rübhausen (Universität Hamburg) hat mit einer bahnbrechenden experimentellen Methode einen Weg gefunden, die Higgs-Mode in Supraleitern direkt zu messen.

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Carsten Timm • 12/2024 • Seite 18

Kagome-Supraleiter sorgen für Wirbel

„Terahertz-Laser haben in den letzten zehn Jahren große Fortschritte in der experimentellen Higgs-Spektro­skopie ermöglicht“, erklärt Stefan Kaiser, Professor an der TU Dresden. „Was bisher jedoch fehlte, war ein präzises Werkzeug zur Untersuchung der Symmetrie­eigenschaften dieser Anregungen – genau hier setzt die Raman-Spektroskopie an.“

Das Team entwickelte dazu Non-Equilibrium Anti-Stokes Raman Scattering (NEARS). Dabei wird ein gezielter „Soft Quench“ des Mexican-Hat-Potenzials ausgelöst, was zu einer kontrol­lierten Anregung metastabiler Higgs-Zustände führt. „Durch diese Anregung entsteht eine charakte­ristische Populations­inversion, die sich im Spektrum als zusätzliches Anti-Stokes-Raman-Signal zeigt“, erläutert Post­dokto­randin Tomke Glier. „Diese polarisationsabhängige Raman-Spektroskopie ermöglicht es erstmals, die Symmetrie der Higgs-Moden experimentell zu bestimmen – ein entscheidender Schritt“, ergänzt Dirk Manske, der zusammen mit Theoretikern am MPI Stuttgart und innerhalb des Max-Planck – UBC – UTokyo Centers für Quantenmaterialien eine Klassifizierung möglicher Higgs-Moden in Supraleitern erstellt hat.

Das Team konnte durch die NEARS-Technik erstmals die symmetrieabhängigen Higgs-Moden in A1g- und B1g-Symmetrie bei etwa 25 meV in Bi2Sr2CaCu2O8+x (Bi-2212), einem Hoch­temperatur­supraleiter, nachweisen. Diese Untersuchung wurde in Abhängigkeit von der Quench-Stärke durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Energie dieser Moden mit den Kopplungslängen von Cooper-Paaren unter 5  nm in Bi-2212 übereinstimmt. Zudem wurde ein BCS-Modell der elektro­nischen Raman-Streuung von dem Team um Dirk Manske entwickelt, sowie eine vergleichende Ginzburg-Landau-Theorie angewendet, um die experimentellen Ergebnisse zu unterstützen.

Eine NEARS Messung am Supraleiter charakterisiert dessen Higgs Mode wie einen...
Eine NEARS Messung am Supraleiter charakterisiert dessen Higgs Mode wie einen Fingerabdruck. Dazu wird die Higgs Mode mit einem Quench-Puls (rot) zu Schwingungen angeregt. Diese können dann durch anti-Stokes-Raman-Streuung (blau) vollständig in unterschiedlichen Symmetriekanälen charakterisiert werden.
Quelle: T. E. Glier et al.

NEARS-Messungen werden an dem einzigartigen, neu entwickelten Raman-Spektrometer in Hamburg am Center for Free-Electron Laser Science (CFEL, Arbeitsgruppe Rübhausen) durchgeführt. Das in Hamburg entwickelte Spektrometer ermöglicht zeitaufgelöste Raman-Spektroskopie in Resonanz mit den entscheidenden Energieskalen der kondensierten Materie. „Diesen großen Spektralbereich in Verbindung mit sehr hoher Energieauflösung bei kleinen Anregungsenergien erreichen wir mit diesem seit vielen Jahren kontinuierlich weiterentwickelten Aufbau“, erklärt Rübhausen.

NEARS eröffnet einen systematischen Zugang zur Analyse von Amplitudenmoden in einer Vielzahl von Quantenkondensaten – von Supraleitern mit konkurrierenden Ordnungen bis hin zu transient induzierten supraleitenden Zuständen oder Interface-Supraleitungen. Die Präsenz der Higgs-Mode kann künftig sogar als Kriterium für eine Supraleitung herangezogen sowie genutzt werden, um Kohärenzlängen und Symmetrien des Ordnungsparameters neuer Supraleiter zu charakterisieren. [T.E.Glier et al. / dre]

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