29.10.2024

Wegweiser für Elektronen

In Cupraten sorgt eine antiferromagnetische Wechselwirkung mit langer Reichweite für richtungsabhängiges Verhalten der Elektronen.

Hochtemperatur-Supraleitung gehört zu den großen Rätseln der modernen Physik: Manche Materialien leiten elektrischen Strom völlig ohne Widerstand – allerdings nur bei sehr kalten Temperaturen. Würde man ein Material finden, das auch bei Raumtemperatur noch supraleitend bleibt, wäre das eine technische Revolution. Auf der ganzen Welt arbeitet man daher an einem besseren, umfassenderen Verständnis der Effekte in solchen Materialien.


Abb.: Elektronen in Supraleitern können sich manchmal nur in ganz bestimmte...
Abb.: Elektronen in Supraleitern können sich manchmal nur in ganz bestimmte Richtungen ausbreiten – in andere nicht.
Quelle: TU Wien

Ein wichtiger Schritt gelang nun an der TU Wien. Gerade bei einer besonders interessanten Klasse von Hochtemperatur-Supraleiten, den Cupraten, gibt es nämlich einen sehr überraschenden Effekt: Unter bestimmten Bedingungen können sich die Elektronen in diesen Materialien nur in bestimmte Richtungen bewegen, in andere Richtungen hingegen nicht. Die erlaubten Richtungen lassen sich als Kurven darstellen, man spricht von „Fermi-Bögen“. Mit Hilfe von Laserlicht, das Elektronen gezielt aus dem Material herausschlägt, können diese Bögen sichtbar gemacht werden. Einem Team am Institut für Festkörperphysik der TU Wien gelang es nun, theoretische und numerische Modelle zu entwickeln, die diesen Effekt erklären: Er kommt durch die magnetischen Wechselwirkungen zwischen den Elektronen unterschiedlicher Atome zustande.

Erklärungsansätze für die Supraleitung gibt es schon lange: Bereits 1972 wurde der Nobelpreis für die BCS-Theorie vergeben, mit der man Supraleitung in Metallen mathematisch beschreiben kann. Doch gerade bei besonders interessanten Materialien, die Supraleitung auch noch bei vergleichsweisen hohen Temperaturen erlauben, versagt diese Theorie. Zu diesen Materialien zählen auch die Cuprate – kupferhaltige Verbindungen, die heute zu den meisterforschten supraleitenden Materialien gehören.

Bei diesen Materialien stößt man auf eine ganze Reihe unerklärter Phänomene, die oft eng miteinander zusammenhängen“, sagten Alessandro Toschi, der das Forschungsprojekt zusammen mit Karsten Held koordinierte. Eines dieser Phänomene sind eben diese Fermi-Bögen. Man kann den Hochtemperatur-Supraleitern zusätzliche Elektronen hinzufügen und dann messen, wie sich diese Elektronen im Material bewegen – oder aus Perspektive der Quantenphysik formuliert: welche Quantenzustände diese Elektronen annehmen können. Bei solchen Messungen stieß man auf eine Überraschung: „Das Material erlaubt nur bestimmte Impulsrichtungen“, erklärt Matthias Reitner von der TU Wien. „Das heißt, nur in bestimmte Richtungen können sich die Elektronen überhaupt bewegen.“ Die quantenphysikalisch erlaubten Zustände liegen auf einer Kurve (einem Fermi-Bogen), die an bestimmten Stellen abrupt endet – ein äußerst untypisches Verhalten, das sich mit üblichen theoretischen Modellen nicht erklären lässt.

Dem Team der TU Wien – Paul Worm, Matthias Reitner, Karsten Held und Alessandro Toschi – gelang es nun aber, dieses überraschende Verhalten theoretisch zu erklären. Man entwickelte aufwändige Computersimulationen, aber auch ein analytisches Modell, welches das Phänomen mit einer einfachen Formel beschreibt.

Der Schlüssel für den Effekt ist eine antiferromagnetische Wechselwirkung“, sagt Matthias Reitner. Antiferromagnetismus bedeutet, dass sich die magnetische Richtung eines Atoms vorzugsweise entgegengesetzt zur Richtung des Nachbaratoms ausrichtet. „In den Cupraten, die wir modelliert haben, handelt es sich um eine antiferromagnetische Wechselwirkung mit langer Reichweite“ sagt Matthias Reitner. Die magnetischen Momente der Elektronen auf verschiedenen Atomen richten sich also über größere Distanzen so aus, dass die magnetische Ausrichtung der Elektronen immer abwechselnd mal in die eine, dann in die andere Richtung zeigt – ähnlich wie beim Schachbrett, auf dem jedes Feld anders gefärbt ist als seine direkten Nachbarfelder.“ Das Forschungsteam konnte zeigen, dass dieses magnetische Muster in weiterer Folge zu dem merkwürdigen richtungsabhängigen Verhalten der Elektronen führt.

Damit konnten wir zum ersten Mal ein theoretisches Modell für das abrupte Ende der Fermi-Bögen präsentieren und erklären, warum die Bewegung von Elektronen in solchen Materialien nur in bestimmten Richtungen möglich ist“, sagt Paul Worm. „Dieser Fortschritt hilft uns nicht nur, einige der ungeklärten Rätsel der Hochtemperatursupraleiter besser zu verstehen, sondern er könnte auch die künftige Forschung an Materialien mit ähnlichen unkonventionellen Eigenschaften weiter vorantreiben.“

TU Wien / DE


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