Supraleiter zeigen ordentliche Unordnung
Chaotisch angeordnete Atome produzieren verblüffende, magnetische Ordnung.
Wie man Supraleiter für hohe Temperaturen herstellen kann, ist nach wie vor ein ungelöstes Problem. Nun entdeckte man an der TU Wien in Zusammenarbeit mit Institutionen aus Kroatien, Frankreich, Polen, Singapur, der Schweiz und den USA einen überraschenden Zusammenhang zwischen zwei eigentlich ganz unterschiedlichen Klassen von Supraleitern – den Cupraten und Pnictiden: Das Material Murunskit verbindet Eigenschaften von beiden auf unerwartete Weise. Das Erstaunliche daran: Auch wenn die entscheidenden Atome im Material völlig zufällig und regellos angeordnet sind, ergibt sich in den magnetischen Eigenschaften eine saubere Ordnung, sogar bei erstaunlich hohen Temperaturen, und erinnert an die Eigenschaften von Pnictiden.

Analog dazu tritt in den Cupraten trotz starker lokaler Unordnung eine besondere Art von Metallizität auf, die möglicherweise nur in außergewöhnlich reinen Systemen vorkommt, zusammen mit der Hochtemperatur-Supraleitfähigkeit. Der Gund dafür sind offene Ligandenorbitale. Hochtemperatur-Supraleiter verdanken ihre Eigenschaften normalerweise dem komplexen quantenphysikalischen Zusammenspiel zwischen verschiedenen Atomsorten. Nur mit sehr großem Aufwand kann man die Effekte in solchen Materialien am Computer simulieren und theoretisch verstehen.
Man hat in den letzten Jahrzehnten aber verschiedene Materialklassen gefunden, die sich als vielversprechend für die Supraleitungsforschung herausgestellt haben – etwa die Klasse er Cuprate. Eine völlig andere Klasse von Supraleitern sind die Pnictide – metallische Materialien mit beweglichen Elektronen. An der TU Wien nahm man nun aber ein anderes Material unter die Lupe: Murunskit, ein Kristall aus Kalium, Eisen, Kupfer und Schwefel. Er ist zwar selbst kein Supraleiter, ist aber eng mit supraleitenden Materialien verwandt. „Murunskite sind in gewissem Sinn der missing link zwischen diesen beiden Materialklassen“, sagt Neven Barišić vom Institut für Festkörperphysik. „Sie haben eine Kristallstruktur wie die Pnictide, aber elektronische Eigenschaften ähnlich den Cupraten.“
Es gibt viele Materialien, die magnetische Effekte zeigen. Das bedeutet, dass sich die Atome magnetisch auf dieselbe Weise ausrichten. Normalerweise müssen die Atome dafür auch auf eine regelmäßige Weise geometrisch angeordnet sein. Das ist die allgemein bekannte Art wie sich sicherstellen lässt, dass sich alle auf dieselbe Weise beeinflussen und magnetische Ordnung über große Distanzen entstehen kann. Beim Murunskit ist das aber überraschenderweise anders: „In diesem Material sind die Atome nicht regelmäßig angeordnet“, sagt Priyanka Reddy. „An bestimmten Stellen im Kristallgitter kann entweder ein Kupferatom oder ein Eisenatom sitzen. Die Kupferatome haben keinen magnetischen Effekt, die Eisenatome aber schon.“
Es gibt kein geometrisches Muster, nach dem sich Kupfer- und Eisenatome anordnen, sie sind völlig zufällig durcheinandergemischt. Und trotzdem, so konnte das Forschungsteam nun zeigen, ergibt sich bei einer Temperatur von 97K Kelvin eine magnetische Ordnung: Die Eisenatome richten sich magnetisch in derselben Richtung aus, obwohl sie unterschiedliche Abstände zueinander haben. „Man spricht in diesem Fall von emergenter Ordnung“, erklärt Davor Tolj. „Auch wenn die Atome keiner geometrischen Regel folgen, bilden sie magnetisch geordnete Cluster – geordnete Inseln in einem Meer aus ungeordneten Atomen, die sich gewissermaßen auf eine gemeinsame magnetische Richtung einigen.“ Diese Cluster vernetzen sich mit anderen Clustern, sodass trotz der mangelnden geometrischen Ordnung eine magnetische Ordnung entsteht, die das gesamte Kristallstück durchzieht.
Das Ergebnis zeigt, dass magnetische Ordnung nicht unbedingt auf perfekter atomarer Ordnung beruhen muss. Das eröffnet neue Wege in der Materialforschung – in Bezug auf Supraleiter und auch darüber hinaus.
TU Wien / JOL