31.01.2013

Neutraler Atomstrahl im MeV-Bereich

Ultrakurze Laserpulse und Rydberg-Neutralisierung sind das Herzstück eines neuartigen kompakten Beschleunigers.

Es gibt eine ganze Reihe interessanter Anwendungen für Strahlen aus neutralen Atomen. Im Gegensatz zu Ionen werden sie nicht von elektrischen und magnetischen Feldern abgelenkt und können deshalb tiefer als diese in Materie eindringen. Dies macht sie nicht nur für die Lithographie zu einem zukunftsträchtigen Feld, sondern etwa auch für die Diagnose oder Heizung von Tokamak-Plasmen. Während Ionen aber auf extrem hohe Energien beschleunigt werden können, ist dies bei Atomen nicht möglich. Mit kompakten Geräten, die mit Laserbeschleunigung arbeiten, erreicht man heute bestenfalls Energien im Millielektronvolt-Bereich. Indische Physiker des Tata Institute of Fundamental Research haben diese Grenze nun gleich um gut sechs Größenordnungen durchbrochen und ein neues Beschleunigungsprinzip vorgestellt, mit dem sie neutrale Atomstrahlen bis in den Megaelektronvolt-Bereich erzeugen können.

Abb.: Ein ultrakurzer, intensiver Laserpuls ionisiert die Atome eines Argon-Nanoclusters. Diese werden durch Coulomb-Abstoßung beschleunigt, während die Plasmaelektronen benachbarte kalte Cluster zu Rydberg-Zuständen anregen. Diese transferieren ihre Elektronen sehr effektiv auf die Argon-Ionen, so dass ein neutraler Argon-Strahl zustande kommt. (Bild: Rajeev et al. / NPG)

Der neue, kompakte Beschleunigertyp basiert auf einem dreistufigen Prozess. Im ersten Schritt trifft ein ultrakurzer, intensiver Laserstrahl auf einen Nanocluster neutraler Atome. Der Laserpuls ionisiert die Atome sehr effektiv, wobei starke Elektronenverluste bis hin zu zwölffacher Ionisierung auftreten. Im zweiten Schritt fliegen die freigesetzten Elektronen, die bis zu einige Kiloelektronenvolt kinetische Energie besitzen, durch benachbarte, kalte Nanocluster. Dort regen sie die Atome durch Kollisionen zur Bildung von Rydberg-Zuständen an. Im dritten Schritt, wenige Picosekunden nach dem Laserpuls, folgen die etwas langsameren Ionen den Elektronen.

Durch die Coulomb-Abstoßung der Ionen im Nanocluster explodiert dieser geradezu. Dabei werden die Ionen bis hin zu einem Mega-Elektronenvolt beschleunigt. Auf ihrem wenige Millimeter langen Weg durch die kalten Nanocluster wechselwirken sie mit den Rydberg-Zuständen. Da hochangeregte elektronische Zustände einen guten Wirkungsquerschnitt für Elektronentransfer besitzen, streifen die Ionen den Rydberg-Atomen diese Elektronen ab und werden hierdurch neutralisiert. Auf diese Weise konnten die Forscher mit einer kompakten Apparatur einen abstimmbaren Strahl hochenergetischer neutraler Atome erzeugen.

Bei ihren Experimenten nutzten sie gepulste Laser mit einer Wellenlänge von 800 Nanometern und einer Pulslänge von 100 fs. Die Intensität lag bei 2×1016 W cm-2. Die Nanocluster bestanden aus Argon mit Stückzahlen von gut 70.000 Atomen, wobei die Forscher mit zwei verschiedenen Dichten von 5×1010 und 1×1012 cm-3 arbeiteten. Die Nanocluster erzeugten sie durch die überschallschnelle Expansion eines Teilchenstrahls durch einen 750 Mikrometer schmale Düse.

Bei den benutzten Laserintensitäten erzielten sie hohe Ionisierungsraten. Über 88 Prozent der Argonionen waren siebenfach oder stärker ionisiert. Die durchschnittliche Ladung der Ionen lag bei über acht. Dadurch erreichten die Ionen auch eine hohe kinetische Energie. Niedrig ionisiertes Argon mit nur einem bis vier fehlenden Elektronen kommt nur auf geringe kinetische Energien von unter 7 keV.

Um eine gute Neutralisierungsquote der schnellen Ionen zu erreichen, ist ein hoher Wirkungsquerschnitt für Elektronentransfer unabdingbar. Zwar ließe sich die Neutralisierungsrate auch erhöhen, indem man die zurückgelegte Wegstrecke oder die Dichte des Gases erhöht. Dann aber würde aufgrund die häufigeren Kollisionen auch die kinetische Energie der Ionen wieder abnehmen und der Strahl stärker gestreut werden. Außerdem beeinflusst eine höhere Dichte auch die Lichtabsorption, die zur Erzeugung eines dichten und heißen Plasmas entscheidend ist.

Abb.: Spektrum der kinetischen Energie von Argon-Atomen und -Ionen. Die Ausbeute an Atomen beträgt fast 100 Prozent. Das Innendiagramm zeigt die korrespondierenden Zeitsignale. (Bild: R. Rajeev et al. / NPG)

Der Wirkungsquerschnitt für Elektronenübertragung steigt mit der vierten Potenz der Hauptquantenzahl. Da die durch die Elektronen angeregten Rydberg-Atome sich im Mittel im neunten angeregten Zustand befanden, konnten die Wissenschaftler eine außerordentlich gute Neutralisierung bewerkstelligen. Die im Strahl verbliebenen Ionen filterten sie durch ein starkes elektrisches Feld von 2000 V cm-1 anschließend heraus, so dass sie einen fast zu hundert Prozent reinen Strahl neutraler Atome erhielten.

Mit der nun vorgestellten Apparatur konnten die Forscher Strahlstärken um die 40 µA erzielen. Die Strahl lässt sich über die Größe des Nanoclusters und die Laserparameter abstimmen und eignet sich unter anderem für lithographische Anwendungen.

Um die Stärke der Elektronenübertragung zu überprüfen, wechselten die Forscher das Argon gegen Kohlendioxid-Gas. Argon bildet keine negativ geladenen Ionen, Sauerstoff und Kohlenstoff aber schon. Die Clustergröße passten sie an, so dass sich nur noch rund 14.000 Atome im Nanocluster befanden. Sie konnten negative Ionen mit Energien bis hin zu 300 keV nachweisen. Dies deutet darauf hin, dass es tatsächlich die Elektronenübertragung durch Rydberg-Atome und nicht Rekombination ist, durch die die positiven Ionen wieder ihre Elektronen erhalten.

Dirk Eidemüller

OD

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