16.07.2024

Neutrino-Wechselwirkungen bei Rekord-Energie gemessen

Hochenergetische Neutrinos könnten der Schlüssel zu neuer Physik sein.

Neutrinos sind Elementarteilchen, die in der Frühphase des Universums eine wichtige Rolle gespielt haben. Sie sind der Schlüssel, um mehr über grundlegende Naturgesetze zu erfahren, wie etwa die Frage, wie Teilchen ihre Masse erhalten und warum es im Universum mehr Materie als Antimaterie gibt. Obwohl Neutrinos zu den häufigsten Teilchen im Universum gehören, sind sie sehr schwer zu untersuchen, da sie nur selten mit anderer Materie in Wechselwirkung treten. Ihre Existenz ist seit einigen Jahrzehnten bekannt und Neutrinos spielten eine wichtige Rolle beim Aufbau des Standardmodells der Teilchenphysik. Bisher wurden jedoch vor allem Neutrinos im niedrigen Energiebereich untersucht, die in eigens dafür konstruierten Anlagen erzeugt wurden. Der internationalen FASER-Kollaboration ist es jetzt gelungen, die Wechselwirkung von Elektron- und Myon-Neutrinos mit Atomkernen bei der bisher höchsten Energie von etwa einem Tera-Elektronvolt zu messen.

Abb.: Der FASERν-Neutrino-Detektor.
Abb.: Der FASERν-Neutrino-Detektor.
Quelle: A. Arig, U. Bern / CERN

Die Messung gelang mit dem FASERν-Teilchendetektor des FASER-Experiments, das Neutrinos misst, die bei Teilchenkollisionen im Large Hadron Collider des CERN entstehen. Es ist die erste Beobachtung von Elektron-Neutrinos am LHC. „Dieses Forschungsresultat ist von großer Bedeutung, weil die Untersuchung von Neutrinos bei so hohen Energien die Möglichkeit bietet, tiefere Einblicke in die fundamentalen Gesetze der Natur zu gewinnen, seltene Prozesse zu studieren und möglicherweise neue physikalische Phänomene zu entdecken“, sagt Akitaka Ariga, Teilchenphysiker und Leiter der FASER-Gruppe am Laboratorium für Hochenergiephysik der Universität Bern.

Der Neutrinodetektor FASERν beobachtet hochenergetische Neutrinos, die bei Proton-Proton-Kollisionen im LHC erzeugt werden. Er befindet sich unter der Erde 480 Meter vom eigentlichen Kollisionspunkt und besteht aus abwechselnden Schichten von Wolframplatten und Emulsionsfilmen, die Partikelspuren mit nanometergenauer Präzision erfassen können. „In der aktuellen Studie wurde ein Teil der 2022 mit dem FASERν -Detektor gesammelten Daten analysiert. Das sind nur zwei Prozent der bisher gesammelten Daten, wir haben also noch viel vor“, erklärt Ariga.

Im FASER-Experiment soll in den nächsten Jahren die Zahl der nachgewiesenen Neutrinos verhundertfacht werden, um Fragen nach den Unterschieden zwischen den insgesamt drei Neutrino-Unterarten und möglichen unbekannten Kräften zu klären. Das Tau-Neutrino, die dritte Unterart, ist bei niedrigen Energien schwer zu erzeugen und nachzuweisen. „Die hohe Energie des FASER-Experiments ermöglicht es, Tau-Neutrinos effizienter zu erzeugen und zu untersuchen. Über diese Neutrinos ist bisher wenig bekannt und sie könnten neue physikalische Erkenntnisse liefern“, merkt Ariga an. Das FASER-Experiment wird noch bis Ende 2025 Daten sammeln.

Zukünftige Experimente, wie das Folgeexperiment FASERν 2, sollen mehr als 10.000-mal größere Datenmengen sammeln, um diese Untersuchungen wesentlich zu erweitern. Um Fragen wie „Warum besteht das Universum hauptsächlich aus Materie und nur sehr wenig Antimaterie?“ oder „Was ist dunkle Materie?“ eines Tages beantworten zu können, ist die Entdeckung bisher unbekannter Kräfte oder neuer Teilchen unabdingbar. „Vielleicht finden wir mit den hochenergetischen Neutrinos bisher unentdeckte Physik“, so Ariga.

U. Bern / RK

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