20.04.2006

Neutrinos als Geburtshelfer

Ein neuer Prozess der Nukleosynthese in Supernova-Explosionen erklärt die beobachteten Häufigkeiten schwerer Atomkerne.




Ein neuer Prozess der Nukleosynthese in Supernova-Explosionen erklärt die beobachteten Häufigkeiten schwerer Atomkerne.

Die Entstehung der schweren chemischen Elemente in den Sternen gibt der Kernphysik noch immer so manches Rätsel auf. Zwar kennt man die entscheidenden Prozesse der Nukleosynthese schon seit langem. Doch die beobachteten Häufigkeiten der schweren Atomkerne jenseits des Eisens sind größer als erwartet. Jetzt hat ein internationales Team von Kern- und Astrophysikern einen neuen, von Neutrinos angestoßenen Verschmelzungsprozess identifiziert, der die Theorie mit den Beobachtungen in Einklang bringen könnte.

Die heute vorhandenen chemischen Elemente sind schrittweise entstanden. In den ersten Minuten nach dem Urknall waren die Dichte und die Temperatur so hoch, dass die Isotope der leichten chemischen Elemente (Deuterium, Helium, Lithium) direkt durch Verschmelzung von Protonen und Neutronen entstehen konnten. Doch die schnelle Expansion des Universums ließ die Dichte und die Temperatur so stark absinken, dass die Nukleosynthese zunächst zum Erliegen kam. Für etwa 200 Millionen Jahre blieb die chemische Zusammensetzung des Universums unverändert.

Erst mit der Entstehung der Sterne setzte die Kernverschmelzung wieder ein. Im Innern der Sterne herrschten so hohe Temperaturen und Drücke, dass durch Fusion von Wasserstoff und dann von Helium die chemischen Elemente bis zum Eisen entstanden. Das Eisen gelangte durch Supernovaexplosionen in das interstellare Gas und von da in das Innere von Sternen späterer Generationen, wo es sich weiter anreichern konnte. Durch langsamen Neutroneneinfang („s-Prozess“) konnten aus dem Eisen schwerere Elemente bis zum Uran entstehen.

Während der s-Prozess sekundär ist und auf den schon vorhandenen schweren Elementen aufbaut, gibt es aber auch primäre Prozesse, die die schweren Atomkerne von Grund auf produzieren. Dazu gehört der schnelle Neutroneneinfang („r-Prozess“) durch leichte Kerne, die dabei als Kondensationskeime wirken. Der dazu nötige riesige Neutronenfluss tritt z. B. in einer Supernova auf. Doch all diese Prozesse (und andere wie der direkte Protoneneinfang) können die beobachteten Häufigkeiten der schweren Elemente jenseits des Eisens nicht befriedigend erklären. So hat man z. B. extrem „metallarme“ Sterne in der Milchstraße entdeckt (bei denen sekundäre Prozesse keine wichtige Rolle spielen können), in denen das Häufigkeitsverhältnis von Strontium und Eisen zehnmal größer ist als in der Sonne.

Es muss also noch andere primäre Prozesse geben als den schnellen Neutroneneinfang, um die Entstehung schwerer Elemente wie z. B. Strontium zu erklären. Hier setzt die Arbeit von Carla Fröhlich von der Universität Basel und ihren Mitarbeitern an. Sie stellen den so genannten „νp-Prozess“ zur Diskussion, der bei Supernovaexplosionen auftreten sollte. Beim Kollaps des Kerns einer Supernova wird ein großer Teil der freiwerdenden Energie in Form von Neutrinos und Antineutrinos abgestrahlt. Während Neutronen von Elektron-Neutrinos in Protonen und Elektronen umgewandelt werden, verwandeln sich Protonen durch Elektron-Antineutrinos in Neutronen und Positronen. Dabei überwiegen die Protonen, da sie eine kleinere Masse haben als die Neutronen. Doch wegen der Coulomb-Abstoßung können schwere Atomkerne die Protonen kaum einfangen. Deshalb sollte dieser Teil der von der Supernova herausgeschleuderten Materie vor allem aus schweren eisenähnlichen Kernen und aus Protonen bestehen.

Doch nach den Überlegungen von Carla Fröhlich und ihren Kollegen geschieht in dieser Materie in einem Temperaturbereicht von 1 bis 3 Mrd. Kelvin etwas anderes. Die Antineutrinos, die auf das Überangebot an Protonen treffen, wandeln viele der Protonen in Neutronen um. Für einige Sekunden entsteht eine Neutronendichte von 10 14 bis 10 15 cm –3. Diese zusätzlichen Neutronen können leicht von neutronenarmen Kernen wie Germanium-64 eingefangen werden. Dadurch wird die Nukleosynthese über die Kernmassenzahl 64 hinaus getrieben. In umfangreichen Modellrechnungen, die 1435 Isotope mit Massenzahlen zwischen 1 und 54 berücksichtigt haben, konnten die Forscher zeigen, dass der νp-Prozess zu einer deutlich erhöhten Produktion von schweren Elementen führt. Die berechneten Häufigkeiten hängen indes davon ab, wie die entsprechende Materie durch die Supernovaexplosion herausgeschleudert wird. Wie wichtig der νp-Prozess tatsächlich für die Entstehung schwerer Elemente ist, werden verbesserte Supernovasimulationen und bessere Daten über die Elementhäufigkeit in den Sternen zeigen.

Rainer Scharf

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