Neutrinos aus dem Teilchenbeschleuniger
FASER-Experiment am Large Hadron Collider identifiziert hochenergetische Neutrinos aus Teilchenkollisionen.
Ein Team mit Beteiligung der Universität Bern hat erstmals Neutrinos nachgewiesen, die von einem Teilchenbeschleuniger erzeugt wurden, und zwar vom Large Hadron Collider (LHC) des CERN. Die Entdeckung wird dabei helfen, das Verständnis dieser Elementarteilchen zu vertiefen, die zu den am häufigsten vorkommenden Teilchen im Universum gehören. Und sie wird zur Beantwortung der Frage beitragen können, warum es mehr Materie als Antimaterie gibt.
Ihre Existenz ist schon seit mehreren Jahrzehnten bekannt, und Neutrinos waren sehr wichtig für die Etablierung des Standardmodells der Teilchenphysik. Aber die meisten bisher untersuchten Neutrinos waren niederenergetische Neutrinos. Noch nie konnte bisher ein Neutrino nachgewiesen werden, das an einem Teilchenbeschleuniger bei hoher Energie erzeugt wurde. Nun ist genau das einem internationalen Team mit Beteiligung des Laboratoriums für Hochenergiephysik (LHEP) der Universität Bern gelungen. Mit dem FASER-Teilchendetektor am CERN in Genf konnte das Team erstmals sehr hochenergetische Neutrinos nachweisen, die am LHC erzeugt wurden. Dieses Ergebnis gab die internationale FASER-Kollaboration am Sonntag, 19. März 2023, auf der MORIOND EW-Konferenz in La Thuile, Italien, bekannt.
Die Eigenschaften von Neutrinos werden seit ihrer Entdeckung 1956 durch Clyde L. Cowan und Frederick Reines in zahlreichen Experimenten untersucht. Eines der führenden Experimente ist das Deep Underground Neutrino Experiment (DUNE), das gerade in den USA gebaut wird. Die Universität Bern leistet dazu einen wesentlichen Beitrag. Experimente wie DUNE sind darauf ausgerichtet, viele verschiedene Eigenschaften von Neutrinos aus unterschiedlichen Quellen untersuchen können. Jedoch sind diese Experimente nicht auf sehr hochenergetische Neutrinos zugeschnitten.
Erzeugen lassen sich solche hochenergetischen Teilchen, indem man zwei Teilchenstrahlen mit extrem hoher Energie aufeinanderprallen lässt. Bisher wurden jedoch Neutrinos noch nie an einem Teilchenbeschleuniger wie dem LHC nachgewiesen, weil sie den großen Detektoren entkommen, ohne Spuren zu hinterlassen.
Um diese Lücke zu schließen, wurde das FASER-Experiment ins Leben gerufen. „Im FASER-Experiment untersuchen wir Neutrinos, die vom LHC mit sehr hoher Energie erzeugt wurden. Ziel ist es, herauszufinden, wie diese Neutrinos entstehen, ihre Eigenschaften zu studieren sowie nach neuen Elementarteilchen zu suchen“, sagt Akitaka Ariga, Leiter der FASER-Gruppe am Laboratorium für Hochenergiephysik (LHEP) der Universität Bern. „Das FASER-Experiment stellt eine einzigartige Idee dar, an der Schnittstelle zwischen den Teilchenbeschleunigern und der Neutrinophysik. Oft sind es genau diese neuen Ansätze, die neue Entdeckungen ermöglichen“, sagt Michele Weber, Direktor des LHEP der Universität Bern.
Für die aktuelle Beobachtung von Neutrinos analysierte das FASER-Team Daten, die im Jahr 2022 am LHC aufgezeichnet wurden. Dabei konnte das Team 153 Ereignisse identifizieren, bei denen es sich mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit um Neutrino-Interaktionen handelt. Diese so von FASER entdeckten Neutrinos sind die energiereichsten, die jemals in einem Labor erzeugt wurden. Sie ähneln den Neutrinos, die als kosmische Strahlung auf die Erde treffen und Teilchenschauer in der Atmosphäre auslösen. Daher sind sie auch ein Werkzeug, um Beobachtungen in der Astroteilchenphysik besser zu verstehen.
„Diese Entdeckung ist ein Meilenstein, da wir eine Neutrinoquelle mit unerforschten Eigenschaften erschließen“, sagt Akitaka Ariga. Das neu präsentierte Ergebnis ist nur der Anfang einer Reihe von Untersuchungen, die noch durchgeführt werden. Das FASER-Experiment wird bis Ende 2025 Daten aufnehmen. „Vielleicht finden wir mit den hochenergetischen Neutrinos bisher unentdeckte Physik“, sagt Akitaka Ariga.
U. Bern / DE