Neutrinos: Ein neues Bild der Milchstraße
IceCube weist erstmals hochenergetische Neutrinos aus der galaktischen Ebene nach.
Mit dem Südpol-Observatorium IceCube hat ein internationales Forscherteam erstmals Neutrinos aus der Milchstraße nachgewiesen. Neutrinos sind geisterhafte Elementarteilchen, die in der Regel aus energiereichen Prozessen stammen und mühelos sämtliche Materie durchdringen. Die kosmischen Geisterteilchen liefern Einblicke in ihre energiereichen Ursprungsprozesse, die anders nicht zu gewinnen sind.
Neutrinos sind allgegenwärtig: Allein aus den Kernfusionsreaktionen in der Sonne durchdringen uns in jeder Sekunde unbemerkt rund sechzig Milliarden dieser scheuen Elementarteilchen pro Quadratzentimeter. Fast nie reagiert ein Neutrino mit der Materie, die es durchquert. Im ewigen Eis der Antarktis haben Forscher daher den größten Neutrinodetektor der Welt aufgebaut: IceCube liegt kilometerweit unter der Oberfläche und umfasst einen ganzen Kubikkilometer Eis, in dem er nach den extrem seltenen Neutrinoreaktionen späht. Aus der Leuchtspur, die ein Neutrino dort nach einer Wechselwirkung mit dem Eis gelegentlich erzeugt, lässt sich seine Herkunftsrichtung und seine Energie bestimmen.
Dennoch ist das Neutrino-Signal unserer Milchstraße nicht leicht zu entdecken. „Faszinierend ist, dass – ganz anders als im elektromagnetischen Spektrum, also bei Licht verschiedener Wellenlängen – im Regime der Neutrinos das ferne Universum unsere unmittelbare kosmische Nachbarschaft bei weitem überstrahlt“, erläutert Francis Halzen von der University of Wisconsin in den USA, Principal Investigator von IceCube. Erst durch eine ausgeklügelte Analyse von rund 60.000 Neutrinomessungen aus zehn Jahren, bei der Methoden der künstlichen Intelligenz einen entscheidenden Beitrag lieferten, ließ sich das Neutrino-Panorama unserer Milchstraße isolieren.
„Die Entwicklung neuer Methoden ermöglichte es uns, eine Größenordnung mehr Neutrino-Ereignisse und diese auch noch mit besserer Rekonstruktion ihrer Herkunftsrichtung zu erhalten, was im Endeffekt dazu führte, dass wir die Empfindlichkeit von IceCube um einen Faktor drei im Vergleich zu früheren Suchen steigern konnten“, berichtet IceCube-Mitglied Mirco Hünnefeld von der TU Dortmund, einer der leitenden Analysatoren für diesen Datensatz.
Die Energie der nun von IceCube nachgewiesenen Neutrinos ist viele Millionen mal größer als die Energie des stetigen Neutrino-Stroms aus den Kernfusionsreaktionen in der Sonne. Sie stammen also nicht aus den Sternen der Milchstraße. „Der nächste Schritt besteht nun darin, Neutrino-Quellen innerhalb der Milchstraße direkt zu identifizieren“, sagt IceCube-Sprecher Ignacio Taboada vom Georgia Institute of Technology in den USA.
Die Forscher hoffen, durch die Fahndung nach den Neutrinoquellen auch etwas über die Quellen der kosmischen Strahlung zu erfahren, einem Hagel elektrisch geladener Atomkerne, der aus allen Richtungen gleichmäßig auf die Erde einprasselt. Quellen der energiereichen Neutrinos können auch Quellen der kosmischen Strahlung sein, die auch mehr als hundert Jahre nach Entdeckung des Phänomens noch immer nicht befriedigend geklärt sind. Zum ersten Mal lässt sich die Milchstraße dafür nun mithilfe von Neutrinos betrachten.
„Die IceCube-Beobachtungen öffnen ein neues Fenster zur Milchstraße und stimmen uns zuversichtlich, dass wir mit Neutrinos in den kommenden Jahren auch die Quellen der kosmischen Strahlung in unserer Galaxie aufspüren werden können“ sagt Marek Kowalski, Leiter der IceCube-Gruppe am DESY.
Dieser bedeutende Schritt für die Astro- und Astro-Teilchenphysik wurde erst durch die Zusammenarbeit von Forschern aus vielen verschiedenen Instituten möglich. In Deutschland umfasst diese Kooperation zehn Universitäten und die Helmholtz-Forschungszentren DESY und KIT. Der weitere Ausbau des IceCube-Detektors und die wissenschaftliche Auswertung der gewonnenen Daten werden ganz maßgeblich durch das BMBF und durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefördert.
DESY / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
The IceCube Collaboration: Observation of high-energy neutrinos from the Galactic plane, Science 380, 1338 (2023); DOI: 10.1126/science.adc9818 - IceCube Neutrino Observatory, University of Wisconsin–Madison, USA