11.05.2018

Neutronen in der Falle

Neuartige Falle erlaubt präzise Bestimmung der Neutronen-Lebensdauer.

Es ist eines der merk­würdigen, ungelösten Rätsel in der Elementar­teilchen-Metro­logie: Die Lebens­dauer freier Neutronen ist endlich. Doch je nachdem, wie man sie bestimmt, kommen dabei unter­schiedliche Werte heraus. Und obwohl die verschiedenen Mess­methoden in sich konsistent und inzwischen auch sehr präzise sind und Genauig­keiten von unter einer Sekunde aufweisen, ist es bislang schleier­haft, warum die unter­schiedlichen Verfahren um rund vier Sigma voneinander abweichen. Schon seit Jahren arbeiten verschie­dene Forscher­gruppen weltweit daran, diesem Rätsel um die Neutronen-Lebens­dauer sowohl experimentell als auch theo­retisch auf die Spur zu kommen. Denn die genaue Kenntnis der Lebens­dauer des Neutrons ist nicht nur für die Kern- und Teilchen­physik von Bedeutung, sondern auch für kosmo­logische Modelle.

Abb.: Beamline und Neutronen-Falle am Los Alamos Neutron Science Center. (Bild: R. W. Pattie Jr. et al.)

Ein interna­tionales Forscher­team hat nun am Los Alamos National Labora­tory ein hoch­präzises Experiment durch­geführt, bei dem die Wissen­schaftler bislang uner­reichte Kontrolle über die Neutronen­zustände gewinnen konnten. Dabei nutzten sie ein neues Verfahren zur Messung der Neutronen-Lebens­dauer – was die Hoffnung aufkommen lässt, die bislang schwer zugäng­lichen systema­tischen Fehler bei dieser funda­mentalen Bestimmung aufspüren und das Rätsel um die Neutronen-Lebens­dauer lösen zu können.

Freie Neutronen sind nicht stabil und zerfallen über die schwache Wechsel­wirkung mit einer mittleren Lebens­dauer von rund 880 Sekunden in je ein Proton, Elektron und Anti­neutrino. Das entspricht einer Halbwerts­zeit von 661 Sekunden. Die genaue Bestimmung dieses semi­leptonischen Zerfalls gestaltet sich aller­dings schwierig. Bisherige Experimente haben sich entweder magne­tisch einge­schlossener Neutronen („bottle“) oder eines Neutronen­strahls („beam“) bedient. Bei den Strahl­experimenten fliegen kalte Neutronen durch eine Penning-artige Protonen­falle. Je nachdem, wie viele Protonen als Zerfalls­produkt sich darin zählen lassen, ergibt sich die Lebens­dauer der hindurch­fliegenden Neutronen. Obwohl dieser Aufbau im Prinzip konzep­tionell einfach ist, hängt die Analyse unter anderem stark von einer exakten Kenntnis der durch­fliegenden Neutronen ab, was nicht einfach zu bewerk­stelligen ist. Diese Messungen liefern eine mittlere Neutronen-Lebens­dauer von 887,7±2,2 Sekunden.

Ein wenig präzi­sere Daten liefern die Experimente mit ultra­kalten Neutronen, die über Stoßprozesse über mehrere Größen­ordnungen weiter abgekühlt werden. Bei kinetischen Energien im Nano­elektronen­volt-Bereich bewegen sich diese Neutronen nur noch wenige Meter pro Sekunde. Dadurch lassen sie sich in magne­tischen Fallen einschließen und man kann die Anzahl der Neutronen nach einer bestimmten Zeit messen. Aus solchen Experi­menten ergibt sich eine Lebens­dauer von 878,5±0,8 Sekunden. Aller­dings spielen hier Neutronen-Verluste eine wichtige Rolle, deren Korrektur ebenfalls systema­tische Fehler beinhalten können. Besonders schwierig gestaltet sich das Verständnis der Entwicklung im Phasenraum der Neutronen­zustände während der Speicherung und Entladung der Neutronen. So könnte ein rele­vanter Teil der Neutronen Energien annehmen, die es ihnen erlauben, der Falle unbe­merkt zu entwischen.

Um diese Probleme zu adressieren, entwickelten die Forscher vom Los Alamos Neutron Science Center eine neuartige, kombinierte magne­tisch-gravi­tative Neutronen­falle, die aus einem semi­toroidalen Trichter bestand. Die Kombi­nation aus magne­tischer und gravi­tativer Falle ist deshalb möglich, weil derart kalte Neutronen ähnlich stark auf diese Kräfte reagieren. Eine Besonder­heit bestand auch darin, dass die Falle asymme­trisch war, um quasi-chaotische Neutronen­orbits zu erzeugen. Dadurch mischen sich die Zustände im Phasen­raum sehr viel schneller und effektiver. Dieje­nigen Neutronen, die unpas­sende Energie­niveaus aufweisen, ließen sich so schon vor der eigent­lichen Speicher­phase entfernen, was eine wichtige systema­tische Unsicher­heit zu mini­mieren hilft.

Außerdem gelang es den Wissen­schaftlern, einen Neutronen­detektor in die Falle zu inte­grieren. Dieser bestand aus einer Neutronen absor­bierenden Schicht aus einem ZnS:Ag-Szintil­lator, der über Photo­multiplier ausgelesen wurde und einen Zeitstempel mit einer Präzision von 800 Piko­sekunden lieferte. In der Falle befanden sich zu Messbeginn typischer­weise 25.000 Neutronen, deren Abnahme in der Zahl die Forscher dann über verschieden lange Speicherdauern bestimmen konnten. Dabei ergab sich eine Neutronen-Lebens­dauer von 877,7±0,7 (stat) +0,4/–0,2 (sys) Sekunden. Drei verschiedene, blind voneinander durch­geführte Versuchs­reihen stimmten zu 0,2 Sekunden überein. Dank all der experi­mentellen Verbes­serungen konnten die Forscher nicht nur eine sehr präzise Bestimmung der Neutronen-Lebens­dauer liefern. Mit ein wenig Feintuning sollten sogar Genauig­keiten im Bereich von weniger als einer halben Sekunde möglich sein.

Diese Neube­stimmung der Neutronen-Lebens­dauer stimmt mit anderen Speicher­experimenten überein und wirft die Frage auf, ob entweder auch bei diesem Experiment noch unver­standene systema­tische Fehler­quellen auftreten oder ob anderer­seits die Neutronen­strahl-Experi­mente noch wichtige Punkte außen vor lassen. Man darf gespannt bleiben, ob andere Strahl- und Fallen-Experimente sich diesen Werten annähern – oder welche Fehler­quellen es noch auszuräumen gilt, bevor für die Neutronen-Lebens­dauer ein einheit­licher Literatur­wert feststeht.

Dirk Eidemüller

JOL

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