Neutronen zeigen Flussschlauch-Inseln
Gitterinterferometrie ermöglicht ortsaufgelöste Untersuchung magnetischer Strukturen in Supraleitern.
Supraleiter verdrängen normalerweise angelegte Magnetfelder. Im Inneren von Typ-II-Supraleitern bilden sich jedoch dünne Kanäle, Flussschläuche, durch die das Magnetfeld geleitet wird, während das restliche Material feldfrei und supraleitend bleibt. In der Regel verteilen sich die Flussschläuche gleichmäßig. In dem Metall Niob hingegen bündeln sich die Flussschläuche zu kleinen Inseln zusammen und bilden dabei komplexe Muster, welche in ähnlicher Form zahlreich in der Natur anzutreffen sind. Forscher des Paul-Scherrer-Instituts und der TU München haben erstmalig Neutronenexperimente zur Untersuchung dieser Strukturen in Niob durchgeführt und dabei die Verteilung der Inseln im Detail sichtbar gemacht. Wie die Experimente zeigen, verteilen sich die Flussschläuche nicht gleichmäßig in dem Material, sondern finden teilweise zu komplex geformten Inseln zusammen, zwischen denen sich Bereiche ohne Flussschläuche befinden. Die Wissenschaftler konnten zeigen, in welchen Teilen der Niob-Probe die Flussschlauch-Inseln auftreten und wie sich deren Struktur mit wachsendem Magnetfeld verändert.
Abb.: Für die Gitterinterferometrie sind drei solche Gitter aus Siliziumwafern nötig: Eines dient als Schlitzblende, eines als Phasengitter zur Brechung des Neutronenstrahls und das dritte misst das Beugungsmuster. Die drei Gitter werden in Kombination mit dem Instrument ANTARES am FRM II verwendet. (Bild: T. Reimann, TU München)
An der Neutronenquelle SINQ des PSI, sowie der Forschungsneutronenquelle FRM II der TUM setzten sie dafür Neutronen in verschiedenen Experimenten als Messsonde ein. Sie schickten jeweils einen Strahl von Neutronen durch das untersuchte Material und beobachteten, wie die Neutronen auf ihrem Weg abgelenkt wurden. Neutronen eignen sich für diese Untersuchungen in besonderem Maße, da sie in einzigartiger Weise durch die magnetischen Flussschläuche im Material abgelenkt werden. In ersten Experimenten maßen die Forscher diese Ablenkung sehr genau und konnten daraus die Größe der Inseln abschätzen und die Anordnung der Flussschläuche zueinander ermitteln. Ob die Inseln gleichmäßig über das ganze Material verteilt oder in einzelnen Bereichen konzentriert sind, ließ sich dabei aber nicht feststellen.
Um die Verteilung der Flussschläuche dennoch sichtbar zu machen, verwendeten die Forscher von PSI und TUM eine neue Methode, die auf dem Prinzip der Gitterinterferometrie mit Neutronen beruht. Dabei werden bei dem Experiment die Neutronen durch mehrere Gitter, also Anordnungen sehr feiner Streifen, die für Neutronen abwechselnd durchlässig und undurchlässig sind. Hinter den Gittern bildet sich ein Überlagerungsmuster, in dem abwechselnd Bereiche mit vielen oder wenigen Neutronen auftreten. Indem man nun betrachtet wie sich das Muster ändert, wenn man eine Probe in den Strahl stellt, kann man auf die Strukturen im Inneren der Probe schließen. „Die Gitterinterferometrie ermöglicht uns, Strukturen in einem Größenbereich von einigen Mikrometern – also so groß wie die Flussschlauchinseln – ortsaufgelöst zu untersuchen“, erklärt Christian Grünzweig, der am PSI für das Experiment zuständig ist und dort die Gitterinterferometrie mitentwickelt hat. Mit dieser Methode war es möglich die räumliche Verteilung der Flussschlauchinseln abzubilden, obwohl diese kleiner sind als einzelne Pixel des Detektors und daher eigentlich nicht sichtbar gemacht werden könnten. Überraschenderweise zeigte sich, dass sich die Inseln nicht am Rand, sondern im Inneren der Probe bilden.
„Im Niob bilden die Flussschläuche und deren übergeordnete Inseln typische Strukturen und Muster, die in ähnlicher Weise in vielen physikalischen sowie chemischen Systemen auf verschiedensten Längen- und Zeitskalen vorkommen etwa in magnetischen Domänen, bei Mikrostrukturen in Legierungen oder in chemischen Diffusionsreaktionen“ erklärt Tommy Reimann, der als Doktorand an den Experimenten beteiligt war. „Durch Änderung des Magnetfelds oder der Temperatur kann man die Entstehung solcher Muster im Modellsystem Niob auf einzigartige Weise studieren und generelle Schlussfolgerungen über die Entstehung solcher Muster ziehen.“ Gleichzeitig, so betonen die Forscher, eignet sich der in dieser Studie präsentierte experimentelle Ansatz zur Untersuchung fast aller Systeme, welche Strukturen im Mikrometerbereich entwickeln.
PSI / TUM / RK