Neutronensterne: Die Zukunft hat begonnen
Pulsare sind ideale kosmische Labore für die Allgemeine Relativitätstheorie und ermöglichen Tests alternativer Ansätze.
Auch hundert Jahre nach ihrer Formulierung versetzt einen die Allgemeine Relativitätstheorie immer noch in höchste Bewunderung und Erstaunen. Schon allein der Weg, auf dem Albert Einstein praktisch im Alleingang zu dieser neuen Beschreibung der Gravitation gelangte, raubt einem den Atem. Da die Newtonsche Theorie der Schwerkraft mit Einsteins Spezieller Relativitätstheorie nicht verträglich war, musste eine neue Gravitationstheorie gefunden werden. Mit Hilfe der Idee des Äquivalenzprinzips sowie einer geeigneten Mathematik konnte Einstein nach zehn Jahren Arbeit die Allgemeine Relativitätstheorie als Beschreibung der Gravitation formulieren, die in den folgenden hundert Jahren durch alle Experimente und Beobachtungen perfekt bestätigt wurde und wird.
In erstaunlich kurzer Zeit, nämlich schon im Dezember 1915 fand Karl Schwarzschild die erste exakte Lösung der überaus komplizierten Einstein-Gleichungen. Sie beschrieb das Gravitationsfeld einer homogenen, nicht rotierenden Kugel. Einstein nahm diese Lösung, die ein Schwarzes Loch mit einem Horizont und einer Singularität beschreibt, nur im Bereich großer Abstände ernst. Im Nahbereich lag sie seiner Meinung nach außerhalb des physikalischen Anwendungsbereichs seiner Theorie.
Doch es gibt Schwarze Löcher, und sie lassen sich mit der Allgemeinen Relativitätstheorie beschreiben. Beobachtungen des Zentrums unserer Milchstraße und anderer Galaxien belegen, dass sich dort mit größter Wahrscheinlichkeit Schwarze Löcher befinden – anders können die beobachteten Phänomene nicht erklärt werden. Auch gibt es eine ganze Reihe von Kandidaten für stellare Schwarze Löcher. Es ist ein absoluter Triumph der Theorie, dass diese doch bis in letzter Konsequenz ernst genommen werden muss und nicht auf den Bereich schwacher Gravitationsfelder wie im Sonnensystem beschränkt bleibt.
Neben den Schwarzen Löchern, die mit ihren Horizonten und Singularitäten an die Grenzen unserer Vorstellungen von Raum und Zeit gehen, gibt es Neutronensterne, die ebenfalls ein Grenzgebiet unserer Kenntnis der Natur darstellen: Mit einer Masse von über einer Sonnenmasse, die auf eine Kugel mit rund zehn Kilometer Durchmesser komprimiert ist, herrschen in ihnen unvorstellbare Drücke und Dichten. Wie Michael Kramer Norbert Wex vom MPI für Radioastronomie in der aktuellen Ausgabe von Physik in unserer Zeit beschreiben, sind Neutronensterne ideale Testkörper für diverse Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie. Sie ermöglichen es sogar, alternative Ansätze zu testen und in gewissen Bereichen auszuschließen.
Bei einem Pulsar sind Rotationsachse und Magnetfeldachse gegeneinander geneigt. Das macht ihn zum „kosmischen Leuchtturm“ (Grafik: NASA).
Neutronensterne stellen zudem ideale Systeme dar, um die Eigenschaften der Materie bei höchsten Drücken und Dichten zu erforschen. Sie sind einmalige Labore für die Kern- und Elementarteilchenphysik wie auch für die Gravitationsphysik.
Spezielle Neutronensterne sind Pulsare und Magnetare mit den stärksten Magnetfeldern im Universum. Neben der direkten Beobachtung von Pulsarstrahlung können deren innere Eigenschaften gravitativ in Doppelsternsystemen und speziell mit Doppelpulsaren ausgemessen werden, wenn die Gravitationskraft des Partners den Stern deformiert und die Rotationsrichtung beeinflusst. Das äußert sich dann auch in der Bewegung der Neutronensterne.
Außerdem, und damit kommen wir zum Ausgangspunkt zurück, lässt sich mit Pulsaren das Gravitationsfeld von Schwarzen Löchern genauestens vermessen und damit Grundlagen der Allgemeinen Relativitätstheorie testen. Hierzu zählen zentrale Aussagen wie das No-Hair-Theorem und die Zensur: Es gibt keine "nackten" Singularitäten. Dies sind besonders reine Tests der relativistischen Gravitation. Zur Zeit sucht man noch nach solchen Pulsaren um Schwarze Löcher.
Neutronensterne und speziell Pulsare und Magnetare stellen damit Systeme dar, mit denen wir unsere Erkenntnisse über die Struktur der Materie, wie auch über die Gravitation und damit über die Struktur von Raum und Zeit, deutlich weiter ausbauen können. Essentiell ist dabei der Aufbau neuer Observatorien wie das Square Kilometre Array, mit denen wir die Bewegung der Neutronensterne mit viel höherer Genauigkeit ausmessen werden.
Die Physik der Neutronensterne hat eben erst begonnen. Es ist zu erwarten, dass in den nächsten Jahren aus deren Beobachtung viele neue Erkenntnisse zur Struktur der Materie und der Gravitation gewonnen werden.
Claus Lämmerzahl, ZARM und Uni Bremen
Dieser Essay kommentiert einen Artikel von Michael Kramer und Norbert Wex vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie über Test der Allgemeinen Relativitätstheorie mit Pulsaren, erschienen in der aktuellen Ausgabe von Physik in unserer Zeit.