12.05.2016

Neutronensterne im Engtanz

Neues Modell liefert realistische Daten für Abstrahlung von Gravitationswellen bei Neutronensternen.

Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Gravitations­physik in Potsdam (AEI) haben ein genaues Modell für den Nachweis und die Interpretation von Gravitations­wellen entwickelt, die von Neutronen­sternen in Doppelstern­systemen abgestrahlt werden. Es beschreibt die Deformation der Neutronen­sterne kurz vor der Kollision erstmals realistisch. Die Verformung hängt mit der exotischen Physik im Innern der Neutronen­sterne zusammen und beeinflusst direkt die entstehende Gravitations­welle. Deshalb lassen sich nun genauere wissenschaftliche Informationen aus den Signalen gewinnen. Dies wird verlässlichere Messungen ermöglichen und zu einem besseren Verständnis der Eigenschaften dieser dichtesten Objekte unseres Universums führen.

Abb.: Gezeitenkräfte deformieren einen Neutronenstern (links), der ein anderes kompaktes Objekt – einen zweiten Neutronenstern oder ein schwarzes Loch – umkreist. (Bild: T. Hinderer, AEI)

Mit dem ersten Nachweis von Gravitations­wellen verschmelzender schwarzer Löcher, die im Februar dieses Jahres bekannt gegeben wurde, begann die Ära der Gravitations­wellen­astronomie – eine einzigartige Methode zur Erforschung der gewaltigsten astro­physikalischen Prozesse. Eine viel versprechende Quelle von Gravitations­wellen sind kollidierende Neutronen­sterne. Sie gehören zu den exotischsten Objekten im Universum: Bei einem Durchmesser von weniger als 20 Kilometern kann ihre Masse bis zum Doppelten der Sonne betragen. Der Zustand solch extrem dichter Materie ist schon seit Jahrzehnten ein ungelöstes Rätsel. Könnten wir in das Innere von Neutronen­sternen schauen, so könnten wir die rätselhafte Physik dieser extremen Himmels­körper verstehen.

Gravitationswellen-Astronomie wird das ermöglichen, denn auch beim Verschmelzen zweier Neutronen­sterne entstehen Wellen in der Raumzeit. Sie tragen charakteristische Informationen über die Neutronen­sterne selbst. Allerdings sind diese astro­physikalischen Signale schwach im Vergleich zum Detektor­rauschen. Dennoch ist es möglich, mit genauen theoretischen Modellen der erwarteten Signale die Wellen aus dem Rauschen heraus­zufiltern und zu analysieren.

Das „Effective One Body-Modell“ für Doppelsysteme schwarzer Löcher, entwickelt am Max-Planck-Institut für Gravitations­physik in Potsdam und der Universität Maryland, war für die Analyse besonders wichtig. Damit optimierten die Forscher die statistische Signifikanz des Signals und zogen so den größtmögliche Erkenntnis­gewinn aus dem kürzlich erfolgten erstmaligen direkten Nachweis von Gravitations­wellen mit den LIGO-Detektoren.

Die neue Arbeit erweitert das Effective One Body-Modell auf Neutronen­sterne und untersucht, wie sich deren physikalisches Verhalten auf die Gravitations­wellen auswirkt. Umkreist ein Neutronen­stern ein anderes kompaktes Objekt – einen zweiten Neutronen­stern oder ein schwarzes Loch – so deformiert er sich aufgrund der Gezeitenkräfte.

Dieser Effekt erinnert an die Meeres­gezeiten auf der Erde, hier verursacht durch die Anziehung des Mondes. In ähnlicher Weise verformt sich der Neutronen­stern als Reaktion auf seinen Begleiter. In mehreren früheren Studien wurde dieser Effekt untersucht. Die vorliegende Arbeit verbessert die Modellierung der Gezeiten­effekte deutlich, denn nun werden auch innere Schwingungen des Neutronen­sterns berücksichtigt. Diese entstehen, wenn die Gezeiten­kraft des Begleiters sich mit einer Frequenz ändert, die der Eigenfrequenz des Neutronen­sterns nahekommt.

Die Eigenfrequenz von Neutronensternen liegt im Kilohertz-Bereich und wird erreicht, kurz bevor der Neutronen­stern und sein Begleiter verschmelzen. Dann umkreist der Neutronen­stern den zweiten Stern in weniger als einer Milli­sekunde und mit etwa der Hälfte der Licht­geschwindigkeit. Sowohl die Stärke der Deformation als auch die Eigenfrequenz des Neutronen­sterns hängen direkt mit den mikro­physikalischen Eigenschaften der Neutronen­stern­materie zusammen. Jede Veränderung durch den Gezeiten­effekt hinterlässt deutliche Spuren in den Gravitations­wellen, die von dem Doppel­stern­system emittiert werden. So können Gravitations­wellen das exotische Innere der Neutronen­sterne enthüllen.

„Unser detailliertes Modell zeigt, wie die Wellen­formen genau aussehen und wonach wir in den Daten suchen müssen“, sagt Andrea Taracchini, Koautor der Studie und Wissenschaftler in der Abteilung Astro­physikalische und Kosmologische Relativitäts­theorie am AEI. „Wir haben unser Modell mit Ergebnissen numerischer Simulationen von unseren Kooperations­partnern aus den USA und Japan verglichen. Es stimmt besser mit den numerischen Resultaten überein als Modelle, die die Eigen­frequenz nicht berück­sichtigen.“ „Das bedeutet, dass unser Modell echte physikalische Effekte abbildet,“ sagt Tanja Hinderer, Haupt­autorin der Veröffentlichung. Sie ist Wissenschaftlerin an der University of Maryland und derzeit langfristig zu Besuch am AEI. „Zwar bieten numerische Simulationen die realistischsten Vorhersagen für die Gravitations­wellen, sie sind aber zu aufwändig, um genügend Wellen­formen für die Detektoren zu liefern. Das nun entwickelte analytische Modell kann nicht nur sehr viel mehr Wellen­formen generieren, sondern auch bestimmte Charakteristika der Wellen physikalisch erklären.“

Die Suche und Analyse von Gravitations­wellen erfordert detaillierte Kenntnisse über eine enorme Anzahl unterschiedlicher Wellen­formen. Es müssen sehr viele verschiedene Parameter­kombinationen – unterschiedliche Zusammen­setzungen des Doppel­stern­systems, verschiedene Massen­verhältnisse, Eigen­dreh­impulse und dynamische Verformungen der Neutronen­sterne – berechnet werden. Mit dem entwickelten analytischen Modell können viele tausend Wellen­formen innerhalb kurzer Zeit berechnet werden; mit diesen Schablonen werden dann die Daten der Gravitations­wellen­detektoren wissenschaftlich ausgewertet.

AEI / DE

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