27.06.2018

Neutronensterne mit Gravitationswellen vermessen

Statistische Analyse liefert Größenschätzung von Neutronensternen.

Wie groß ist ein Neutronenstern? Die bisherigen Schätzungen lagen zwischen acht und 16 Kilometern Durch­messer. Astrophysikern der Goethe Universität und des FIAS ist es jetzt gelungen, die Größe von Neutronen­sternen bis auf 1,5 Kilometer genau zu bestimmen, indem sie einen aufwändigen statistischen Ansatz wählten und Daten aus der Messung von Gravitations­wellen zu Hilfe nahmen.

Abb.: Größenvergleich eines typischen Neutronensterns zur Stadt Frankfurt...
Abb.: Größenvergleich eines typischen Neutronensterns zur Stadt Frankfurt (Bild: L. Weih / U. Frankfurt / Satellitenaufnahme: GeoBasis-DE/BKG (2009) Google)

Neutronensterne sind die dichtesten Objekte in unserem Universum. Ihre Masse ist weitaus größer ist als die unserer Sonne, zusammen­geballt in einer vergleichs­weise kleinen Kugel, deren Durchmesser mit dem der Stadt Frankfurt vergleichbar ist. Allerdings ist das nur eine grobe Abschätzung. Seit mehr als vierzig Jahren gilt die Bestimmung des Radius von Neutronen­sternen als eine der grund­sätzlichsten Fragen der Astro- und Kern­physik, da sich aus dieser Größe wichtige Informationen über die fundamentalen Wechsel­wirkungen von dichter Kern­materie ableiten lassen.

Einen wichtigen Beitrag zur Lösung des Rätsels bieten die Daten aus der Detektion von Gravitationswellen, die bei der Verschmelzung von zwei Neutronen­sternen entstanden sind. Ende letzten Jahres nutzten Luciano Rezzolla, Institut für theoretische Physik der Goethe-Universität und FIAS, und seine Studenten Elias Most und Lukas Weih diese Daten bereits, um die maximalen Masse von Neutronen­sternen zu berechnen, bevor sie zu einem schwarzen Loch kollabieren. Das Ergebnis wurde fast zeitgleich von anderen Forschungs­gruppen bestätigt. Nun hat dieselbe Gruppe zusammen mit Jürgen Schaffner-Bielich von Institut für theoretische Physik der Goethe-Universität auch strenge Grenzen für die Größe von Neutronen­sternen ermittelt.

Die Crux des Problems ist, dass die Zustandsgleichung, welche die Materie in Neutronen­sternen beschreibt, nicht bekannt ist. Die Physiker entschlossen sich deshalb, einen anderen Weg zu gehen: Sie wählten statistische Methoden, um die Größe von Neutronen­sternen innerhalb enger Grenzen zu bestimmen. Hierzu berechneten sie mehr als zwei Milliarden theoretische Modelle von Neutronen­sternen, indem sie Einsteins Gleichungen numerisch lösten und diesen riesigen Daten­satz mit den Daten der Gravitations­wellen­detektion GW170817 kombinierten.

„Ein solcher Ansatz ist nicht unüblich in der theoretischen Physik", sagt Rezzolla und fügt hinzu: „Wir können Unsicher­heiten einschränken, indem wir die Ergebnisse für alle möglichen Werte der entsprechenden Parameter analysieren." So ist es den Wissenschaftlern gelungen, den Radius eines typischen Neutronen­sterns auf 1,5 Kilometer genau anzugeben: Er liegt zwischen 12 und 13,5 Kilometern – ein Ergebnis, das mit künftigen Detektionen von Gravitations­wellen weiter verbessert werden kann.

„Das Ganze birgt allerdings noch eine Tücke, und zwar die Möglichkeit von Zwillings­sternen", kommentiert Schaffner-Bielich. Es ist nämlich möglich, dass bei extrem hohen Dichten ein Phasen­übergang stattfindet. Die Materie hat dann plötzlich ganz andere Eigenschaften, so wie Wasser hart wird, wenn es zu Eis gefriert. Im Fall von Neutronen­sternen wird spekuliert, dass beim Phasen­übergang gewöhnliche Materie in „Quark­materie" umgewandelt wird. Bezieht man diese Möglichkeit ein, ist noch eine weitere Gleich­gewichts­lösung der Einstein­gleichungen möglich: Ein exotischer Zwilling mit exakt der gleichen Masse und einem deutlich kleinerem Radius.

Obwohl es für die Existenz dieser zweiten Klasse von Neutronen­sternen keine Beweise gibt, sind sie zumindest theoretisch möglich. Das Team um Rezzolla und Schaffner-Bielich hat sie deshalb trotz der zusätzlichen Komplikationen, die mit der Berechnung von Zwillings­sternen einhergehen, berück­sichtigt. Diese Mühe wurde mit einem unerwarteten Ergebnis belohnt: Zwillings­sterne sind statistisch gesehen sehr selten und können während der Verschmelzung zweier Neutronen­sterne nur wenig verformt werden. Dieses Ergebnis ist deshalb wichtig, weil es Wissenschaftlern durch künftige Beobachtungen erlaubt, die Existenz dieser Zwillinge potentiell auszuschließen. So wird sich mit zukünftigen Gravitations­wellen­beobachtungen zeigen, ob Neutronen­sterne tatsächlich exotische Zwillinge haben.

U. Frankfurt / DE
 

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