Nobelpreis für Physik geht an die Pioniere der Graphenforschung
Andre Geim und Konstantin Novoselov erhalten die Auszeichnung für ihre grundlegenden Experimente zum zweidimensionalen Material Graphen.
Andre Geim und Konstantin Novoselov erhalten die Auszeichnung für ihre grundlegenden Experimente zum zweidimensionalen Material Graphen.
Die beiden in Russland geborenen Forscher sind Professoren der University of Manchester. Dort gelang es ihnen als Ersten, aus Graphit – wie es jeder von Bleistiften kennt – eine monoatomare Lage zu extrahieren und dessen Eigenschaften experimentell zu überprüfen. Diese wurden teilweise schon vor mehr als fünfzig Jahren vorhergesagt.
Abb.: Andre Geim (links) und Konstantin Novoselov (Quelle: University of Manchester)
Graphit besteht aus gestapeltem Graphen – zweidimensionalen Schichten, in der die Kohlenstoffatome sechseckig angeordnet sind, vergleichbar einem Hasendrahtgitter. Allerdings mit einem Atomabstand von 0,142 Nanometern. Auch wenn sich die einzelnen Graphitschichten leicht gegeneinander verschieben und ablösen lassen – wie beim Schreiben mit einem Bleistift – besteht die Schwierigkeit darin, eine einzige Lage zu isolieren. Andre K. Geim und sein langjähriger Mitarbeiter und ehemaliger Doktorand Konstantin „Kostya“ S. Novoselov gelang dies, indem sie von einem Graphitstück mittels einem Klebeband die Schichten so lange wiederholt trennten, bis eine einzige Monolage übrig blieb. Um zu überprüfen, ob die Methode erfolgreich war, und die Schicht weiter untersuchen zu können, brachten sie das Graphen auf einen Träger aus Siliziumdioxid auf, dem Standardmaterial der Halbleiterindustrie.
Viele Wissenschaftler hatten zuvor die Ansicht vertreten, es könne nie gelingen, einzelne Schichten zu isolieren, sie würden sich entweder zu Kohlenstoffnanoröhrchen zusammenrollen, sich als Fullerene „kugeln“, verkrumpeln oder völlig auseinanderreißen. Geim, Novoselov und ihre Kollegen in Manchester bewiesen, dass es möglich ist. Zwar erhielten sie in ihren frühen Versuchen nur mikroskopische Flocken, mittlerweile lassen sich jedoch Blätter von 70 Zentimeter Länge herstellen.
Graphen ist ein bemerkenswertes Material: Seine elektrische Eigenschaften schließen beispielsweise einen ungewöhnlichen Quanten-Hall-Effekt ein. Dabei ist seine Wärme- und Stromleitfähigkeit sehr hoch, es ist stabiler als Stahl, dabei jedoch dehn- und biegbar. Darüber hinaus ist es weitgehend transparent für sichtbares Licht. Künftige Anwendungen liegen – neben neuen Materialien für die Luft- und Raumfahrt – auch in der Mikroelektronik, bei Sonnenschutzbeschichtungen und Solarzellen, wo es das empfindlichere und teurere Indiumzinnoxid ablösen könnte. Aber auch hinsichtlich der Grundlagenforschung ist Graphen ein außergewöhnliches Material, da es bei Zimmertemperatur zahlreiche Versuche zu quantenmechanischen Phänomenen ermöglicht und eine Bandstruktur aufweist, die der Energie-Impuls-Relation masseloser relativistischer Teilchen entspricht.
Die beiden Forscher verbindet eine jahrelange Zusammenarbeit. Andre Geim wurde 1958 als Sohn deutscher Eltern in Sotschi am Schwarzen Meer geboren. Er studierte in Moskau Physik und promovierte 1987 am Institut für Festkörperphysik im nahen Tschernogolowka, wo er anschließend drei Jahre tätig war. Nach Forschungsaufenthalten in England und Dänemark wurde er 1994 Associate Professor an der Universität Nimwegen und erwarb die niederländische Staatsbürgerschaft. 2000 erhielt er mit seinem Kollegen Michael Berry von der University of Bristol den Ig-Nobelpreis für die Verwendung eines Magneten, um einen Frosch zum Schweben zu bringen. 2001 nahm er eine Professur an der University of Manchester an. Beim Wechsel nach Großbritannien begleitete ihn Kostya Novoselov. Der Russe, Jahrgang 1974, war zwei Jahre zuvor von Tschernogolowka nach Nimwegen gekommen, wo er promovierte. Mittlerweile hat er neben der russischen auch die britische Staatsangehörigkeit. Das Wirken von Geim und Novoselov wurde unter anderem 2008 mit dem EuroPhysics Prize und 2009 mit dem Körber-Preis für die europäische Wissenschaft ausgezeichnet. Sie erhalten den Nobelpreis für Physik 2010 zu gleichen Teilen.
Oliver Dreissigacker / Physik Journal
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AH