Notenspektrum mit Schieflage
Der Wissenschaftsrat kritisiert die Praxis der Notenvergabe an den deutschen Hochschulen. Das betrifft auch das Fach Physik.
Alle fünf Jahre stellt der Wissenschaftsrat die Prüfungsnoten an deutschen Hochschulen selbst auf den Prüfstand, aufgeschlüsselt nach Fächern und Hochschulstandorten. Nun ist der Bericht für das Prüfungsjahr 2010 erschienen. Ein erstes Fazit des über 800-seitigen Berichts: Der Durchschnitt der Prüfungsnoten an deutschen Hochschulen weist je nach Studienfach, Hochschule und Abschluss nach wie vor große Unterschiede auf. „Mit welcher Note ein Studium abgeschlossen wird, hängt in Deutschland nicht nur von der Prüfungsleistung ab, sondern auch davon, was und wo man studiert“, erklärt der Vorsitzende des Wissenschaftsrates, Wolfgang Marquardt.
In früheren Analysen hatte der Wissenschaftsrat angemahnt, das Notenspektrum besser auszuschöpfen. Diese Forderung scheint in den naturwissenschaftlichen Fächern ungehört verhallt zu sein, denn in Physik, Chemie und Biologie schnitten beim Diplom deutlich über 90 Prozent der Universitätsabsolventinnen und -absolventen mit „gut“ oder „sehr gut“ ab. Biologie belegt dabei mit 98 Prozent den Spitzenplatz, dicht gefolgt von der Physik. Die Note „ausreichend“ wurde dabei so gut wie nie vergeben. Nur in der Mathematik liegt ihr Anteil bei rund einem Prozent.
Differenzierter ist das Bild bei den Bachelor-Abschlüssen. Der Anteil der Noten „sehr gut“ und „gut“ sinkt in Physik und Biologie auf 86 bzw. 84 Prozent, in der Chemie liegt er nur noch bei 75 Prozent. Die Note „sehr gut“ erhalten nur 29 Prozent der Physik-Bachelor, im Diplom waren es dagegen deutlich über 60 Prozent.
Der Bericht schlüsselt auch die Durchschnittsnoten für den Diplom- und den Bachelor-Abschluss nach Hochschulen auf. In der Physik schwanken die Durchschnittsnoten beim Diplom zwischen 1,3 (U Marburg) und 1,9 (U Greifswald). Der Durchschnitt über alle Hochschulen liegt bei 1,6, das ist nur marginal schlechter als für das Prüfungsjahr 2005 (1,54). Beim Bachelor reichen die Durchschnittsnoten von 1,5 (U Würzburg) bis 2,4 (TU Darmstadt). Die durchschnittlich vergebenen Bachelor-Noten weichen in der Physik je nach Standort um fast eine ganze Note voneinander ab. In anderen Fächern fällt dies sogar noch deutlicher aus.
Daher bemängelt der Wissenschaftsrat generell die eingeschränkte Vergleichbarkeit von Prüfungsnoten. Die starken Unterschiede in der Notengebung zwischen den Fächern und den Hochschulen schwäche die Aussagekraft der einzelnen Note erheblich. Von diesem Problem seien nun nicht mehr nur die Arbeitgeber betroffen. „Bei der Auswahl der Kandidatinnen und Kandidaten für Master-Programme sind die Hochschulen nun erstmals selber auf standortübergreifend vergleichbare Prüfungs¬no¬ten angewiesen“, betont Marquardt.
Langfristig müsse daher auf Bewertungsmaßstäbe hingewirkt werden, die eine weitgehende Vergleichbarkeit der Bachelor-Prüfungsnoten zumindest im gleichen Fach und in verwandten Fächern gewährleisten. Die detaillierten Daten des Berichts sollen nach Auffassung des Wissenschaftsrates eine gute Voraussetzung dafür, die Notenvergabepraxis nicht nur zu reflektieren, sondern auch erkennbar zu verbessern.
Wissenschaftsrat / Alexander Pawlak