30.05.2014

Nützliche Röntgen-Doppelbrechung

Polarisierte Röntgenstrahlung macht molekulare Ordnung sichtbar.

Will man Einblick in die Struktur eines optisch doppelbrechenden Materials gewinnen, so untersucht man es mit linear polarisiertem Licht. Die bunten Bilder, die sich mit Hilfe eines Polarisationsmikroskops von Kristallen, Kunststoffen oder Flüssigkristallen gewinnen lassen, haben neben ihrem Informationsgehalt auch einen ästhetischen Reiz. Wesentlich feinere Strukturen lassen sich auf ähnliche Weise mit polarisierter Röntgenstrahlung sichtbar machen, wie britische Forscher jetzt berichten.

Abb.: Der horizontal polarisierte Röntgenstrahl durchquert den drehbaren Einkristall, wird vom senkrecht orientierten Analysator reflektiert und schließlich von einer CCD-Kamera detektiert. (Bild: B. A. Palmer et al.)

In einem doppelbrechenden Material kommt das Licht je nach Polarisation und Ausbreitungsrichtung unterschiedlich schnell voran. Dadurch wird die Polarisationsrichtung von linear polarisiertem Licht beim Durchlaufen des Materials gedreht. Das lässt sich mit einem Polarisationsanalysator zeigen, der das Licht je nach Größe des Drehwinkels der Polarisation unterschiedlich stark abschwächt. Da in linear polarisiertem Weißlicht die verschiedenen Farbanteile unterschiedliche Drehwinkel aufweisen und deshalb vom Polarisator unterschiedlich stark abgeschwächt werden, erhält man farbenprächtige Bilder.

Während die optische Polarisationsmikroskopie schon seit langem in der Kristallographie, der Materialwissenschaft und der Biologie Anwendung findet, nutzt man die Doppelbrechung von Röntgenstrahlen erst seit kurzem. Dazu lässt man linear polarisierte Röntgenstrahlung eine zu untersuchende Materialprobe passieren, anschließend von einem Analysator reflektieren und am Ende von einer CCD-Kamera detektieren. Der Analysator besteht z. B. aus einer Einkristalloberfläche, die nur Röntgenstrahlen mit einer bestimmten Polarisationsrichtung reflektiert.

Kenneth Harris von der Cardiff University in Wales und seine Kollegen konnten mit Hilfe von Röntgen-Doppelbrechung zeigen, dass die in einem bestimmten Kristall sitzenden Gastmoleküle je nach Temperatur einheitlich ausgerichtet oder in einem ungeordneten Zustand sein können. Das untersuchte Material war ein millimetergroßer Einkristall aus Thioharnstoff, in dessen tunnelförmigen Hohlräumen Bromcyclohexanmoleküle saßen. Die Ausrichtung der Gastmoleküle bestimmten die Forscher anhand der Orientierung ihrer C-Br-Bindungen, die sie mit linear polarisierter Röntgenstrahlung ermittelten.

Abb.: Wird der Einkristall gedreht, so führt seine Röntgendoppelbrechung zu einer veränderlichen Strahlintensität. In den beiden Bildern oben links sind jeweils drei Domänen zu erkennen, in denen die Gastmoleküle unterschiedlich orientiert sind. (Quelle: B. A. Palmer et al.)

Die Röntgenstrahlung, die von der Diamond Light Source in Didcot, Oxfordshire, stammte, war horizontal polarisiert und hatte eine Energie, die auf die K-alpha-Strahlung des Bromatoms abgestimmt war. Nachdem die Röntgenstrahlung den um zwei Achsen drehbaren Einkristall passiert hatte, traf sie auf einen senkrecht ausgerichteten Analysator und gelangte schließlich zu einem CCD-Detektor. Dessen räumliche Auflösung betrug 13 Mikrometer in vertikaler und 28 Mikrometer in horizontaler Richtung. Mit ihm ließen sich Röntgenbilder des gesamten Einkristalls aus unterschiedlichen Richtungen aufnehmen.

Zunächst untersuchten Harris und seine Mitarbeiter den Einkristall bei Zimmertemperatur, wobei sie ihn schrittweise drehten. Die mit dem optischen Polarisationsmikroskop gewonnenen Bilder zeigten, dass der Kristall doppelbrechend und somit anisotrop war. Die Röntgenuntersuchung zeigte hingegen keine Doppelbrechung. Für die benutzte Röntgenstrahlung war der Kristall isotrop. Die Gastmoleküle waren somit nicht einheitlich ausgerichtet, sondern ungeordnet.

Sodann kühlten die Forscher den Einkristall auf eine Temperatur von 100 Kelvin und wiederholten die Untersuchung. Jetzt war der Kristall sowohl für sichtbares Licht als auch für Röntgenstrahlung anisotrop. Die vom Röntgendetektor angezeigte Strahlungsintensität hing davon ab, wie der Kristall ausgerichtet war. Daraus schließen die Forscher auf eine einheitliche Ausrichtung der Gastmoleküle im Kristall. Der Detektor zeigt maximale Intensität, wenn die C-Br-Bindungen einen Winkel von 45 Grad mit der Polarisationsrichtung des einfallenden Röntgenstrahls bildeten.

Doch die detailreichen Röntgenbilder des tiefgekühlten Einkristalls zeigten noch mehr: Die einheitliche Ordnung der C-Br-Bindungen erstreckte sich nicht über den gesamten Kristall. Vielmehr waren Domänen zu erkennen, die sich durch die Ausrichtungen der Bindungen und somit auch der Gastmoleküle unterschieden.

Möglicherweise könnte man sogar sichtbar machen, wie diese Domänen entstehen, sich verändern und wieder verschwinden. Dazu müsste man die Belichtungszeit, die jetzt bei einer Sekunde liegt, verkürzen und schnellere Röntgendetektoren benutzen. Mit den einzelnen Röntgenpulsen eines Freie-Elektronen-Lasers ließen sich Belichtungszeiten von weniger als 100 Femtosekunden erreichen. So könnte man ultraschnelle molekulare Dynamiken auf völlig neue Weise sichtbar machen.

Rainer Scharf

DE

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