Nukleararsenale bewachen
Funkwellen und verstellbare Spiegel ermöglichen Fernüberwachung von eingelagerten Atomwaffen.
Ein internationales Forschungsteam hat ein neues Verfahren vorgeschlagen, mit dem sich Atomwaffenabrüstungsverträge kontrollieren lassen können. Die IT-Sicherheitsexperten entwickelten einen Mechanismus, der mittels Funkwellen von Ferne überwachen kann, ob Veränderungen in einem Raum vorgenommen werden.
Bei der Entwicklung kooperierten Teams des Max-Planck-Instituts für Sicherheit und Privatsphäre (MPI-SP) in Bochum, der Ruhr-Universität Bochum, der School of Public and International Affairs at Princeton University, der University of Connecticut, der Harvard University sowie der Physec GmbH und der Technischen Universität Berlin.
Die Forscher gingen bei ihrer Arbeit von einem Szenario aus, bei dem Staat A sicherstellen möchte, dass es im Atomwaffenlager von Staat B keine Veränderungen gibt – und zwar ohne permanent vor Ort zu kontrollieren. Eine große Gefahr besteht insbesondere durch die Entfernung eingelagerter Nuklearsprengköpfe, um sie für den Einsatz vorzubereiten. „Unser System nutzt zwei Antennen, um einen Funkfingerabdruck des Raums zu messen“, erklärt Johannes Tobisch, der zu diesem Thema im Exzellenzcluster CASA an der Ruhr-Universität Bochum und am MPI-SP promoviert hat und mittlerweile in der Industrie tätig ist. Eine der Antennen sendet ein Funksignal aus, das an den Wänden und Gegenständen des Raums reflektiert wird. Die andere Antenne zeichnet das Signal auf. Das gemessene Signal ist charakteristisch: Würde man die Gegenstände nur minimal verschieben, würde das den Funkfingerabdruck merklich verändern. Größere Änderungen wie das Entfernen eines eingelagerten Nuklearsprengkopfes können so zuverlässig erkannt werden.
Dieses Verfahren kann jedoch nur funktionieren, wenn Staat B den Funkfingerabdruck zu dem Zeitpunkt vermisst, zu dem Staat A ihn anfordert. Es gilt also zu verhindern, dass Staat B den Funkfingerabdruck aufzeichnet und die Aufzeichnung anstelle eines frisch gemessenen Signals schickt. „Das wäre sonst so, als ob jemand ein Bild vor eine Überwachungskamera kleben würde“, vergleicht Johannes Tobisch.
Daher wird zu Beginn einmalig ein Aufbau mit zwanzig drehbaren Spiegeln in dem zu überwachenden Raum installiert. Verändert sich die Position der Spiegel, verändert sich auch der Funkfingerabdruck. Staat A würde bei einem einmaligen Vor-Ort-Termin die Funkfingerabdrücke für verschiedene Spiegelstellungen aufzeichnen und in einer geheimen Datenbank speichern. In regelmäßigen Abständen könnte Staat A dann Staat B von Ferne auffordern, den Funkfingerabdruck für eine bestimmte Spiegelstellung zu schicken – und die gemessenen Daten mit der Aufzeichnung in der geheimen Datenbank vergleichen. Stimmen diese nicht überein, muss es eine Veränderung in dem Raum gegeben haben.
„Siebzig Prozent der Atomwaffen weltweit werden als militärische Reserve gelagert oder warten auf ihre Demontage“, erläutert Sebastien Philippe von der Princeton University die Bedeutung einer solchen Technik. „Das Vorhandensein und die Anzahl dieser Waffen an einem bestimmten Standort lässt sich nicht ohne Weiteres mithilfe von Satellitenbildern oder anderen Mitteln, die keinen Einblick in die Lagerräume gewähren, überprüfen. Weil es so schwierig ist, sie zu überwachen, werden diese 9000 Nuklearwaffen im Rahmen der bestehenden Atomwaffenkontrollabkommen nicht erfasst. Unsere neue Verifizierungstechnologie geht diese seit langem bestehende Herausforderung an und leistet ein Beitrag zu künftigen diplomatischen Bemühungen, die darauf abzielen, alle Nuklearwaffentypen zu begrenzen."
Um die Idee zu überprüfen, bauten die Forscher auf dem Campus der Ruhr-Universität Bochum einen Container mit verschiebbaren Fässern auf, den sie mit der Funkwellentechnik überwachten. Sie zeigten anhand dieses Set-ups, dass sich die Funkfingerabdrücke für einzelne Spiegeleinstellungen zuverlässig reproduzieren ließen. Verschiedene Spiegelstellungen erzeugten zudem eine Vielfalt an gut zu unterscheidenden Funkfingerabdrücken. Bewegten die Forscher eines der Fässer in dem Container, reichten wenige Millimeter Verschiebung aus, um im Funkfingerabdruck sichtbar zu werden.
Das Team analysierte zudem, ob es möglich ist, mithilfe von maschinellem Lernen den Zusammenhang zwischen Spiegelstellungen und Funkfingerabdrücken zu entschlüsseln. In der Tat können Algorithmen Funkfingerabdrücke voraussagen, wenn sie eine Reihe von Spiegelstellungen und die dazu gehörigen Funksignale kennen. Den Zusammenhang zu finden, dauert aber umso länger, je mehr Spiegel in dem Set-up vorhanden sind. „Bei zwanzig Spiegeln würde es acht Wochen dauern, bis ein Angreifer die zugrunde liegende mathematische Funktion entschlüsseln könnte“, berichtet Johannes Tobisch und ergänzt: „Durch die Skalierbarkeit des Systems ist es möglich, einen noch größeren Sicherheitsfaktor zu erreichen.“
„Die Technologie verbindet auf ganz neue Weise cyber-physische Sicherheitsbewertungen, die bisher nur auf Daten- und Sicherheitschips möglich sind, mit der systemübergreifenden Physik. Dies ermöglicht neue Vertrauenslevel, insbesondere für das Internet der Dinge“, sagt Christian Zenger, Leiter der Arbeitsgruppe Secure Mobile Communication an der Ruhr-Universität und Geschäftsführer der Physec GmbH.
„Das Forschungsprojekt ist ein hervorragendes Beispiel, wie neuartige Technologien an der Schnittstelle zwischen Security-Engineering und Funktechniken zur Lösung von Problemen mit großer gesellschaftlicher Bedeutung beitragen können“, sagt Christof Paar vom Bochumer Max-Planck-Institut. „In einer Zeit, in der die geopolitischen Spannungen zunehmen und sich ein neues nukleares Wettrüsten anbahnt, kommt unsere Arbeit zur rechten Zeit und ist von großer Bedeutung“, resümiert Sébastien Philippe.
RUB / DE