16.10.2003

Null Wärmeausdehnung

Das Metall YbGaGe dehnt sich bei Erwärmung praktisch nicht aus. Verantwortlich dafür sind Elektronen, die mit steigender Temperatur von den Ytterbiumatomen zu den Galliumatomen übergehen.

Null Wärmeausdehnung

Ein Metall, das sich bei Erwärmung praktisch nicht ausdehnt, haben Forscher der Michigan State University in East Lansing entdeckt. Für das ungewöhnliche Verhalten des Metalls YbGaGe sind Elektronen verantwortlich, die mit steigender Temperatur von den Ytterbiumatomen zu den Galliumatomen übergehen.

Normalerweise dehnen sich kristalline Substanzen aus, wenn man sie erwärmt. Bei tiefen Temperaturen schwingen die Atome nur geringfügig um ihre Ruhelagen, und die interatomaren Kräfte lassen sich auf das Potential eines harmonischen Oszillators zurückführen. Mit zunehmender Temperatur schwingen die Atome im Kristallgitter jedoch immer heftiger. Die interatomaren Kräfte werden dann anharmonischer und bei großen Auslenkungen „weicher“. Dadurch können sich zwei benachbarte Atome während eines Schwingungszyklus sehr weit voneinander entfernen. Das hat zur Folge, dass sich die Ruhelagen der Atome verschieben und die Abstände zwischen den Atomen zunehmen. Die Folge: Der Kristall dehnt sich aus.

Das Metall YbGaGe besitzt eine hexagonale Kristallstruktur. Ytterbiumatome sind gelb dargestellt, Galliumatome blau und Germaniumatome rot. (Quelle: Kanatzidis/Michigan State University)

Einige kristalline Materialien ziehen sich jedoch bei Erwärmung zusammen, zumindest längs bestimmter Kristallachsen. Dies ist zum Beispiel bei dem Oxid Y 2W 3O 12 der Fall. Hier verbinden die Sauerstoffatome die Wolfram- und Yttriumatome miteinander wie eine Brücke. Mit steigender Temperatur werden die Schwingungen der O-Atome senkrecht zur W-O-Y-Brücke immer stärker. Dadurch verkürzt sich der Abstand zwischen den Wolfram- und Yttriumatomen und der Kristall schrumpft in allen drei Raumrichtungen. Auch bei den anderen bekannten Materialien mit negativen thermischen Ausdehnungskoeffizienten spielt die Bewegung oder Umordnung von Atomen im Kristall eine entscheidende Rolle. Alle diese Substanzen sind indes nichtmetallisch.

Bei dem Metall YbGaGe, das eine hexagonale Struktur besitzt, halten sich die thermische Ausdehnung längs einer Kristallachse und das thermische Zusammenziehen längs der beiden anderen Achsen die Waage. Das zeigte sich, als Mercouri G. Kanatzidis und seine Mitarbeiter die Atomabstände im YbGaGe-Kristall mit Röntgenstrahlen ausmaßen. Demnach ändert sich das Volumen einer Einheitszelle des Kristalls bei Erwärmung fast nicht. Dieses Verhalten ließ sich über einen großen Temperaturbereich von 100 K bis 400 K beobachten.

Wie die Forscher berichten, hat das thermische Zusammenziehen beim YbGaGe eine neuartige und bemerkenswerte Ursache. Darauf deuten Messungen der magnetischen Eigenschaften von YbGaGe hin. Die magnetische Suszeptibilität der Substanz zeigte bei Abkühlung nicht das typische Curie-Weiss-Verhalten, wie man es für Materialien mit konstantem magnetischem Moment μ eff erwartet. Vielmehr nahm μ eff von 4,12 μ B bei hohen Temperaturen auf 0,82 μ B bei Temperaturen unterhalb von 30 K ab.

Aus Untersuchungen an verwandten Substanzen weiß man, dass für dieses Verhalten die Ytterbiumatome verantwortlich sind. Sie gehen bei Erwärmung aus einem zweifach ionisierten diamagnetischen Zustand in einen dreifach ionisierten paramagnetischen Zustand über. Im YbGaGe wandern dabei Elektronen aus dem 4f-Band der Ytterbiumatome in das 4p-Band der Galliumatome. Während die Galliumatome ihre Größe kaum verändern, wenn sie ein Elektron aufnehmen, schrumpfen die Ytterbiumionen bei Abgabe eines Elektrons ganz erheblich: Der Radius von Yb 2+ ist 1,16 Å, der von Yb 3+ hingegen nur 1,008 Å. Der Abstand zwischen den Yb-Ionen und den Ga-Ionen schrumpft entsprechend und mit ihm der ganze Kristall.

Ein Material wie YbGaGe, das sein Volumen unter wechselnden Temperaturen nicht verändert, ist von großem technischen Interesse, z. B. beim Bau von Weltraumsonden. Zudem ist YbGaGe der erste metallische Leiter mit dieser ungewöhnlichen thermischen Eigenschaft. In polykristallinem YbGaGe könnten indes bei Erwärmung Spannungen auftreten, da die Kristallite sich gleichermaßen ausdehnen und zusammenziehen. Rissbildung wäre die Folge. Doch dieses Problem ließe sich vielleicht mit sehr kleinen Kristalliten lösen. Außerdem ist das metallische YbGaGe längst nicht so spröde wie die anderen oftmals keramischen Substanzen, die sich bei Erwärmung zusammenziehen.

Rainer Scharf

Weitere Infos:

Weitere Literatur:

  • W. Sleight, Compounds That Contract on Heating, Inorg. Chem. 37, 2854 (1998).
    http://dx.doi.org/10.1021/ic980253h (frei!)   
  • Arthur Sleight, Zero-expansion plan, Nature 425, 674

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