31.03.2021

Oberflächenphononen in 3D

Erstmals gelingt die Abbildung der elektromagnetischen Felder von Nanostrukturen.

Ob für die Mikroskopie, die Datenspeicherung oder die Sensorik: Viele fortgeschrittene technologische Anwendungen, die spezifische Funktionen erfordern, beruhen auf der Struktur des elektro­magnetischen Feldes in der Nähe der Oberflächen von Materialien. An Nanosystemen tragen Oberflächen­phononen, also zeitliche Verzerrungen des Atomgitters, entscheidend zu den physikalischen und thermo­dynamischen Eigenschaften bei. Könnte man Oberflächen­phononen gezielt manipulieren, könnte man eine bessere Wärmeleitung zwischen zwei Bauteilen mit Nano­oberflächen bewirken – was beispielsweise für Detektoren, Sensoren oder für hoch­effiziente passive Kühlsysteme genutzt werden könnte. Darüber hinaus konzentrieren Oberflächen­phononen elektro­magnetische Energie spektral bis in den fernen Infrarotbereich. Das ebnet den Weg für super­auflösende Linsen, verbesserte Schwingungs­spektroskopie oder weitere faszinierende Anwendungen.
 

Abb.: Gerald Kothleitner (v.l.), TU Graz, Ulrich Hohenester, Uni Graz, und...
Abb.: Gerald Kothleitner (v.l.), TU Graz, Ulrich Hohenester, Uni Graz, und Georg Haberfehlner, TU Graz. (Bild: H. Lunghammer, TU Graz)

Trotz des enormen Potenzials ist dieses Gebiet der Fest­körper­physik noch wenig erforscht. Denn für die Erschließung neuer Nano­technologien müssen diese Felder erst auf der Nanometer­skala sichtbar gemacht werden: „Die Visualisierung dieser lokalen Felder ist der Ausgangspunkt für ein tieferes Grundlagenverständnis und für ein besseres Design von Nanostrukturen“, weiß Gerald Kothleitner, Leiter des Instituts für Elektronen­mikroskopie und Nanoanalytik der TU Graz: „Erst vor wenigen Jahren wurden Elektronen­mikroskope entwickelt, die leistungsfähig genug sind, um die relativ niedrige Energie von Phononen überhaupt zu registrieren. Bis dato konnten sie aber nur unzureichend, bestenfalls zweidimensional vermessen werden.“

Gemeinsam mit dem französischen Laboratoire de Physique des Solides (LPS) Orsay ist es Gerald Kothleitner, seinem Instituts­mitarbeiter Georg Haberfehlner und Ulrich Hohenester vom Institut für Physik der Universität Graz nun erstmals gelungen, Oberflächen­phononen dreidimensional abzubilden. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal Science veröffentlicht. 

Kothleitner, korrespondierender Autor der Studie: „Wir haben diese Gitter­schwingungen mit einem Elektronen­strahl angeregt, mit speziellen spektroskopischen Methoden gemessen und anschließend tomografisch rekonstruiert. Dadurch wurden die von den Oberflächen­phononen eines Magnesiumoxid-Nanowürfels erzeugten infraroten Lichtfelder erstmals dreidimensional sichtbar und die räumliche Verteilung erkennbar. Insbesondere konnten wir so auch die Orte mit hohen Feld­verstärkungen und die damit starken Wechsel­wirkungen bestimmter Phononen mit der Umgebung darstellen.“ 

Die Entwicklung der Methodik und die Durchführung der neuartigen tomografischen Rekonstruktion erfolgten unter Feder­führung der Universität Graz. Ulrich Hohenester zieht Parallelen zwischen dem bekannten Röntgenbild und dem Computer-Tomografie-Verfahren: „Aus vielen zusammen­gesetzten 2D-Projektionen lässt sich eine 3D-Rekonstruktion des Objekts erstellen.“

Die Physiker verwendeten dazu anstelle des Röntgenstrahls den Elektronen­strahl, der statt mit Knochen und Gewebe mit Infrarot-Lichtfeldern wechselwirkt. „Wie bei einer Violine oder Gitarre“, erklärt Hohenester, „werden die Schwingungen an der Oberfläche des Nanowürfels in eine Reihe von Resonanzen zerlegt. Diese Modi werden dann so gewählt, dass man eine möglichst gute Über­einstimmung mit den experimentellen Daten erhält.“ 

Die erste umfassende Auswertung und 3D-Darstellung elektro­magnetischer Felder ist ein Erfolg, der auf die enge Kooperation von TU Graz und Uni Graz im Rahmen von „NAWI Graz“ zurück­zuführen ist. Zum Einsatz kam dabei ein Raster­transmissions­elektronen­mikroskop der jüngsten Generation (STEM), mit dem diese Strahlungs-Materie-Wechselwirkungen auf der Nanometer­skala vermessen wurde. Weltweit gibt es erst eine Handvoll solcher Mikroskope, die dies erlauben – eines davon steht in Orsay. 

Das Konzept für die 3D-Aufnahme von Phononen wurde von Gerald Kothleitner gemeinsam mit Orsay während der Projekt­planung für ein europaweit laufendes Projekt namens ESTEEM 3 entwickelt: ein Projekt, in dem unter anderem neue elektronen­mikroskopische Verfahren erarbeitet werden. 

TU Graz / DE
 

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