28.07.2017

Passive Kühlung mit dünner Membran

Mehrschichtiges Material könnte Strombedarf für Klimaanlagen drastisch senken.

Gegen­sätzliche Funktionen in einem Material zu verbinden: Diese Idee verfolgte Mario Stucki vom Func­tional Materials Labora­tory der ETH Zürich, um einen küh­lenden Vorhang zu entwickeln. Er kombinierte zwei Lagen von hydro­phobem Poly­ethuran mit einer mittleren Lage aus einem hydro­philen Polymer. Die resul­tierende Membran fühlte sich trocken an, obschon sie mit Wasser getränkt war. Und da die äußeren Schichten mit Löchern von rund einem Mikro­meter Durch­messer überzogen waren, konnte Wasser aus der mitt­leren Schicht in die Umgebung entweichen.

Abb.: Stromsparen bei Hitze: Mario Stucki entwickelte eine neuartige Membran, die Räume kühlt. (Bild: P. Rüegg, ETHZ)

„Das Verdampfen von Wasser benötigt viel Energie“, erklärt Stucki. „Dabei wird der Luft Wärme entzogen, sie kühlt sich ab, und gleich­zeitig steigt die Luft­feuchtigkeit in der Umgebung.“ Herkömm­liche Luftbe­feuchter arbeiten genauso – brauchen dafür jedoch viel Strom. Stuckis System hingegen ist passiv. „Die Sonnen­strahlung, die durch ein Fenster auf den Vorhang fällt, liefert genug Energie für diese Art der Raum­klimatisierung.“ Für heiße und trockene Gebiete könnten solche Vorhänge ein Segen sein. Denn Gebäude und Räume zu kühlen, verschlingt Unmengen an Strom. In den USA zum Beispiel gehen heute rund 15 Prozent des Energie­verbrauchs auf Klima­geräte zurück. Ein Großteil der Energie stammt aus fossilen Quellen. Der passive Kühl­vorhang wäre eine umwelt- und klima­schonende Alternative.

Stucki entwickelte bereits 2013 ein neuartiges Material für den Outdoor-Bereich. Dieses enthält im Gegensatz zu üblichen funk­tionalen Textilien keine umwelt- und gesundheits­schädlichen Fluor­verbindungen. Seine aktuelle Forschung greift auf die damalige Erfindung zurück: Er funktiona­lisierte sein Textil über Platz­halter. Dazu mischte er winzige Kalk­partikel in das flüssige Polymer, das später zum Textil verar­beitet wird. Der Kalk kann anschließend durch Behandlung mit Salz- oder Essig­säure aus dem festen Material heraus­gelöst werden, so dass an den Stellen der Nanopartikel winzige Löcher entstehen. Diese sind nötig, damit das Material funktional ist und „atmen“ kann. Die Außen­wände des Kühl­vorhangs sind aus einem solchen porösen Kunststoff gefertigt, damit die mittlere, hydro­phile Schicht das Wasser überhaupt an die Umgebung abgeben kann.

Um die verschie­denen Lagen zu einem Material zu kombi­nieren, werden die verschiedenen Schichten nicht miteinander verklebt, wie in indus­triellen Prozessen üblich. Vielmehr werden sie in einem geeig­neten Lösungs­mittel aufeinander­gelegt, wodurch die äußeren Schichten leicht angelöst werden und sich mit der mittleren verbinden. Nur so können die Forscher sicher­stellen, dass das Außen­material der Membrane porös bleibt. Die grund­sätzliche Funk­tionalität des Kühlvorhangs konnte Stucki im Versuch beweisen. Dafür steckte er die drei­lagige Membrane in ein Wasserbad und maß bei 30 Grad und 50 Prozent Luft­feuchtigkeit die Wasser­abgabe an die Umgebung – zwischen 1,2 und 1,7 Kilogramm Wasser pro Tag und Quadrat­meter. Die Forscher rechneten die Ergeb­nisse auf ein kubisches Gebäude von zehn Meter Seiten­länge hoch. Die darin verfügbare Vorhang­fläche von 80 Quadrat­metern reichte, um bei 40°C Außen­temperatur und 30°C Innen­temperatur mehr Wärme abzu­führen als die Sonne über die Ein­strahlung zuführt. Das Haus würde somit passiv abgekühlt.

„Wir konnten zeigen, dass unser System grund­sätzlich funk­tioniert“, sagt Stucki. „Doch für eine Kommerzia­lisierung müssten noch viele Fragen geklärt werden.“ Zum Beispiel wie sich das Material mikro­biologisch verhält. Denn hohe Tem­peraturen und Feuch­tigkeit bilden den idealen Nährboden für das Wachstum von Bakterien und Pilzen. Der Kunststoff für den Außen­mantel könnte jedoch relativ einfach mit anti­septischen Materialien ersetzt werden, sagt Stucki. Dies sei einer der Vorteile der Funktiona­lisierung über Kalk­nanopartikel.

Eine weitere Heraus­forderung ist, dass die Vorhänge über die Gesamt­fläche Wasser verdampfen können. Dafür muss der Wasser­transport in der Membran noch verbessert werden. Und schließlich ist noch unklar, wie lange die Membran stabil funk­tionieren würde. Stucki wird sich im Sommer erst einmal auf die Kommerzia­lisierung von fluor­freien Outdoor-Textilien konzen­trieren. Dafür sucht er aktuell Finanzierungs­partner. Er schließt allerdings nicht aus, dass auch die neuartige Membran Potenzial im Outdoor-Bereich hat. Denn sie eignet sich, Schweiss kontrol­liert und gerichtet abzu­führen.

ETHZ / JOL

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