Passive Kühlung mit dünner Membran
Mehrschichtiges Material könnte Strombedarf für Klimaanlagen drastisch senken.
Gegensätzliche Funktionen in einem Material zu verbinden: Diese Idee verfolgte Mario Stucki vom Functional Materials Laboratory der ETH Zürich, um einen kühlenden Vorhang zu entwickeln. Er kombinierte zwei Lagen von hydrophobem Polyethuran mit einer mittleren Lage aus einem hydrophilen Polymer. Die resultierende Membran fühlte sich trocken an, obschon sie mit Wasser getränkt war. Und da die äußeren Schichten mit Löchern von rund einem Mikrometer Durchmesser überzogen waren, konnte Wasser aus der mittleren Schicht in die Umgebung entweichen.
Abb.: Stromsparen bei Hitze: Mario Stucki entwickelte eine neuartige Membran, die Räume kühlt. (Bild: P. Rüegg, ETHZ)
„Das Verdampfen von Wasser benötigt viel Energie“, erklärt Stucki. „Dabei wird der Luft Wärme entzogen, sie kühlt sich ab, und gleichzeitig steigt die Luftfeuchtigkeit in der Umgebung.“ Herkömmliche Luftbefeuchter arbeiten genauso – brauchen dafür jedoch viel Strom. Stuckis System hingegen ist passiv. „Die Sonnenstrahlung, die durch ein Fenster auf den Vorhang fällt, liefert genug Energie für diese Art der Raumklimatisierung.“ Für heiße und trockene Gebiete könnten solche Vorhänge ein Segen sein. Denn Gebäude und Räume zu kühlen, verschlingt Unmengen an Strom. In den USA zum Beispiel gehen heute rund 15 Prozent des Energieverbrauchs auf Klimageräte zurück. Ein Großteil der Energie stammt aus fossilen Quellen. Der passive Kühlvorhang wäre eine umwelt- und klimaschonende Alternative.
Stucki entwickelte bereits 2013 ein neuartiges Material für den Outdoor-Bereich. Dieses enthält im Gegensatz zu üblichen funktionalen Textilien keine umwelt- und gesundheitsschädlichen Fluorverbindungen. Seine aktuelle Forschung greift auf die damalige Erfindung zurück: Er funktionalisierte sein Textil über Platzhalter. Dazu mischte er winzige Kalkpartikel in das flüssige Polymer, das später zum Textil verarbeitet wird. Der Kalk kann anschließend durch Behandlung mit Salz- oder Essigsäure aus dem festen Material herausgelöst werden, so dass an den Stellen der Nanopartikel winzige Löcher entstehen. Diese sind nötig, damit das Material funktional ist und „atmen“ kann. Die Außenwände des Kühlvorhangs sind aus einem solchen porösen Kunststoff gefertigt, damit die mittlere, hydrophile Schicht das Wasser überhaupt an die Umgebung abgeben kann.
Um die verschiedenen Lagen zu einem Material zu kombinieren, werden die verschiedenen Schichten nicht miteinander verklebt, wie in industriellen Prozessen üblich. Vielmehr werden sie in einem geeigneten Lösungsmittel aufeinandergelegt, wodurch die äußeren Schichten leicht angelöst werden und sich mit der mittleren verbinden. Nur so können die Forscher sicherstellen, dass das Außenmaterial der Membrane porös bleibt. Die grundsätzliche Funktionalität des Kühlvorhangs konnte Stucki im Versuch beweisen. Dafür steckte er die dreilagige Membrane in ein Wasserbad und maß bei 30 Grad und 50 Prozent Luftfeuchtigkeit die Wasserabgabe an die Umgebung – zwischen 1,2 und 1,7 Kilogramm Wasser pro Tag und Quadratmeter. Die Forscher rechneten die Ergebnisse auf ein kubisches Gebäude von zehn Meter Seitenlänge hoch. Die darin verfügbare Vorhangfläche von 80 Quadratmetern reichte, um bei 40°C Außentemperatur und 30°C Innentemperatur mehr Wärme abzuführen als die Sonne über die Einstrahlung zuführt. Das Haus würde somit passiv abgekühlt.
„Wir konnten zeigen, dass unser System grundsätzlich funktioniert“, sagt Stucki. „Doch für eine Kommerzialisierung müssten noch viele Fragen geklärt werden.“ Zum Beispiel wie sich das Material mikrobiologisch verhält. Denn hohe Temperaturen und Feuchtigkeit bilden den idealen Nährboden für das Wachstum von Bakterien und Pilzen. Der Kunststoff für den Außenmantel könnte jedoch relativ einfach mit antiseptischen Materialien ersetzt werden, sagt Stucki. Dies sei einer der Vorteile der Funktionalisierung über Kalknanopartikel.
Eine weitere Herausforderung ist, dass die Vorhänge über die Gesamtfläche Wasser verdampfen können. Dafür muss der Wassertransport in der Membran noch verbessert werden. Und schließlich ist noch unklar, wie lange die Membran stabil funktionieren würde. Stucki wird sich im Sommer erst einmal auf die Kommerzialisierung von fluorfreien Outdoor-Textilien konzentrieren. Dafür sucht er aktuell Finanzierungspartner. Er schließt allerdings nicht aus, dass auch die neuartige Membran Potenzial im Outdoor-Bereich hat. Denn sie eignet sich, Schweiss kontrolliert und gerichtet abzuführen.
ETHZ / JOL