18.12.2019

Per Handy: Stabilität antiker Bauwerke prüfen

Neues Verfahren ermöglicht Prüfung des mechanischen Zustands von Bauwerken anhand von Fotografien.

In den 1960er-Jahren brach eine Säule der Zisterne der Ayatekla-Basilika in der Türkei zusammen und musste durch eine Betonsäule ersetzt werden. Auch andere Säulen des antiken Bauwerks sind stark angegriffen. Um beurteilen zu können, ob diese einsturz­gefährdet sind, müssen die Experten wissen, welche internen Kräfte in der Struktur wirken. Aber wie lässt sich das beurteilen, ohne das Bauwerk zu beschädigen?

Abb.: Mithilfe eines neuen Verfahrens lässt sich der mechanische Zustand von...
Abb.: Mithilfe eines neuen Verfahrens lässt sich der mechanische Zustand von antiken Bauwerken schnell und unkompliziert bestimmen. Das Bild zeigt ein Computermodell der Ayatekla-Basilika-Zisterne. (Bild: TUM)

„Um den Spannungszustand einer Struktur zu berechnen, wird in der Ingenieur­praxis sehr oft die Methode der finiten Elemente verwendet“, erklärt Stefan Kollmanns­berger von der TU München. „Bevor zum Beispiel eine Brücke gebaut wird, muss bekannt sein, ob sie den Belastungen des Verkehrs standhält. Es muss nach­ge­wiesen werden, dass sowohl die zu erwartenden Verformungen als auch die Belastung des Materials unter vorge­gebenen Grenzen liegen.“

Für das Bauwerk als Ganzes ist diese Berechnung des physika­lischen Verhaltens aufgrund seiner komplexen Geometrie nicht ohne weiteres möglich. Das Modell wird daher in die finiten Elemente unter­teilt, die jeweils eine einfache Geometrie besitzen. Für jedes dieser Elemente kann dann mit Hilfe bestimmter Annahmen über das Material­verhalten und möglicher Verformungs­zustände dessen Widerstand bei unter­schied­lichsten Kräfte­ein­wirkungen berechnet werden. „Werden die Elemente wieder zusammen­fügt, kann das Verhalten der ganzen Struktur beurteilt werden“, so Kollmanns­berger.

Während aber die Geometrie der Brücke aufgrund der Baupläne bereits bekannt ist, muss sie für antike Bauwerke erst bestimmt werden. Möglich ist das zum Beispiel durch einen Laserscan. Dieser kann Punkte des Bauwerks im Raum lokalisieren. Es entsteht eine Punktwolke. Aber auch mithilfe von Handyfotos lassen sich Punktwolken erstellen. Dazu genügen Bilder eines Objektes aus mehreren verschiedenen Blickwinkeln. Sind die Position der Kamera sowie die Brennweite des Objektivs bekannt, können die Pixel in den unter­schied­lichen Bildern miteinander in Bezug gesetzt werden. So werden im Computer­modell dann die Punkte auf der Oberfläche des Objekts im Raum errechnet.

Die klassische Vorgehensweise ist es nun, aus der Punktwolke das ungefähre Volumen des Bauwerks zu bestimmen und auf dieses Volumen die Finite-Elemente-Methode anzuwenden. „Das ist allerdings sehr aufwändig, weil hierfür auf Grundlage der Punktwolke zunächst die Oberfläche rekonstruiert werden muss“, sagt Kollmanns­berger. „Im Anschluss muss das Volumen in die finiten Elemente zerlegt werden.“ Dabei müssen einerseits die Ränder der Elemente mit dem Rand der Struktur über­ein­stimmen, anderer­seits müssen die Seiten der geometrischen Strukturen ein bestimmtes Verhältnis zueinander haben, um aussage­kräftige Ergebnisse liefern zu können.

„Wir haben uns gefragt, ob man mit den Punktwolken nicht einfach direkt rechnen kann“, erklärt Kollmanns­berger. Hierfür nutzen die Forscher einen Trick. Sie haben die Finite-Elemente-Methode so erweitert, dass eine punktweise Darstellung des Baukörpers ausreicht. Trotz dieser verein­fachten geometrischen Darstellung bleibt die Genauigkeit des ursprüng­lichen Verfahrens erhalten. Das neue Verfahren tauften sie Point Cloud Finite Cell Method.

Mit dem neuen Verfahren ist es ausreichend, für jeden Punkt im Raum zu entscheiden, ob dieser sich innerhalb oder außerhalb der Struktur befindet. Eine Umgebung des Baukörpers kann zunächst ohne Berücksichtigung der genauen Geometrie gleichförmig in finite Elemente unterteilt werden. Im Anschluss wird berechnet, ob bestimmte Punkte zu dem Baukörper gehören. Diesen Punkten werden die Materialeigenschaften des Bauwerks zugeordnet. Denjenigen Punkten, die nicht im Bauwerk liegen, wird ein sehr weiches Material zugeordnet.

„Es hat sich gezeigt, dass sich das mechanische Verhalten der Struktur mit diesem Verfahren genauso gut wie mit der klassischen Finite-Elemente-Methode bestimmen lässt“, sagt Kollmanns­berger. „Jedoch erlaubt das neue Verfahren eine automati­sier­bare und vor allem viel schnellere Berechnung. Damit ist eine struktur­mechanische Vorhersage für massive und relativ homogene Bauwerke auch mit Hilfe von Drohnen­bildern in Reichweite.“

Die Säulen der Ayatekla-Kirche-Zisterne stehen übrigens noch stabil. Allerdings sind im Modell bereits hohe Spannungen zu erkennen.

TUM / RK

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