27.06.2012

Phasenkontrastmikroskop mit atomarer Auflösung

Elektronenmikroskop wandelt Phasendifferenzen der Elektronenwellen in Intensitäten und macht  die Verschiebungen einzelner Atome sowie ihre elektrischen Felder sichtbar.

Transparente Objekte wie biologische Zellen zeigen unter herkömmlichen Lichtmikroskopen ein nahezu strukturloses Bild. Mit der Dunkelfeldmikroskopie, die die ohne Ablenkung durch das Objekt laufenden Lichtstrahlen ausblendet und nur die abgelenkten Strahlen zur Abbildung verwendet, verbessert sich das Bild. Das Phasenkontrastmikroskop, dessen Erfinder Frits Zernike 1953 den Physik-Nobelpreis erhielt, geht einen Schritt weiter. Statt die nicht abgelenkten Strahlen auszublenden, gibt es ihnen eine zusätzliche Phase von 90°, indem es sie durch eine strukturierte Phasenplatte laufen lässt. Dadurch werden selbst in völlig transparenten Objekten Strukturen von unterschiedlicher Dicke oder optischer Dichte als Intensitätsunterschiede sichtbar, obwohl diese Strukturen nur die Phase der durchlaufenden Lichtwellen ändern und nicht ihre Intensität.

Abb.: Ein elektrisches Feld (roter Pfeil) in der Nähe des Atoms (blauer Punkt) lenkt den Elektronenstrahl aus seiner ursprünglichen Richtung, sodass die beiden Detektoren (rotes und blaues Segment) unterschiedlich starke Signale liefern. (Bild: N. Shibata et al. / Nature Physics)

Zernikes Trick klappt auch mit Röntgen- oder Elektronenwellen. Beim elektronischen Phasenkontrastverfahren nutzt man die sphärische Aberration der kreisförmigen elektrostatischen oder elektromagnetischen Linsen eines Transmissionselektronenmikroskops (TEM). Wenn das TEM nicht genau fokussiert ist, beeinflusst die sphärische Aberration die Elektronenwellen so, als würden sie durch eine Phasenplatte laufen und dabei eine Phasenverschiebung erleiden, wie sie für das Phasenkontrastverfahren nötig ist. Allerdings begrenzen die sphärische und die mit ihr auftretende chromatische Aberration der Linsen das Auflösungsvermögen des TEM auf etwa das 50-fache der Elektronenwellenlänge. Benutzt man aberrationskorrigierte Linsen, so verbessert sich die Auflösung erheblich auf etwa 0,1 nm, doch zugleich entfallen die Voraussetzungen für den Phasenkontrast.

Wie man mit einem aberrationskorrigierten TEM atomare Auflösung erreicht und dennoch das Phasenkontrastverfahren einsetzten kann, haben jetzt Naoya Shibata von der Universität Tokyo und seine Kollegen gezeigt. Mit ihrem TEM haben sie 100 µm dicke Kristallplättchen aus Strontium- oder Bariumtitanat untersucht. Dazu wurde solch ein Kristall mit einem feinen Elektronenstrahl abgetastet. Der Strahl, der den dünnen Kristall nahezu verlustfrei durchquerte, aber von den elektrischen Feldern der Atome geringfügig abgelenkt wurde, traf schließlich auf einen ringförmigen Detektor. Die Ablenkung des Strahls wurde dadurch verursacht, dass die Elektronenwellen durch die ortsabhängigen elektrischen Felder, die die einzelnen Atome umgaben, unterschiedliche Phasen erhielten, je nachdem in welchem Abstand sie ein Atom passierten.

Der ringförmige Detektor, auf den nur der abgelenkte Teil des Elektronenstrahls fiel, bestand aus vier gleichgroßen Segmenten, die vier Intensitätssignale lieferten. Die Forscher bildeten die Differenz der von den diagonal gegenüberliegenden Detektorsegmenten gemessenen Intensitäten, woraus sie ein Maß für die Ablenkung des Elektronenstrahls längs dieser Diagonale erhielten. Daraus ermittelten sie die Änderung der Phase der Elektronenwellen in Abhängigkeit vom Abstand, in dem die Wellen Atome passiert hatten. Aus der Phasenänderung wiederum ließ sich die Stärke des elektrischen Feldes in der Nähe der einzelnen Atome bestimmen.

Zunächst untersuchten die Forscher mit ihrem TEM einen äußerst symmetrischen Strontiumtitanatkristall. Die Positionen der Kristallatome ließen sich mit einer Genauigkeit von etwa 0,1 nm erkennen. Die Atome waren von symmetrischen Feldern umgeben, wie sich an der Ablenkung des Strahls erkennen ließ. Bei dem anschließend untersuchten Bariumtitanatkristall ergab sich ein anderes Bild. In diesem Kristall sind die positiv geladenen Bariumatome gegen die negativen Sauerstoffatome verschoben, sodass ein elektrisches Dipolmoment auftritt: Der Kristall ist ferroelektrisch. Die Aufnahmen mit dem Phasenkontrast-TEM zeigten nicht nur die Verschiebung der Atome, sondern auch, dass die Atome von starken asymmetrischen Feldern umgeben waren. Anhand von Modellrechnungen, deren Ergebnisse die die Forscher mit den TEM-Aufnahmen verglichen, konnten sie die Umverteilung der Ladungen zwischen den Atomen und somit den Grad der Ionisierung bestimmen.

Das neue Phasenkontrast-TEM gibt bisher unerreicht detaillierte Einblicke in extrem lokalisierte elektrische Felder. Das ließe sich nach Ansicht von Naoya Shibata und seine Kollegen dazu nutzen, das Wechselspiel zwischen der atomaren Struktur und den elektromagnetischen Eigenschaften polarer und ferroischer Materialien genauer aufzuklären.

Rainer Scharf

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