Photonik – eine Spielwiese der Physik
Die Anwendung der Supersymmetrie erweist sich als vielversprechendes Konzept in der Photonik.
Licht fasziniert die Wissenschaft seit Jahrhunderten. Es vereinigt Optik und Quantenphysik miteinander, ist sowohl Welle als auch Teilchen und keines von beiden. Die moderne lichtbasierte Wissenschaft und Technologie – die Photonik – ist Treiber vieler technischer Innovationen. Ohne sie gäbe es keine Halbleiterindustrie, keine Smartphones und kein schnelles Internet.
Gleichzeitig sind lichtführende Systeme auch ein ideales Testbett für die gesamte Physik. Konzepte aus den Bereichen der Festkörperphysik, Topologie, Quanten‐ und Teilchenphysik können mit Hilfe der Photonik erforscht und besser verstanden werden. Damit lassen sich neue Technologien entwickeln – auch jenseits der Photonik.
In Festkörpern laufen viele dynamische Prozesse ab, die experimentell nur schwer zugänglich sind. Sie lassen sich mit Hilfe photonischer Systeme untersuchen und führen zu neuen Erkenntnissen. Dazu werden Elektronenwellenfunktionen durch Lichtwellen und atomare Potentiale durch Brechzahlverteilungen abgebildet, sodass dieselben Gesetzmäßigkeiten herrschen. Durch die Analyse in diskreten photonischen Gitterstrukturen sinkt der Aufwand in der Untersuchung von Quantentransportregimen deutlich. Beispiele sind die Anderson‐Lokalisierung, hervorgerufen durch Unordnung, oder Bloch‐Oszillationen, angeregt durch externe Felder.
Ähnliches gilt für das heute als „Hot Topic“ geltende Gebiet der Topologie, das 2016 mit dem Nobelpreis für Physik geehrt wurde. Das ursprünglich aus der Mathematik kommende Teilgebiet der Physik kann auf verschiedenen Plattformen implementiert und genutzt werden – so auch in optischen Systemen: Wellenleitern, gekoppelten Resonatoren oder photonischen Kristallen. Der hohe Kohärenzgrad und die geringe Wechselwirkung mit der Umgebung ermöglichen die Realisierung photonisch‐topologischer Systeme mit völlig neuen Eigenschaften. Dazu zählen eine streuungsfreie Lichtführung, funktionale photonische Komponenten mit extremer Fehlertoleranz und sogar hocheffiziente „Trichter“ für Licht.
Auch die Teilchenphysik inspiriert die Photonikforschung. Das Konzept der Supersymmetrie (SUSY) zur einheitlichen Beschreibung von Bosonen und Fermionen kann in die Optik übertragen werden. Supersymmetrische photonische Partner zeigen nahezu identische Eigenschaften, insbesondere das gleiche Eigenwertspektrum, aber unterschiedliche Brechzahllandschaften. Eine ganze Reihe toller Anwendungsfälle lässt sich so ersinnen: Modenkonverter zur Erhöhung der Kanalkapazitäten in der optischen Kommunikation, von außen unsichtbare Strukturen und optische Schichten mit perfekten Spezifikationen bei minimalen Strukturtiefen.
Im Feld der Quantenphysik vermischt sich die Eigenschaft von photonischen Systemen als Testbett mit der als tatsächliches Quantensystem. 1998 machten Carl M. Bender von der Washington University und sein Student Stefan Böttcher eine fundamentale Entdeckung: Nichthermitesche, dafür aber paritäts‐ und zeitsymmetrische (PT‐symmetrische) Systeme können ein komplett reelles Eigenwertspektrum haben. Das klingt zunächst nach einem abstrakten Konzept, aber damit legten sie den Grundstein für eine Vielzahl photonischer Implementierungen derartiger Systeme.
Matthias Heinrich erklärt ab Seite 26 detailliert, wie dieser Ansatz funktioniert, und wie Supersymmetrie und PT‐Symmetrie in photonischen Strukturen zusammenspielen. Neben fundamentalen neuen Erkenntnissen der Grundlagenforschung legt er einen Hauptschwerpunkt auf potenzielle Anwendungsszenarien, wie neuartige optische Isolatoren, neue Laserkonzepte und hochempfindliche Detektoren. Besonders bemerkenswert ist die Möglichkeit, die Kanalkapazität in Bereich der Kommunikation zu erhöhen. Dies lässt sich sowohl auf klassische Laser‐ wie auch auf moderne Quantenkommunikation anwenden.
Insbesondere in der disruptiv wirkenden Quantentechnologie ist Licht entscheidend. Photonischen Systemen kommt in allen vier Säulen – Quantenkommunikation, Quantencomputing, Quantenbildgebung und Quantensensorik – eine entscheidende Rolle zu. Gerade hier, in der Symbiose aus Quantentechnologie und Konzepten wie Supersymmetrie und PT‐Symmetrie, kann ein Quell neuer Erkenntnisse und Innovationen zum Nutzen für Wissenschaft und Gesellschaft entstehen.
Markus Gräfe, Fraunhofer Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik, Jena
Originalveröffentlichungen
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