13.02.2013

Photonik zum Anfassen

EU-Schulprojekt soll forschendes, „problembasiertes Lernen“ (inquiry-based learning, IBL) in den Physikraum bringen.

Ein neues, von einem Team aus Photonikforschern, Lehrern und Pädagogikexperten aus elf EU-Ländern entwickeltes Unterrichtsset, prall gefüllt mit der nötigen Ausrüstung für unterhaltsame und interessante Experimente im Klassenraum, wird kostenlos an Schulen in ganz Europa verteilt. Seine Entwickler hoffen, dass das „Photonics Explorer Kit“ bis 2015 von 2,5 Millionen europäischen Gymnasiasten genutzt wird, um praktische Experimente in der Photonik, diesem Schlüsselbereich der modernen Physik und Technik, durchzuführen, und damit noch stärker deren Interesse für die Physik und die Naturwissenschaften im Allgemeinen erweckt wird. Auf diese Weise sollen junge Menschen dazu ermutigt werden, eine Karriere in der Wissenschaft zu verfolgen, damit Europa den Fachkräftemangel in den Hightech-Industriezweigen in den Griff bekommen kann.

„Die Photonik befasst sich mit der Wissenschaft des Lichts und den Lichttechnologien. Sie ist ein nicht wegzudenkender Bestandteil fast jeder Technologie des Digitalzeitalters - von der Kommunikation bis ins Gesundheitswesen - und sie hat bei der den Schülern vertrauten alltäglichen Technik wie Internet, Mobiltelefonieren usw. eine Schlüsselfunktion inne“, erklärt Hugo Thienpont von der Freien Universität Brüssel, der mehr als 20 Jahre Erfahrung auf diesem Gebiet vorweisen kann. „Überdies ist sie optisch sehr ansprechend und nachvollziehbar. An den Experimenten mit Licht können sich die Schülerinnen und Schüler erfolgreich beteiligen, sie sind begeisternd sowie Interesse und Neugier erweckend.“

Thienpont leitete die Entwicklung des Photonics Explorer Kit und der begleitenden Materialien für die Lehrer. Er ist Koordinator des Projekts „Photonics Explorer: developing a photonics educational kit for Europe's secondary schools“ (Expekt), das von der Europäischen Kommission eine Finanzierung in Höhe von 550.000 Euro erhielt. Anschließend gründete das Team mit der Unterstützung von EU-Regierungen und der Industrie „EYESTvzw“, eine gemeinnützige Organisation, die von nun an die großangelegte Verteilung der Sets verwaltet.

Im Laufe der Zeit könnte in ganz Europa der Physikunterricht bedeutend beeinflusst werden: hin zum weit verbreiteten forschungs- und problemorientierten Lernen anstelle von weniger effektiven und weniger mitreißenden theoretischen Ansätzen.

„Ein geringes Interesse an Wissenschaft und Technik ist eng mit der Qualität des naturwissenschaftlichen Unterrichts verbunden, der die Schülerinnen und Schüler oft davon abbringt, naturwissenschaftliche Fächer und Laufbahnen, insbesondere in der Physik, zu wählen. Die Schülerschaft erlebt im regulären Unterricht nur selten echte wissenschaftliche Methoden und geht kaum forschenden bzw. problemlösenden Aktivitäten nach, obwohl Experimente ein wesentlicher Teil wissenschaftlichen Arbeitens sind. Die eher theoretische Darstellung der Inhalte sowie scheinbar veraltete Gerätschaften und Lehrbücher tragen nur zu oft zum negativen Bild der Physik als langweilig und unattraktiv bei, so dass viele Schüler sie so früh wie möglich ad acta legen“, bedauert Thienpont.

Forschungsorientierte Methoden wirken sich hingegen nachgewiesenermaßen sehr positiv auf Interesse und Motivation der Schüler aus, obwohl sie aus Zeitgründen und wegen auf den Lehrplan zurückzuführenden Einschränkungen nur selten übernommen wurden.

Das Expekt-Team suchte deshalb nach einer einfachen, mühelosen und effektive Methode, um das forschungsorientierte Lernen ins Klassenzimmer zu bringen. Man entwickelte das Photonics Explorer Kit in enger Zusammenarbeit mit dem Bildungswesen und bildete die Lehrerinnen und Lehrer in Bezug auf seinen Einsatz aus. Das Team sorgte dafür, dass es nahtlos in die Lehrpläne der Schulen und die verschiedenen Lehrkulturen in Europa aufgenommen werden kann, ohne zusätzliche Zeit und Mühe seitens der Lehrer oder Schüler zu verursachen. Dieser Punkt darf in seiner Wichtigkeit nicht unterschätzt werden.

Jedes Set enthält einige vielseitige Bauteile zum Experimentieren wie etwa Laser, Polarisatoren, Leuchtdioden und Spiegel, so dass eine typische Klasse aus ungefähr 30 Schülerinnen und Schülern in Zweier- oder Dreiergruppen arbeiten und praktische Experimente durchführen kann. Die für Schüler im Alter von 12 bis 14 bzw. 16 bis 18 konzipierten Themen beinhalten die Grundlagen der Photonik und Optik von der Reflexion über die Farben bis hin zur Beugung und Interferenz. Diese Bereiche kommen in den Lehrplänen sämtlicher europäischer Länder vor.

Die Schüler können beispielsweise ein Wort mit Hilfe von Leuchtdioden durch einen Lichtwellenleiter übermitteln. Sie können die Wellenlängen der Farben in einer Energiesparlampe berechnen, indem sie ihr eigenes Spektrometer bauen. Oder sie können sogar ein „Polarimeter“ selber bauen, um die Zuckerkonzentration einer Lösung unter Ausnutzung des Polarisationseffekts zu messen.

„Das ist weitaus mehr, als nur ein paar Bauteile in einer Kiste“, versichert Thienpont. „Photonics Explorer verschafft den Lehrerinnen und Lehrern einen didaktischen Rahmen, der das Resultat der freiwilligen Arbeit von über 35 Lehrern und Professoren für naturwissenschaftlichen Unterricht ist. Die Lehrer erhalten die Photonics Explorer Kits völlig kostenlos, allerdings nur in Verbindung mit Lehrerfortbildungskursen. Der didaktische Rahmen ist modular aufgebaut und kann somit von den Lehrern auf flexible und editierbare Weise an den eigenen Unterrichtsstil und die reale Situation im Klassenzimmer angepasst werden.“

Das Set wurde bisher von über 1500 Schülerinnen und Schülern in Belgien, Bulgarien, Deutschland, Frankreich, Polen, Spanien und dem Vereinigten Königreich ausprobiert. Das Lehrmaterial wurde in acht Sprachen übersetzt, weitere sind geplant. Nach Thienponts Aussagen bewerteten sowohl Schüler als auch Lehrer den Einsatz des Sets überwältigend positiv.

„Die Einführung des Photonics Explorer im Klassenzimmer zeigt merkliche positive kurzfristige Auswirkungen in Bezug auf die Verbesserung der Selbstwirksamkeit und des Interesses bei den Lernenden insgesamt. Je mehr Methoden des forschungsorientierten Lernens der Lehrer im Klassenraum einsetzt, desto höher fallen Interesse und Selbstwirksamkeit der Schülerinnen und Schüler aus und desto besser ist es um deren Bild der Physik bestellt“, betont er. „Bei den Jungen steigt nach der Arbeit mit dem Photonics Explorer das Interesse an der Physik, während die Mädchen mehr Vertrauen in ihre naturwissenschaftlichen Fähigkeiten bekamen und ihre Selbstwirksamkeit anstieg.“

Bisher hat EYESTvzw den Schulen 300 der fertiggestellten Photonics Explorer Kits zukommen lassen und die Verteilung auf mehrere EU-Länder ausgedehnt, wobei die gemeinnützige Organisation um das Sponsoring von Unternehmen, Regierungsbehörden, Bildungsministerien und Stiftungen ersucht. Das Team plant die Überarbeitung des Sets, um mit den sich schnell weiterentwickelnden Technologien Schritt zu halten. Man zieht außerdem die Entwicklung eines ähnlichen Sets für Grundschulen und Universitäten in Erwägung.

CORDIS / PH

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