05.09.2008

Physik der Drahtknäuels

In zwei Dimensionen faltet sich Draht von selbst zu komplexen fraktalen Mustern.

Physik der Drahtknäuel

In zwei Dimensionen faltet sich Draht von selbst zu komplexen fraktalen Mustern.

Einfache Ursachen haben bisweilen komplizierte Auswirkungen, wie man am Faltenmuster von zusammengeknülltem Plastikfolien sieht. Doch selbst beim Zusammenfalten von quasi eindimensionalen Objekten wie Drähten können überraschend komplexe und vielgestaltige Muster entstehend. Das haben jetzt Hans Jürgen Herrmann und seine Kollegen von der ETH Zürich experimentell und durch numerische Simulationen untersucht.

Die Forscher wollten herausfinden, wie sich ca. 1 mm dicker Stahldraht bzw. Draht aus Lötzinn in einem extrem flachen Hohlzylinder aufwickelt, der einen Durchmesser von 20 cm und eine Höhe von einem Drahtdurchmesser hatte. Dazu wurde der Draht durch zwei gegenüberliegende Löcher in der Zylinderwand geführt. Anschließend wurden die heraushängenden Drahtenden zwischen gegenläufigen Antriebswalzen hindurchgeführt, die sie gleichzeitig und mit großer Kraft in den Zylinder hineindrückten. Im Zylinder faltete sich der Draht und wickelte sich zu einem komplizierten Knäuel auf. Hatte sich der Draht schließlich völlig verkeilt, so ließ er sich nicht weiter in den Zylinder schieben und das Knäuel hatte seinen Endzustand erreicht.

Es traten drei verschiedene Knäuel-Typen auf. Der Stahldraht wedelte beim Auffalten hin und her und bildete ein nahezu symmetrisches Muster von ineinander gedrückten Schlaufen, die den Zylinder gleichmäßig ausfüllten. Die Größe der Schlaufen nahm nach den Eintrittsöffnungen hin sehr schnell ab. Die numerischen Simulationen zeigten, dass dieses Muster immer dann auftrat, wenn der Draht sich nur sehr schwer verformen ließ und zudem auf den kreisförmigen Zylinderflächen große Reibungskräfte erfuhr.

Wurde die Reibung zwischen Stahldraht und Zylinder durch Silikonöl verringert, so wickelte sich der Draht in einem Spiralmuster auf, das den Zylinder vom Rand her ausfüllte. Der weichere Lötzinndraht, der sich sehr schnell plastisch verformte, bildete komplizierte und unregelmäßige Schlaufenmuster, die ebenfalls in den Simulationen reproduziert werden konnten. Die Forscher stellten ein Phasendiagramm auf, mit dem man vorhersagen kann, welcher der drei Knäueltypen bei gegebener Reibung und Verformungsfestigkeit des Drahtes auftritt.

Außerdem untersuchten sie, wie die Zahl N der Schlaufen in den Drahtknäuelen mit der Packungsdichte Φ des Drahtes zusammenhängt, die gleich dem Bruchteil des vom Draht erfüllten Zylindervolumens ist. Für alle drei Knäueltypen ergab sich ein Potenzgesetz: N ~ Φγ, allerdings mit unterschiedlichen Exponenten. Für die symmetrischen Stahldrahtknäuel war γ=1,75, für die unregelmäßigen Knäuel aus Lötzinndraht ergab sich γ=1,85. Da die Strahldrahtspiralen für beliebiges Φ stets nur aus zwei Schlaufen bestanden, hatten sie γ=0.

Eine universelle maximale Packungsdichte konnten die Forscher nicht beobachten. Bei den numerischen Simulation der symmetrischen Drahtknäuels fanden sie jedoch, dass die zum Auffalten des Drahtes nötige Kraft F sehr schnell mit der Packungsdichte Φ anwuchs und bei einem kritischen Φc = 0,46 divergierte: F ~ (Φc – Φ)β, mit dem kritischen Exponenten β= –1,43. Der Draht verkeilte sich also schon lange bevor die maximale Packungsdichte Φ=1 erreicht war.

Wie sich der Draht aufwickelt, hängt entscheidend von seiner Plastizität und den auftretenden Reibungskräften ab. Welchen Einfluss die Form und Dimension des Hohlraums sowie die Eintrittswinkel des Drahtes auf den entstehenden Knäuel haben, sollen weitere Experimente klären. Hier gibt es interessante Zusammenhänge mit der Frage, wie ein Virus in seinem Innern seinen DNA-Strang aufwickelt.

Rainer Scharf

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