Physik ist Kinderkram
Wie sieht die Nachwuchsförderung in Sachen Naturwissenschaften aus? Ein Interview mit DPG-Vorstandsmitglied Manuela Welzel.
Wie sieht die Nachwuchsförderung in Sachen Naturwissenschaften aus? Ein Interview mit DPG-Vorstandsmitglied Manuela Welzel.
Bad Honnef – Wenn Peter Grünberg und Gerhard Ertl kommenden Montag ihre Nobelpreise in Empfang nehmen, sind unter den Gästen der Festveranstaltung auch Henrike Wilms und Florian Ostermaier. Die Bundessieger von „Jugend forscht“ hatten mit ihrer Untersuchung schwingender Wassertropfen auch den „19th European Union Contest for Young Scientists“ im spanischen Valencia gewonnen – verbunden mit einer Einladung zur Nobelpreisverleihung in Stockholm. Die Leistung der Jugendlichen ist ein Beispiel gelungener Nachwuchsförderung. Einvernehmen herrscht gleichwohl darüber, dass sich derartige Maßnahmen nicht auf Hochbegabte beschränken sollten. Und so locken Universitäten und Forschungseinrichtungen inzwischen mit Schülerlabors und weiteren Angeboten für Neugierige im Schul- und Vorschulalter. „Gerade in den Kindergärten passiert zurzeit sehr viel“, bekräftigt Manuela Welzel, Vorstandsmitglied der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) für den Bereich Schule. Die Heidelberger Professorin für Physik und ihre Didaktik engagiert sich auch persönlich in der naturwissenschaftlichen Frühförderung.
Frau Welzel, die Bundessieger von „Jugend forscht“ waren mit ihrer physikalischen Arbeit auch international erfolgreich. Beim „IYPT-Physik-Weltcup“, einem Teamwettbewerb mit Jugendlichen aus aller Welt, belegen deutsche Teilnehmer ebenfalls immer wieder Top-Platzierungen. Wie kommen solche Spitzenleistungen zustande und wie steht es insgesamt um die deutschen Schülerinnen und Schüler? Bei der jüngsten PISA-Studie liegen sie in Sachen Naturwissenschaften ja immerhin im oberen Drittel der internationalen Rangliste.
Welzel: Zunächst mal zur PISA-Studie: Noch warten wir auf die detaillierten Ergebnisse, aber wenn sich die bisherigen Informationen bestätigen, ist dies auf jeden Fall ein erfreuliches Signal. Es zeigt, dass sich Bemühungen um eine Verbesserung der naturwissenschaftlichen Grundbildung wirklich lohnen. Sie fragen, wie die Spitzenleistungen unserer Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei internationalen Wettbewerben zustande kommen: Ganz sicher durch das große Engagement ihrer Lehrerinnen und Lehrer, die sich über den Fachunterricht hinaus dafür einsetzen, das naturwissenschaftliche Interesse ihrer Schüler zu wecken und angemessen zu fördern und versuchen, ihnen ein geeignetes Umfeld zu schaffen. Dazu gehören Aufmerksamkeit, Beratung, Raum für eigene Ideen, Vertrauen in die Leistung und natürlich die forschungstechnische Ausstattung. Außerdem spielt natürlich die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Schule und den Eltern eine Rolle, aber auch ein unterstützendes Netzwerk von Hochschulen und Forschungseinrichtungen der betreffenden Region. Die erfolgreichen Teams, die Sie ansprechen, hatten genau diese Bedingungen.
Diese Schülerteams kommen von so genannten Schülerforschungszentren in Baden-Württemberg. An wen richten sich diese Zentren und gibt es vergleichbare Einrichtungen auch in anderen Bundesländern?
Welzel: Noch ist Baden-Württemberg das einzige Bundesland, das solche Zentren eingerichtet hat und seit Jahren aus Landesmitteln unterstützt. Es handelt sich um die Schülerforschungszentren Südwürttemberg und Baden in Bad Saulgau beziehungsweise in Lörrach. Beide Einrichtungen bieten interessierten Kindern und Jugendlichen bereits ab der Primarstufe verschiedenste Möglichkeiten, selbstständig und im Team Forschungsfragen theoretisch und experimentell nachzugehen. Engagierte Lehrerinnen und Lehrer aus allen Bereichen der Naturwissenschaften stehen hier regelmäßig zur Beratung zu Verfügung, bieten Arbeitsgemeinschaften und Kurse an, informieren über Wettbewerbe. Außerdem gibt es hier die Möglichkeit, im angeschlossenen Internat zu übernachten, damit die jungen Nachwuchswissenschaftler zum Beispiel auch in den Ferien oder am Wochenende eigenen Forschungsprojekten nachgehen können. Beide Schülerforschungszentren pflegen enge Beziehungen zu den benachbarten Forschungseinrichtungen. Inzwischen zeigt sich aber auch bundesweit das Interesse, begabte und interessierte Schüler und Jugendliche in solchen Zentren zu fördern. Unter anderem in Bayern, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern wird derzeit über die Einrichtung und Finanzierung eigener Schülerforschungszentren diskutiert.
Solche Initiativen sprechen ja vorwiegend ältere Schüler an. Jugendliche, die außergewöhnlich engagiert an physikalische Fragestellungen herangehen. Doch auch Kinder im Vorschulalter sind besonders wissbegierig. Als Professorin an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg haben Sie 2004 das Projekt „Mit Kindern die Welt entdecken“ angestoßen. Um was geht es dabei?
Welzel: Das Projekt wurde von der Heidelberger Klaus Tschira Stiftung angestoßen. Es geht hier darum, Erzieherinnen im Kindergarten zu befähigen, Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren auch im Bereich der naturwissenschaftlichen Bildung gezielt und vor allem altersgerecht anzuleiten. Es ist außerordentlich wichtig, Interesse und Neugier bereits dann zu fördern, wenn sie entstehen. Kinder in diesem Alter erkunden von Natur aus sehr aktiv und im spielerischen Umgang mit den Dingen, die sie umgeben, ihre Umwelt. Für die kindliche Entwicklung ist dieses spielerische Lernen von besonderer Bedeutung: Die Kinder üben dabei, zu beobachten, zu unterscheiden, zu ordnen, kausale Zusammenhänge zu erkennen und darüber zu sprechen. Sie setzen die Dinge in ihrer Umwelt miteinander in Beziehung. Solche Erfahrungen bilden die solide Basis, um später im Schulunterricht naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten zu verstehen. Leider bringen immer weniger Kinder diesen Fundus mit. Sie also gezielt und ständig zu unterstützen und angemessen dabei anzuleiten, die Welt zu entdecken, das wollen wir anregen. Dabei wollen wir die Erzieherinnen unterstützen: Mit ihnen gemeinsam erkunden wir im Rahmen von Fortbildungen Möglichkeiten, wir ermuntern sie, eigene Ideen umzusetzen, begleiten sie bei ihren ersten Versuchen und beraten sie. Außerdem haben wir im Projekt eine mittlerweile umfangreiche Materialsammlung mit Experimentierkisten und Anleitungen für Kindergärten eingerichtet, die allen Interessierten kostenlos zur Verfügung steht.
Nicht nur Erzieherinnen, auch Eltern beteiligen sich an diesem Projekt. Dabei haben viele Erwachsene eher leidvolle Erinnerungen an die Physik in der Schule. Wie haben Sie die Erwachsenen mit ins Boot genommen?
Welzel: Viele Eltern waren zunächst etwas misstrauisch: Werden die Kinder noch stärker belastet? Sollen sie schon im Kindergarten Unterricht ertragen müssen? Ist der Kindergartenalltag nicht schon zu sehr durchstrukturiert? Sollten die Kinder nicht lieber spielen? Die Eltern haben diese Sorgen zu Recht, wird doch aktuell auch viel falsch gemacht. Wir haben die Eltern der am Projekt beteiligten Kindergärten zunächst einmal über unsere Ideen informiert, ihnen Material, Beispiele und Experimentierideen gezeigt: Spiegeleffekte, die Farben des Lichts und Luftballonraketen. Wir zeigten ihnen, dass es nicht um Formeln und die richtige Verwendung von physikalischen Begriffen geht, sondern darum, naturwissenschaftliche Phänomene im Alltag zu entdecken und zu erkunden. Sie merkten dadurch sehr schnell und eindrücklich, dass es uns um eine spielerische Herangehensweise geht. Die Sorgen verwandelten sich in Interesse an unserer Arbeit und dieses Interesse konnten wir dann über fast zwei Jahre hinweg beobachten.
Welche Naturphänomene kann ein kleines Kind bereits begreifen – möglicherweise sehr zur Verblüffung der Erwachsenen?
Welzel: Was heißt „begreifen“? Es geht ums Entdecken, Beobachten, Beschreiben, Ausprobieren, Phänomene selbst erzeugen, damit spielen und nachfragen ... Kinder, die dies tun können, verblüffen Erwachsene mit Beobachtungen, die diese selbst längst vergessen oder noch nie gemacht haben – zum Beispiel, dass eine sich auflösende Salzstange wie ein Regenwurm aussieht, oder dass Tulpen noch in der Vase weiter wachsen, dass sich das Sonnenlicht oder auch die Tinte eines Filzstiftes in verschiedene Farben zerlegen lassen, sich warmes Wasser auch mal kalt anfühlen kann und wo überall Magnete halten und wo nicht. Kinder, die so etwas erleben, werden und bleiben neugierig, fragen nach und probieren aus.
Insgesamt gibt es einen Trend zu mehr Naturwissenschaften, nicht nur in Kindergärten, sondern auch an den Grundschulen. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Welzel: Natürlich als gut und richtig. In der Grundschule können die vielfältigen Erfahrungen der Kinder systematisch aufgegriffen, ausgebaut und erweitert werden. Die Kinder können Erklärungen suchen und lernen, gezielt zu experimentieren. Schön ist, dass die neuen Lehrpläne viel besser die Alltagswelt der Kinder integrieren lassen.
Sind die Lehrkräfte denn entsprechend ausgebildet um diese Angebote sinnvoll nutzen zu können? Und lassen die Lehrpläne genug Spielraum?
Welzel: Physik war und ist für die meisten Grundschullehrkräfte eine Herausforderung. Ich denke, dass die Lehrkräfte Unterstützung darin brauchen, eigene neue Möglichkeiten zu suchen und zu finden, die Kinder auf dem Wege der Erkenntnis zu begleiten, die passenden Lernumgebungen zu schaffen, motivierende Aufgaben zu stellen und den Mut zu entwickeln, die Kinder selbst denken zu lassen. Selbst Erklärungen zu finden, eigene Modellvorstellungen zu entwickeln, mit Anderen zu beraten und zu überprüfen, das macht doch den Reiz der Physik aus. Hier steckt auch eine der Herausforderungen für die Lehrerausbildung und Fortbildung. Wir wissen noch viel zu wenig darüber, wie man erfolgreich das lehrt, was man selber gelernt, beziehungsweise vielleicht noch nicht gelernt hat. Die Lehrpläne lassen aus meiner Sicht dafür genug Spielräume.
Die DPG engagiert sich ebenfalls in der Jugendförderung. Sie bietet im Rahmen des jährlichen Wissenschaftsfestivals „Highlights der Physik“ den Physikwettbewerb „exciting physics“ ab Klasse 5 und das „Juniorlabor“ für Kinder im Vorschulalter. Welche Erfahrungen haben hat die DPG damit gemacht?
Welzel: Die Erfahrungen sind sehr positiv: Der Besucherstrom ist überwältigend. Die Menschen sind durchaus interessiert zu erfahren, was die Physik so treibt. Den Schülerinnen und Schülern und den Kindern sieht man die Begeisterung an, wenn sie experimentieren und tüfteln können. Ganz selbstverständlich bilden sich hier Jung und Alt gemeinsam weiter, erleben Physik. Ich denke, dass die DPG mit diesem Engagement viel erreicht und bewegt. Aber ich möchte auch betonen, dass die DPG bei diesen Veranstaltungen auf engagierte Partner zurückgreifen kann. So wird etwa der Schülerwettbewerb „exciting physics“ von der Wilhelm und Else Heraus-Stiftung großzügig gefördert und ohne die vor Ort tätigen Kolleginnen und Kollegen der wissenschaftlichen Einrichtungen und Schulen sind solche öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen gar nicht möglich. Beim „Juniorlabor“ kooperieren wir erfolgreich mit der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, dem ExploHeidelberg und dem Kindergartenlabor e.V. Die Teams dieser Einrichtungen werden unter anderem von der Klaus Tschira Stiftung gefördert und bieten erprobte kindgerechte Experimentiermöglichkeiten.
Was unternimmt die DPG noch in Sachen Schulphysik?
Welzel: Die DPG bietet ein reichhaltiges Programm für alle Altersstufen. Man kann gar nicht alles aufzählen, was unternommen wird. Deshalb hier nur eine Auswahl: Unter anderem bieten wir über die Unterstützung durch die Wilhelm und Else Heraus-Stiftung das Programm „Physik für Schülerinnen und Schüler“ an, in dessen Rahmen Lehrkräfte aller Schularten besondere Initiativen in Sachen Physiklernen finanzieren lassen können. Wir unterstützen Wettbewerbsbeteiligungen, vergeben Preise an Schülerinnen und Schüler für hervorragende Leistungen bei nationalen und internationalen Physikwettbewerben. Wir prämieren jährlich die besten Physikleistungen im Abitur. Nachdem wir seit vielen Jahren Lehrerinnen und Lehrer im Physikzentrum in Bad Honnef fortbilden, beginnen wir 2008 mit dem Aufbau eines eigenen bundesweiten Lehrerfortbildungsnetzwerks, welches neben zentralen Angeboten auch vor Ort – also regional in allen Bundesländern – Fortbildungsangebote zur Physik und zum Lehren und Lernen von Physik bereit hält. Dabei halten wir engen Kontakt zu den anderen, wissenschaftlich benachbarten Fachgesellschaften. Außerdem setzt sich die DPG intensiv für eine Modernisierung der Lehramtsausbildung ein. Hierzu ist eine eigene Studie erarbeitet worden, die wiederum bereits für Bewegung in verschiedenen Universitäten gesorgt hat.
Die Physik-Didaktikerin Prof. Dr. Manuela Welzel (48) leitet das Kompetenzzentrums für naturwissenschaftliche Frühförderung der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und ist Vorstandsmitglied der Deutschen Physikalischen Gesellschaft für den Bereich Schule.
Quelle: DPG (Bild: Matthias Offer)
Weitere Infos:
- Deutsche Physikalische Gesellschaft - DPG:
http://www.dpg-physik.de