25.03.2021

Physik verdrehter Schichten

Moiré-Effekt in gestapelten zweidimensionalen Atomlagen.

Die Entdeckung des Materials Graphen war der Startschuss für ein weltweites Forschungs­wettrennen: Aus unters­chiedlichen Atomsorten stellt man heute 2D-Materialien her, also atomar dünne Schichten, die oft ganz besondere Material­eigenschaften aufweisen, wie man sie in herkömmlichen, dickeren Materialien nicht findet. Nun wird diesem Forschungs­bereich ein weiteres Kapitel hinzugefügt: Wenn man nämlich zwei solche 2D-Schichten im richtigen Winkel stapelt, ergeben sich nochmals neue Möglich­keiten.

Abb.: Illustration von zwei Schichten eines übereinander gestapelten...
Abb.: Illustration von zwei Schichten eines übereinander gestapelten 2D-Materials. (Bild: E. Zumalt, L. Linhart, TU Wien)

Durch die Art, in der die Atome der beiden Schichten interagieren, entstehen komplizierte geometrische Muster, und diese Muster haben entscheidende Auswirkungen auf die Material­eigenschaften, wie ein Forschungs­team der TU Wien und der Universität von Texas nun zeigen konnte. Phononen werden ganz wesentlich durch den Winkel beeinflusst, in dem man die beiden Material­schichten aufeinander legt. Somit kann man mit winzigen Drehungen einer solchen Schicht die Material­eigenschaften maßgeblich verändern. 

Die entscheidende Grundidee kann man mit zwei Stück Fliegengitter ausprobieren: Wenn beide Gitter perfekt deckungsgleich aufeinander­liegen, kann man von oben betrachtet kaum erkennen, ob es sich um ein oder zwei Gitter handelt. An der Regel­mäßigkeit der Struktur hat sich nichts geändert. Wenn man nun aber eines der Gitter um einen kleinen Winkel dreht, dann gibt es Stellen, an denen die beiden Gitter ungefähr zueinander­passen, und andere Stellen, an denen sie ungefähr gegengleich zu liegen kommen. So kann man über den Moiré-Effekt interes­sante Muster erzeugen. „Genau dasselbe kann man auch mit den Atomgittern zweier Materialschichten machen“, sagt Lukas Linhart vom Institut für Theoretische Physik der TU Wien. Das Bemerkens­werte daran ist, dass sich dadurch bestimmte Material­eigenschaften dramatisch ändern können – so wird etwa Graphen, wenn man zwei Schichten davon auf die richtige Weise kombiniert, zum Supraleiter.

„Wir untersuchten Schichten von Molybdän­disulfid, das ist neben Graphen wohl eines der wichtigsten 2D-Materialien“, sagt Florian Libisch, der das Forschungs­projekt leitete. „Wenn man zwei Schichten dieses Materials aufeinander­legt, treten Van-der-Waals-Kräfte zwischen den Atomen dieser beiden Schichten auf. Das sind relativ schwache Kräfte, aber sie reichen aus, um das Verhalten des Gesamt­systems völlig zu verändern.“ In aufwändigen Computer­simulationen analysierte das Forschungsteam, welchen Zustand die neue Zweischicht-Struktur aufgrund dieser schwachen Zusatz­kräfte annimmt, und wie das die Schwingungen der Atome in den beiden Schichten beeinflusst.

„Wenn man die beiden Schichten ein bisschen gegeneinander verdreht, dann führen die Van-der-Waals-Kräfte dazu, dass die Atome beider Schichten ihre Positionen ein kleines bisschen verändern“, sagt Jiamin Quan von der UT Texas. In von ihm geleiteten Experimenten konnten die Rechen­ergebnisse bestätigt werden: Durch den Drehwinkel lässt sich einstellen, welche Atomschwingungen in dem Material physikalisch überhaupt möglich sind. „Material­wissenschaftlich ist es eine wichtige Sache, auf diese Weise Kontrolle über die Phononen-Schwingungen zu haben“, sagt Lukas Linhart „Dass elektronische Eigen­schaften eines 2D-Materials verändert werden können, indem man zwei Schichten miteinander verbindet, war schon vorher bekannt. Aber dass auch die mechanischen Schwingungen im Material dadurch gesteuert werden können, eröffnet uns nun neue Möglichkeiten: Phononen und elektro­magnetische Eigen­schaften hängen eng miteinander zusammen. Über die Schwingungen im Material kann man daher in wichtige Viel­teilchen-Effekte steuernd eingreifen.“

Nach dieser ersten Beschreibung des Effekts für Phononen, versucht das Team nun Phononen und Elektronen kombiniert zu beschreiben und hoffen so, mehr über wichtige Phänomene wie Supraleitung zu erfahren. Der material­physikalische Moiré-Effekt macht also das ohnehin bereits reichhaltige Forschungs­feld der 2D-Materialien noch reichhaltiger – und erhöht die Chancen, weiterhin neue Schicht­materialien mit bisher unerreichten Eigenschaften zu finden und ermöglicht den Einsatz von 2D-Materialien als Versuchs­plattform für ganz funda­mentale Eigenschaften von Festkörpern.

TU Wien / JOL

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