07.05.2020

Pionisches Helium

Langlebiger Vertreter exotischer Materie erstmals experimentell nachgewiesen.

Exotische Atome, in denen Elektronen durch andere subatomare Teilchen gleicher Ladung ersetzt werden, ermög­lichen tiefe Einblicke in die Quantenwelt. Nach acht Jahren gelang einer Gruppe um Masaki Hori, leitender Physiker am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching, nun ein äußerst schwieriges Experiment: Sie ersetzte in einem Heliumatom ein Elektron durch ein Pion in einem besonderen Quanten­zustand und wiesen die Existenz dieses langlebigen „pionischen Heliums“ nach. Dadurch lebte das kurzlebige Pion tausend Mal länger als sonst in Materie. Pionen gehören zu einer wichtigen Teilchenfamilie, die auch entscheidend für den Zusammenhalt oder Zerfall von Atomkernen ist. Im pionischen Heliumatom lassen sie sich nun mit Hilfe der Laser­spektroskopie extrem genau untersuchen.

Abb.: Künst­lerische Dar­stellung eines pio­nischen Helium­atoms angeregt...
Abb.: Künst­lerische Dar­stellung eines pio­nischen Helium­atoms angeregt von einem Laserstrahl. (Bild: T. Naeser & D. Luck, MPQ)

Dem Team gelang es, erstmals die Existenz von länger­lebigen pionischen Helium­atomen nachzuweisen, die gewisser­maßen mit Pionen „geimpft“ sind. „Es ist eine Art chemischer Reaktion, die ganz automatisch passiert“, erklärt Hori. Dieses exotische Atom war bereits 1964 theoretisch vorher­gesagt worden, nachdem damalige Experimente Hinweise auf dessen Existenz zeigten. Es galt aber als extrem schwierig, diese Vorhersage experi­mentell zu beweisen. Das ohnehin schon extrem kurz­lebige Pion zerfällt im Atom normalerweise noch schneller als sonst. Doch im pionischen Helium kann es konserviert werden und lebt dadurch tausend Mal länger als sonst in anderen Atomen.

Die Heraus­forderung für das Team war, die tatsächliche Existenz eines solchen pionischen Heliums im Tank ihres Experiments, der mit extrem kaltem, suprafluidem Helium gefüllt war, nachzuweisen. Im Heliumatom verhält sich das Pion wie ein schweres Elektron. Es kann nur zwischen diskreten Quanten­zuständen springen, wie zwischen Leiterstufen. Für den Nachweis musste die Gruppe einen langlebigen Zustand und einen speziellen Quanten­sprung finden, den sie mit einem Laser anregen und so das Pion in den Kern des Heliumatoms befördern konnte. Dieser Vorgang zerstört den Kern des Atoms, als Nachweis des Pions dienen dann die Trümmer­teile des Atomkerns. Allerdings konnten die Theoretiker nicht genau vorhersagen, bei welcher Wellen­länge dieser entscheidende Quanten­sprung passieren würde. Also musste das Team drei komplexe Laser­systeme nacheinander aufbauen, bis es erfolgreich war.

„Dieser Erfolg macht Pionen erstmals den Methoden der Quantenoptik zugänglich“, freut sich Hori. Dazu gehört die Laser­spektroskopie, eines der präzisesten Werkzeuge der Physik überhaupt. Das Experiment eröffnet also die Möglichkeit, das Pion in diesen Quanten­zuständen wesentlich genauer zu untersuchen, als dies bislang möglich war. Das Pion gehören zur Teilchen­familie der Mesonen. Diese vermitteln auch die Kernkraft zwischen den Bausteinen der Atomkerne, den Neutronen und Protonen. Obwohl die elektrisch gleich geladenen Protonen sich heftig gegen­seitig abstoßen, klammert die stärkere Kernkraft sie zum Atomkern zusammen. Ohne diese Kraft würde also unsere Welt nicht existieren. Von den Protonen und Neutronen, die jeweils aus drei Quarks aufgebaut sind, unter­scheiden sich die Mesonen zudem grund­sätzlich, denn sie bestehen aus zwei Quarks.

Das Experiment nutzte die stärkste Pionen­quelle der Welt, die am Paul-Scherrer-Institut (PSI) in der Schweiz steht. Da das Risiko eines Scheiterns sehr hoch war und es auch mehrere Fehlschläge gab, benötigte die Gruppe eine lang­fristige Unterstützung durch das PSI und die Max-Planck-Gesellschaft. Das PSI stellte auch von anderen Forschungs­gruppen begehrte Strahlzeit mit Pionen zur Verfügung, und die MPG sorgte für ein Umfeld, das langfristig orien­tierte Forschung ermöglicht. Finanziert wurde das Projekt vom Euro­päischen Forschungsrat durch einen ERC-Grant. Hori hofft nun, dass er mit dem gelungenen Experiment ein neues Fenster in den Quanten­kosmos der Teilchen und Kräfte öffnen konnte. 

MPQ / JOL

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