26.06.2024

Planetenbildung um massearme Sterne

Vielfalt an kohlenstoffhaltigen Gasen dient als Zutat für zukünftige Planeten.

Planeten entstehen in Scheiben aus Gas und Staub, die junge Sterne umgeben. Der MIRI Mid-INfrared Disk Survey (MINDS) unter der Leitung von Thomas Henning vom Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) in Heidelberg verfolgt das Ziel, eine repräsentative Stichprobe von Scheiben zu erstellen. Durch die Erforschung ihrer chemischen und physikalischen Eigen­schaften mit MIRI (Mid INfrared Instrument) an Bord des Weltraumteleskops James Webb (JWST) stellt die Gruppe eine Verbindung zwischen diesen Scheiben und den Eigen­schaften der Planeten her, die sich dort möglicher­weise bilden. In einer neuen Studie untersuchte ein Forschungs­team die Umgebung eines sehr massearmen Sterns von 0,11 Sonnenmassen – ISO-ChaI 147.

Abb.: Illustration einer proto­planetaren Scheibe um einen sehr massearmen...
Abb.: Illustration einer proto­planetaren Scheibe um einen sehr massearmen Stern. Sie beinhaltet eine Auswahl von Kohlen­wasser­stoff­mole­külen, die in der Scheibe um ISO-ChaI 147 nachgewiesen wurden.
Quelle: ALMA / ESO / NAOJ / NRAO / MPIA

„Diese Beobachtungen sind von der Erde aus nicht möglich, da die relevanten Gasemissionen durch die Atmo­sphäre abgeschirmt werden“, erklärt Aditya Arabhavi von der Universität Groningen. „Bisher konnten wir von diesem Objekt nur die Strahlung von Ethin-Molekülen nachweisen. Die höhere Empfind­lichkeit von JWST und die spektrale Auflösung seiner Instrumente ermöglichten es uns jedoch, schwache Signale von weniger häufig vorkommenden Molekülen zu erkennen.“

Die MINDS-Gruppe fand Gas mit Temperaturen um 300 Kelvin, das stark mit kohlenstoff­haltigen Molekülen angereichert ist, aber keine sauerstoff­reichen Stoffe enthält. „Das unterscheidet sich grundlegend von der Zusammensetzung, die wir in Scheiben um sonnen­ähnliche Sterne sehen, wo sauerstoff­haltige Moleküle wie Wasser und Kohlendioxid dominieren“, fügt Inga Kamp von der Universität Groningen hinzu.

Ein eindrucksvolles Beispiel für eine sauerstoffreiche Scheibe ist die von PDS 70, wo das MINDS-Programm kürzlich große Mengen an Wasserdampf gefunden hat. Aus früheren Beobachtungen schließen die Astronominnen und Astronomen, dass sich Scheiben um sehr massearme Sterne anders entwickeln als solche um massereichere Sterne wie die Sonne, was sich möglicher­weise auf das Aufspüren von Gesteins­planeten mit erdähnlichen Eigenschaften auswirkt. Da die Umgebungen in solchen Scheiben die Bedingungen für die Bildung neuer Planeten vorgeben, könnte ein solcher Planet zwar aus Gestein sein, sich aber in anderen Aspekten von der Erde deutlich unterscheiden.

Die Menge des Materials und seine Verteilung innerhalb dieser Scheiben begrenzt die Anzahl und Größe der Planeten, die die Scheibe mit dem notwendigen Material versorgen kann. Folglich deuten Beobachtungen darauf hin, dass sich in den Scheiben um sehr massearme Sterne, den häufigsten Sternen im Universum, Gesteins­planeten mit erdähnlichen Größen effizienter bilden als jupiter­ähnliche Gasriesen. Daher beherbergen die masseärmsten Sterne bei Weitem die meisten terres­trischen Planeten.

„Die ursprünglichen Atmosphären dieser Planeten werden wahrscheinlich von Kohlenwasserstoff­verbindungen dominiert und nicht so sehr von sauerstoffreichen Gasen wie Wasserdampf und Kohlendioxid“, so Thomas Henning. „Wir haben in einer früheren Studie gezeigt, dass der Transport von kohlenstoff­reichem Gas in die Zone, in der sich normalerweise Gesteins­planeten bilden, in diesen Scheiben schneller und effizienter erfolgt als in denen massereicherer Sterne.“

Obwohl es klar zu sein scheint, dass Scheiben um sehr massearme Sterne mehr Kohlenstoff als Sauerstoff enthalten, ist der Mechanismus, der zu diesem Ungleichgewicht führt, noch unbekannt. Die Zusammen­setzung der Scheibe ist entweder das Ergebnis einer Anreicherung von Kohlenstoff oder einer Verarmung von Sauerstoff. Wenn der Kohlenstoff angereichert ist, liegt die Ursache wahrscheinlich in festen Partikeln in der Scheibe, deren Kohlenstoff verdampft und in die gasförmige Komponente der Scheibe freigesetzt wird. Die Staubkörner, die ihren ursprünglichen Kohlenstoff verloren haben, bilden schließlich feste Planeten­körper. Diese Planeten wären kohlenstoffarm, genau wie die Erde. Dennoch würde die auf Kohlenstoff basierende Chemie wahrscheinlich zumindest ihre ursprünglichen Atmo­sphären dominieren, die durch Scheibengas gespeist werden. Daher bieten Sterne mit sehr geringer Masse möglicherweise nicht die besten Voraus­setzungen, um erdähnliche Planeten zu finden.

Um die Gase der Scheibe zu identifizieren, nutzte das Team den MIRI-Spektrografen, um die von der Scheibe empfangene Infrarotstrahlung in Signaturen kleiner Wellenlängenbereiche zu zerlegen – ähnlich wie sich das Sonnenlicht in einem Regenbogen aufspaltet. Auf diese Weise arbeitete das Team eine Fülle von Spuren heraus, die einzelnen Molekülen zugeordnet werden können. Das Ergebnis ist, dass die beobachtete Scheibe die reichhaltigste Kohlenwasser­stoffchemie enthält, die bisher in einer proto­planetaren Scheibe beobachtet wurde, bestehend aus 13 kohlenstoffhaltigen Molekülen bis zu Benzol. Darunter befindet sich auch der erste Nachweis von extrasolarem Ethan, dem größten vollständig gesättigten Kohlenwasser­stoff, der außerhalb des Sonnensystems entdeckt wurde. Außerdem gelang es dem Team, Ethen, Propin und das Methylradikal zum ersten Mal in einer proto­planetaren Scheibe nachzuweisen. Dagegen zeigten die Daten keinen Hinweis auf Wasser oder Kohlenmonoxid in der Scheibe.

Als Nächstes will das Wissenschaftsteam seine Studie auf eine größere Stichprobe solcher Scheiben um sehr massearme Sterne ausweiten, um besser zu verstehen, wie häufig solche exotischen, kohlenstoff­reichen Regionen sind, in denen sich terrestrische Planeten bilden. „Durch die Ausweitung unserer Studie werden wir besser verstehen, wie sich diese Moleküle bilden können“, erklärt Thomas Henning. „Zudem finden wir in den Webb-Daten mehrere Merkmale, die wir bislang keinen chemischen Verbindungen zuordnen können. Daher ist zusätzliche Spektroskopie erforderlich, um unsere Beobachtungen vollständig zu verstehen.“

MPIA / JOL

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