Planlos zum Brexit?
Ein halbes Jahr nach der Volksabstimmung zum EU-Austritt Großbritanniens gibt es viele Versprechen und Forderungen, aber noch keine Strategie – auch nicht für die Wissenschaft.
Mitte November hat das „Science and Technology Committee“ des britischen Unterhauses in einem viel beachteten Bericht für alle in Großbritannien tätigen Wissenschaftler aus dem EU-Ausland eine klare Bleibegarantie für die Zeit nach dem Brexit verlangt. Das hatte bereits kurz nach dem Brexit-Votum die Royal Society gefordert, die auch verlangte, dass die britische Regierung wegfallende EU-Gelder vollständig ersetzen müsste.
Nach Angaben der Royal Society sind im Land rund 31.000 EU-Ausländer in Wissenschaft und Forschung tätig. 15 Prozent des akademischen Personals an den Universitäten stammt aus der EU – der britische Wissenschaftsbetrieb wäre ohne diese Fachkräfte kaum aufrechtzuerhalten. Das scheint Brexit-Befürworter nicht zu kümmern, die gerade die Einwanderung von EU-Bürgern beschränken wollen, wie es der Parteitag der regierenden konservativen Partei im Oktober flügelübergreifend bekräftigt hatte.
Der Unterhaus-Ausschuss empfahl auch, unbedingt einen „Chief Science Adviser“ in das neue „Brexit-Ministerium“ zu berufen, als Stimme der Wissenschaft bei den Ausstiegsverhandlungen. „Die Unsicherheit über den Brexit bedroht einige der internationalen wissenschaftlichen Kollaborationen des Vereinigten Königreichs“, betonte der Ausschussvorsitzende, der konservative Politiker Stephen Metcalfe. Dem Bericht zufolge arbeiteten 2015 rund 700 britische Institutionen direkt mit EU-Partnern zusammen, über zehn Prozent mehr als 2012.
Schwierigkeiten sind auch bei der Forschungsfinanzierung zu befürchten. Die EU kam über das Forschungsrahmenprogramm Horizon 2020 bisher für etwa 16 Prozent des Etats der britischen Universitäten auf. Der neue Schatzkanzler Philip Hammond und Wissenschaftsminister Jo Johnson (beide Brexit-Gegner) forderten britische Universitäten und Firmen auf, sich weiter auf Horizon 2020-Ausschreibungen zu bewerben. Sie versprachen, nach dem Brexit die Fördergelder aus eigenen Mitteln auszuzahlen.
Premierministerin May kündigte auf einer Tagung des britischen Industriellenverbands an, bis 2020 jährlich zwei Milliarden Pfund zusätzlich für Forschung und Entwicklung ausgeben zu wollen. Dies bestätigte Schatzkanzler Hammond im traditionellen „Autumn Statement“, einer Art Regierungserklärung. Allerdings ist noch nicht klar, wie diese Gelder zwischen Industrieförderung und Grundlagenforschung aufgeteilt werden sollen. Zudem ist eine Finanzierung dieser Mittel nur durch massive Kreditaufnahmen möglich, ohne die das immer noch stark von der Finanzkrise betroffene Land die Ausgaben für den Brexit nicht wird stemmen können.
Studierenden aus der EU sicherte die britische Regierung zu, dass sie bis zum Studienjahr 2017/18 Fördergelder wie inländische Studienbewerber beantragen dürfen und diese Zusage auch nach dem Brexit weiter gelten soll. Dennoch sind nach ersten Angaben die ausländischen Bewerbungen auf Studienplätze in England für 2017 um neun Prozent zurückgegangen.
Ein Vorgeschmack auf das, was dem Vereinigten Königreich bevorsteht, sind die Probleme zwischen der Schweiz und der EU nach der schweizerischen Anti-Einwanderungs-Volksabstimmung im Februar 2014. Seitdem ist die Schweiz vom Erasmus-Programm ausgeschlossen und droht, ihren Status als bevorzugtes Nicht-EU-Mitglied bei Horizon 2020 zu verlieren, wenn nicht bis 2017 die bei der Volksabstimmung explizit abgelehnte Freizügigkeit für alle EU-Bürger wiederhergestellt wird.
Den Zick-Zack-Kurs der zwischen Pro- und Kontra-Brexit hin- und hergerissenen britischen Regierung illustriert die Diskussion um das vor drei Jahren eingeführte „EU-Patent mit einheitlicher Wirkung“. Die zuständige britische Staatsministerin, Baroness Neville Rolfe, erklärte überraschend, dass Großbritannien die bei der Einführung des EU-Patents beschlossene Einrichtung eines „Einheitlichen Patentgerichts“ mit Sitzen in Paris, München, London und Luxemburg ratifizieren werde – mit dem Hinweis, dass es sich dabei nicht um eine EU-Institution handele.
Man darf gespannt sein, wie sich die Lage bis März 2017 entwickelt. Dann sollen die maximal zwei Jahre dauernden Ausstiegsverhandlungen beginnen.
Matthias Delbrück