21.06.2013

Platzende Silos

Große Getreidesilos können plötzlich bersten. Ursache ist das spezielle Verhalten granularer Materie.

Trotz einer langen Tradition in der Konstruktion von Getreidesilos lassen sich auch heute platzende und zusammenbrechende Silos nicht vermeiden. Solche Fälle treten zum Glück relativ selten auf. In der Physik gehören sie zu den drastischen Beispielen, an denen sich zeigt, dass granulare Materie, im vorliegenden Fall das Getreide, stets für Überraschungen gut ist. Das Phänomen ist Gegenstand der aktuellen Forschung.

Abb. Foto eines Silos, das unvorhergesehen zerbrach. (Foto: H.-J. Schlichting).

Granulare Materie nennt man in der nichtlinearen Physik Material, das aus vielen festen Teilchen wie Kugeln, Sandkörnern oder Kieselsteinen besteht. Aber auch wesentlich größere Bestandteile wie Kartoffeln oder Geröll gehören dazu. Typisch für granulare Materie ist, dass sie sich manchmal wie eine Flüssigkeit verhält: sie fließt, rinnt, rieselt. In anderen Fällen dominieren aber die Festkörpereigenschaften: Die Teilchen sind fest, elastisch, reibend und bilden – anders als eine Flüssigkeit – keine ebene Oberfläche, sondern Schütthaufen mit typischen Neigungswinkeln.

Die Druckverhältnisse sind hier anders als in einer Flüssigkeit. In Letzterer wächst der Druck auf den Boden und auf Behälterwand in Höhe des Bodens proportional mit der darüber befindlichen Flüssigkeitssäule. Bei einem granularen Medium wie Getreide nimmt der mittlere Druck im Silo mit der Höhe immer weniger zu und erreicht einen Sättigungswert.

Die festen Körner eines Granulats wechselwirken nur an den Stellen, an denen sie einander berühren. An diesen Kontaktstellen üben sie Kräfte aufeinander aus, die letztlich durch die Schwerkraft des auflastenden Materials hervorgerufen werden. Durch eine solche Kontaktwechselwirkung können innerhalb einer dichten Packung eines Granulats leicht Gewölbe und Bögen entstehen.

Diese Gewölbebildungen sorgen in einem Silo dafür, dass die Gewichtskraft des auflastenden Getreides nicht wie gewünscht hauptsächlich auf den Boden wirkt, sondern in ein komplexes, weitgehend durch den Zufall bestimmtes Kontaktnetzwerk „abgetragen“ wird. Dabei übertragen manche Kontakte ein Vielfaches der Gewichtskraft eines einzelnen Körnchens, andere dagegen nur einen Bruchteil davon.

Normalerweise brechen die Kraftketten zwischen den Teilchen bei einer Änderung des Drucks innerhalb des Granulats, so dass sich die Kräfte relativ gleichmäßig verteilen können. Aber in manchen Fällen verfestigen sich die Kraftketten, so dass ein zusätzlicher Druck viel weiter- und tiefergehend als gewöhnlich ausgeübt wird. Auf diese Weise können sich lokal enorme Drücke auf die Wandung des Behälters aufbauen, die im Extremfall zum Bersten führen.

H. Joachim Schlichting, Uni Münster

Eine ausführlichere Version des Beitrags mit weiteren Abbildungen und Zitaten zu weiterführender Literatur ist in der jüngsten Ausgabe von Physik in unserer Zeit erschienen. Er steht bis zum 5. Juli 2013 zum freien Download bereit.

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