Polymere aus Ballbot-Carbenen
Erstmals langkettige bewegliche Polymere auf Metalloberflächen hergestellt.
N-Heterozyklische Carbene sind kleine, reaktive organische Ringmoleküle, die gut an Metalloberflächen binden und in den vergangenen Jahren in der Katalyseforschung und auf dem Gebiet der stabilen chemischen Modifizierung von metallischen Oberflächen auf starkes Interesse gestoßen sind. Eine an der Uni Münster vor einigen Jahren entdeckte Besonderheit ist die Fähigkeit bestimmter NHC-Derivate, sich nicht nur an einzelnen Metallatomen zu verankern, sondern auch ein einzelnes Atom aus der Oberfläche vollständig herauszulösen. Gebunden an diesem Ad-Atom gleiten die NHCs frei über die Oberfläche – ähnlich einem Ballbot, also einem Roboter, der auf einer Kugel über die Oberfläche gleitet. Mithilfe derartiger Ballbot-Moleküle gelang es Physikern und Chemikern der Uni Münster jetzt in Kooperation mit Forschern aus China erstmals, die halogenierten NHCs dazu zu veranlassen, langkettige bewegliche Polymere, also Molekülketten, auf Metalloberflächen herzustellen.
Die Beweglichkeit der ballbotartigen NHCs führt zu neuen Möglichkeiten, beispielsweise die selbstorganisierte Gruppierung zu hochgeordneten Domänen aus diesem Molekültyp bis hin zu kooperativem, schwarmartigen Verhalten der NHCs beim autarken Umbau bestimmter Metalloberflächen in eine andere hochgeordnete Struktur, ohne jegliche äußere Beeinflussung wie Licht oder Elektronen. „Über die Selbstorganisation hinaus sind diese Ballbot-Polymere äußerst vielversprechend im Hinblick auf neue Anwendungen in den Bereichen Nanoelektronik, Oberflächenfunktionalisierung und Katalyse“, betont Harald Fuchs vom Physikalischen Institut der Uni Münster.
NHCs können leicht an den Stickstoff-(N-)Gruppen des fünfzähligen heterozyklischen Molekülkörpers modifiziert werden. Damit gelingt es, sowohl die elektronische Wechselwirkung der Carbene mit den Atomen einer Metalloberfläche – beispielsweise Gold – zu beeinflussen, als auch die Orientierung der Carbene senkrecht oder parallel zu einer Oberfläche zu kontrollieren. Eine Besonderheit der verwendeten halogenierten NHCs ist ihre Fähigkeit zur spontanen Ad-Atom-Bildung auf Edelmetalloberflächen und die dadurch entstehende Mobilität. Diese ist eine Voraussetzung für das Zusammentreffen und die Reaktion mit anderen reaktiven Systemen auf der Oberfläche.
„Für den Erfolg der Experimente war die Balance zwischen chemischer Reaktivität der monomeren Struktureinheiten und ihrer Mobilität entscheidend“, fasst Jindong Ren vom National Center for Nanoscience and Technology in China zusammen. Einerseits können sich die Monomere durch die Ballbot-Eigenschaft leicht auf der Oberfläche bewegen, anderseits muss die Kontaktzeit der Reaktionspartner ausreichend lang sein, um die Reaktion zu veranlassen. Das gelingt vor allem durch die molekulare Struktur und die passende Einstellung der Temperatur während des Experiments.
Die Kontrolle der chemischen Reaktionen und der Nachweis der gewünschten Reaktionsprodukte im Bereich der Oberflächen-Präzisionschemie erfordert hochspezialisierte präparative und analytische Experimente, die es erlauben, molekulare Interaktionen auf Oberflächen und einzelne Reaktionsschritte auf submolekularer Skala zu beobachten. Dafür setzten die Forscher Methoden der Rastersondenmikroskopie sowie Photoelektronenspektroskopie ein, um die chemischen Bindungsverhältnisse aufzuklären und den Nachweis der Ballbot-Strukturen zu führen. Komplementär hierzu ergänzten sie die experimentellen Ergebnisse durch aufwändige Computersimulationen, basierend auf quantenmechanischen Ansätzen und reaktiven Kraftfeldern. Damit bestätigten sie die experimentellen Ergebnisse und quantifizierten die elektronischen und strukturellen Eigenschaften der Ballbot-Polymere.
WWU Münster / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
J. Ren et al.: On-surface synthesis of ballbot-type N-heterocyclic carbene polymers, Nat. Chem., online 28. August 2023; DOI: 10.1038/s41557-023-01310-1 - Nano and Interface Physics (H. Fuchs), Physikalisches Institut, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
- National Center for Nanoscience and Technology, Beijing, China