15.10.2019

Polynitrogen für lange Weltraumflüge

Neues, hochenergetisches Material bleibt unter normalen Raumbedingungen stabil.

Weltweit werden für die Langstrecken-Raumfahrt hoch­energetische Materialien gesucht, die sehr große Mengen chemischer Energie speichern und bei Bedarf freisetzen können. Stickstoff­verbindungen, in denen mehrere Stickstoffatome durch einfache Bindungen verkettet sind, besitzen diese Fähigkeit. Verbindungen dieser Art sind schwierig zu synthetisieren, da sie äußerst instabil sind. Wissenschaftler der Universität Bayreuth haben jetzt unter extrem hohen Drücken und Temperaturen ein neuartiges Polynitrogen entdeckt, das unter normalen Raum­bedingungen stabil bleibt.

Abb.: Dominique Laniel sucht in Bayreuth nach neuen hoch­energe­tischen...
Abb.: Dominique Laniel sucht in Bayreuth nach neuen hoch­energe­tischen Materialien, die extrem viel chemische Energie speichern können. (Bild: C. Wißler)

Das Bayreuther Team unter der Leitung von Dominique Laniel hat eine Mischung von Magnesium und Stickstoff in einer Diamant­stempelzelle eingelagert. Anschließend wurde die Mischung einer Temperatur von 2.000 Kelvin und einem Druck von fünfzig Gigapascal ausgesetzt. Dieser Druck entspricht dem 500.000-fachen Druck der Erdatmosphäre. Unter den extremen Druck- und Temperatur­verhältnissen bildeten sich sehr ungewöhnliche Kristalle aus Magnesium und Stickstoff, wie sich bei Experimenten an der Röntgenquelle Petra III des Deutschen Elektronen­synchrotrons Desy in Hamburg herausstellte.

Die Forscher entdeckten unter anderem Kristalle mit der Summenformel Mg₂N₄die sich aus Magnesium-Kationen (Mg²+) und Stickstoff-Anionen (N₄⁴-) zusammen­setzen. Bei diesen Stickstoff­molekülen handelt es sich um homogene Polynitrogene: Vier Stickstoffatome sind durch einfache Bindungen verkettet und bilden eine hufeisenförmige Struktur. Diese Poly­nitrogene sind niemals zuvor synthetisiert worden, weder durch Hochdruck­techniken noch durch konventionelle chemische Verfahren. „Wir waren überrascht, als wir feststellten, dass diese in die Kristall­strukturen eingelagerten Stickstoff-Anionen bei normalem Luftdruck und normalen Zimmer­temperaturen stabil bleiben. Das N₄⁴--Molekül ist erst das vierte bekannte Polynitrogen, und es ist bislang das einzige, das nur durch Hochdruck­verfahren hergestellt werden kann“, sagt Dominique Laniel.

Die Bayreuther Forscher sind zuversichtlich, dass ein Verfahren zur Synthese von Poly­nitrogenen entwickelt werden kann, die nur aus Stickstoff bestehen. Dann liegt ein hoch­energetisches Material vor, das für eine Vielzahl industrieller Anwendungen und vor allem auch als Energie­quelle für die Langzeit-Raumfahrt hochattraktiv ist. „Wer Treibstoff sucht, um zum Mars zu fliegen, sollte sich in Zukunft bei den Poly­nitrogenen umsehen“, sagt Natalia Dubrovinskaia vom Bayreuther Labor für Kristallo­graphie. Allerdings muss für diese Anwendungen noch eine entscheidende Hürde überwunden werden.

Bisher lassen sich die Magnesium-Stickstoff-Kristalle, in denen die hoch­energetischen Stickstoff-Anionen enthalten sind, nur in sehr geringen Mengen unter extremen Drücken und Temperaturen im Labor herstellen. Ein Verfahren zur Synthese im Industrie­maßstab gibt es bisher noch nicht. „Es ist aber durchaus möglich, dass sich die bei unseren Hochdruck­experimenten entstandenen stabilen Kristalle als Blaupause eignen, um sie eines Tages mit anderen, technisch weniger anspruchsvollen Verfahren nachzubauen. Die experi­mentelle Hochdruck-Forschung leistet insofern Pionierarbeit bei der Suche nach hochenergetischen Materialien“, meint Laniel. „Mit den jetzt veröffent­lichten Forschungs­ergebnissen steht die Tür weit offen, um mit den Verfahren der Hochdruck­forschung neue hochener­getische Materialien herzustellen, von denen wir heute noch nicht wissen, dass es sie überhaupt geben kann“, sagt Leonid Dubrovinsky.

U. Bayreuth / JOL

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