27.06.2007

Präzisionsmessung der Feinstrukturkonstante

Steven Chu beschreibt zusammen mit Kollegen, wie sich die Interferometrie mit Materiewellen zu einem Werkzeug für Präzisionsmessungen entwickelt hat.


Interferometrie mit Materiewellen hat sich in jüngerer Vergangenheit zu einem Werkzeug für Präzisionsmessungen unterschiedlicher Art entwickelt. Unsere Gruppe an der Stanford University arbeitet an einer Messung der Feinstrukturkonstante α. Wir nutzen dabei den Rückstoß, den ein Cäsiumatom erfährt, wenn es mit vielen Photonen gleichzeitig wechselwirkt. Durch diese Multiphotonenprozesse lässt sich das Signal um einen Faktor hundert gegenüber früheren Experimenten erhöhen.

Atome können als Welle mit einer Frequenz f=E/h beschrieben werden. Hierin bezeichnen E die Energie des Atoms und h das Plancksche Wirkungsquantum. Die Energie hängt zum einen davon ab, in welchem Zustand sich das Atom befindet. Zum anderen treten externe Einflüsse hinzu, wie die kinetische Energie E kin =p 2/2M auf Grund der Bewegung des Atoms mit der Masse M und dem Impuls p.

In einem Atominterferometer (Abb. 1) wird eine Materiewelle auf zwei Pfade aufgeteilt, anschließend über weitere Strahlteiler und Spiegel umgelenkt und abschließend von einem Strahlteiler überlagert. Dort entsteht ein Interferenzmuster.

Abb. 1: Mach-Zehnder- und Ramsey-Bordé-Geometrie. T ist die Zeitdauer zwischen den Laserpulsen, mit der sich die Phase der Atomwellen im Interferenzbereich steuern lässt. Gestrichelte Linien deuten Pfade an, die nicht interferieren. St: Strahlteiler, Sp: Spiegel.

Als Strahlteiler oder Spiegel setzt man häufig Laserlicht ein. Wird das Atom von einem Laserimpuls der Frequenz ν angeregt, so überträgt sich der Impuls hν/c des Photons auf das Atom, was sich mit einer kinetischen Energie E kin=(hν/c) 2/(2M)=f rh/2 zu bewegen beginnt. Hierin haben wir Rückstoßfrequenz f r=h(ν/c) 2/M eingeführt. Für einen Strahlteiler werden Intensität und Dauer des Lichtblitzes so gewählt, dass die Strahlteilung mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % stattfindet.

Um den Zerfall des angeregten Zustandes durch spontane Emission zu vermeiden, stimuliert man das Atom mit einem weiteren, gegenläufigen Laserstrahl zur Emission eines zweiten Photons und überführt es damit in einen langlebigen Nachbarn des Grundzustandes. Es bewegt sich nun mit dem doppelten Impuls und besitzt die vierfache kinetische Energie. Das bedeutet eine vierfache Erhöhung des Signals (Phase) im Interferometer.

In unserem Experiment bringen wir das Atom mit dem zweiten Laserstrahl wieder in den ursprünglichen Grundzustand, sodass der Prozess mehrfach ablaufen kann. Der Photonenimpuls wird so beispielsweise N-mal übertragen und die kinetische Energie auf E kin=N 2f rh/2 erhöht. N ist vor allem durch die Intensität der Laserstrahlen begrenzt. Mit Titan-Saphir-Hochleistungslasern erreichen wir = 20 und damit eine 400-fache Verbesserung gegenüber dem einfachsten Fall.

Abbildung 2 zeigt die ersten so gemessenen Interferenzen, die wir in einer Mach-Zehnder-Anordnung erhalten haben. Seit dieser Messung konnten wir die Zahl der verwendeten Atome etwa hundertfach erhöhen und damit das Rauschen verringern.

Abb. 2: Interferenzmuster mit 20 Photonenübergängen, gemessen durch Verstellen der Phase eines der Laserstrahlen. Die Periode von 36° rührt daher, dass die Atome zehnmal ein Photon mit diesem Strahl austauschen.

Wie wir später sehen werden, beruht die Messung der Feinstrukturkonstanten auf der Messung der kinetischen Energie. In jedem der beiden Pfade eines Mach-Zehnder-Interferometers aber bewegen sich die Atome für dieselbe Zeit T mit derselben kinetischen Energie. Deswegen ist die Phasendifferenz der Pfade nicht von dieser abhängig. Für die Messung der Feinstrukturkonstante verwenden wir daher das etwas kompliziertere Ramsey-Bordé-Interferometer (Abb. 1). In diesem bewegt sich nur der obere Pfad. Die Phase der Atome auf beiden Flugbahnen erhalten wir durch Summieren der Abschnitte zwischen den Strahlteilern. Der ,,untere” Pfad verbleibt bewegungslos und hat daher stets E kin=0. Der obere hat zwei Mal E kin= N 2f rh/2 für jeweils die Zeit T und daher die Phase Δφ=2π N 2f rT.

Wird nun beispielsweise T variiert, so kann aus Beobachtung der Maxima und Minima f r bestimmt werden, woraus sich h/M ergibt. Die Feinstrukturkonstante α erhalten wir aus

Hier sind ε 0 die Permittivität des Vakuums und m e die Elektronenmasse. Die Rydberg-Konstante R ist mit einer Genauigkeit von 7×10 –12, das Massenverhältnis M/m e ist für Cäsium zu 2,2×10 –9 bekannt. Weitere Verbesserungen sind zu erwarten. Potentiell können wir α auf 10 –9 oder besser bestimmen. Unsere Arbeitsgruppe konnte in einem früheren Experiment, das noch auf den klassischen Zwei-Photonen-Strahlteilern beruhte, α so auf 7×10 –9 bestimmen.

Die derzeit genaueste Bestimmung der Feinstrukturkonstante bis auf 0,7×10 –9 ihres Wertes beruht auf der Messung des gyromagnetischen Verhältnisses g des Elektrons. Im Rahmen der Quantenelektrodynamik (QED) lässt sich daraus α berechnen. Dies ist eine der komplexesten QED-Rechnungen und gleichzeitig eine ihrer genauesten Vorhersagen.

Ziel unseres Experimentes ist es, die Genauigkeit dieser Vorhersage zu erreichen oder sie zu übertreffen. Die experimentelle Überprüfung der Theorie wird neue Einblicke in grundlegende Zusammenhänge der Physik liefern. So würden gewisse Einflüsse virtueller Teilchen in der g-Rechnung erstmals zu Tage treten. Darüber hinaus kann die Multiphotonentechnik auch in anderen Anwendungen der Atominterferometrie Verbesserungen liefern, beispielsweise in der Navigation, der Messung der Schwerkraft und bei Tests der Relativitätstheorie.

Holger Müller, Sheng-wey Chiow, Quan Long, Sven Herrmann, Steven Chu / Stanford University, Kalifornien

Quelle: Physik in unserer Zeit, 4/2007

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