30.12.2014

Präzisionsmessungen, Quantentricks und exotische Zustände

Jahresrückblick 2014 – High­lights aus der Atom-, Quanten- und Fest­körper­physik.

Warum enthält das Universum kaum Antimaterie? Auf der Suche nach subtilen Unterschieden zwischen normaler Materie und Antimaterie, die dies erklären könnten, führen Atomphysiker Präzisions­messungen durch. 2014 hat das Alpha-Experiment am CERN nachgewiesen, dass das Antiwasser­stoffatom genauso elektrisch ungeladen ist wie das Wasser­stoff­atom. Dazu wurden durch Paar­erzeugung entstandene Antiprotonen abgebremst und mit Positronen zusammen­gebracht. Die daraus hervorgehenden Antiatome waren jedoch noch nicht kühl genug, als dass man ihre Anregungs­energien so genau hätte messen können wie die von ultra­kalten Wasserstoff­atomen. Eine bessere Kühlung könnte 2015 den Durchbruch bringen.

Abb.: Die gemessene elektrische Ladung des Anti­wasser­stoff­atoms für unterschiedliche Datensätze, ausgewählt aus insgesamt 539 beobachteten Ereignissen. Der Datensatz mit den 386 genauesten Beobachtungen ist blau markiert. (Bild: C. Amole et al. / NPG)

Forscher der Universitäten Mainz und Heidelberg wollen hingegen heraus­finden, ob das Proton und das Antiproton unter­schiedliche magnetische Momente haben. Dazu hatten sie in Mainz das Moment des Protons mit bisher unerreichter Genauig­keit gemessen. Nun soll mit einem identischen Experiment, das am CERN aufgebaut wird, das magnetische Moment des Anti­protons bestimmt werden.

Ob sich die Naturkonstanten im Laufe von Jahrmillionen ändern, lässt sich ebenfalls durch Präzisions­messungen klären. An der Physikalisch-Technischen Bundes­anstalt in Braun­schweig haben Forscher über mehrere Jahre der Gang zweier Atomuhren – einer Cäsium­uhr und einer Ytterbium­uhr – verglichen. Während in die Frequenz der optischen Ytterbium­uhr die Elektronen­masse eingeht, hängt die Frequenz der Cäsium­uhr von der Protonen­masse ab. Aus der perfekten Überein­stimmung der beiden Uhren schließen die Forscher, dass sich das Verhältnis von Elektronen- und Protonen­masse in fünf Milliarden Jahren höchstens um ein Millionstel geändert hat.

Einen weltumspannenden Zeitstandard von „überirdischer“ Genauigkeit könnte man mit quanten­mechanisch gekoppelten Atomuhren erreichen, die einzeln in Satelliten die Erde umkreisen. Das haben Forscher vom NIST in Boulder und vom Niels Bohr Institut in Kopenhagen vorgeschlagen. Die Taktgeber der Atomuhren wären einzelne Ionen, die über tausende Kilometer hinweg miteinander quanten­mechanisch verschränkt sind. Die Gang­genauig­keit der Atomuhren ließe sich durch diesen Verbund um das Hundertfache verbessern.

Quantencomputing

Einen rudimentären Quantencomputer aus sieben Kalzium­ionen, der einfache Berechnungen durchführen kann, haben Forscher der Universität Innsbruck ans Laufen gebracht. In ihm wurde ein Quantenbit auf mehreren quanten­mechanisch verschränkten Ionen gespeichert. Dadurch gelang es, die durch Dekohärenz verursachten Fehler zu korrigieren, wodurch längere und kompli­ziertere Rechnungen möglich werden.

Abb.: Das Modell aus sieben Atomen zur Speicherung eines logischen Quantenbits kann als Grundbaustein für sehr viel größere Quanten­systeme dienen. Je größer das Gitter ist, umso robuster wird es. (Bild: IQOQI, H. Ritsch)

Quantenbits kann man auch mit supraleitenden Schaltkreisen, sogenannten Josephson-Quanten­prozessoren, speichern und verarbeiten. Doch auch hier macht die Dekohärenz den Forschern zu schaffen, weshalb sie nach Wegen für eine Fehlerkorrektur suchen. An der UC Santa Barbara hat man eine wichtige Hürde auf dem Weg zum fehler­toleranten Quanten­computing genommen. Indem man fünf Qubits quanten­mechanisch verschränkt hat, wurde für die Speicherung der Quanten­information eine Güte erreicht, wie sie bisher nur mit isolierten Ionen in Fallen möglich war.

Defekte in Diamanten könnte man ebenfalls für ein fehlertolerantes Quanten­computing nutzen, wie Forscher der Universität Stuttgart berichtet haben. Sie speicherten drei Qubits mit Hilfe der Kernspins zweier Kohlenstoff-13-Atome und eines Stickstoff­atoms, die im Diamanten eingebaut waren. Über den Spin eines vom Stickstoff­atom eingefangen Elektrons ließen sich die Qubits steuern und verarbeiten, wobei eine Fehler­korrektur möglich war. Für diesen Quanten­prozessor spricht, dass er ohne aufwändige Tief­temperatur­technik oder Laser­systeme auskommt.

Quantentricks

Das vergangene Jahr hat eine Reihe spektakulärer Experimente mit Atomen gebracht, die die verblüf­fenden Möglichkeiten der Quanten­physik ausreizen. Für großes Aufsehen sorgte die Erzeugung eines magnetischen Monopols mit Hilfe des Quanten­zustands einer ultrakalten Wolke von Rubidium­atomen. Am Amherst College in Massa­chusetts wurde ein ferro­magneti­sches Bose-Einstein-Kondensat erzeugt und in eine komplizierte Bewegung versetzt. Dadurch bildete sich im Kondensat eine von Atomen freie Linie, die der Knotenlinie eines Dirac-Monopols entspricht. Zudem hatte die quanten­mechanische Phase des Kondensats dieselbe Ortab­hängigkeit wie die eines Monopols.

Abb.: Die ungewöhnliche Geschwindig­keits­verteilung im Bose-Einstein-Kondensat verursacht ein radiales (fiktives) Magnetfeld, wie es auch einen magnetischen Monopol umgibt. Zugleich tritt ein Dirac-String (Schlangen­linie) auf, an dem die Geschwin­digkeit singulär wird, die Dichte des Kondensats jedoch verschwindet. (Quelle: M. W. Ray et al. / NPG)

Wie die Cheshire-Katze aus „Alice im Wunderland“, die bei ihrem Verschwinden ihr Grinsen zurücklässt, können sich offenbar auch Neutronen von einer ihrer Eigenschaften – dem Spin – trennen. Am Institut Laue-Langevin in Grenoble wurde ein Experiment durchgeführt, bei dem Neutronen in einem Interferometer auf zwei verschiedenen Wegen zum Ziel gelangen konnten. Ausge­klügelte Messungen zeigten, dass Neutronen einer bestimmten Spinrichtung den einen Weg einschlugen, während ihr Spin den anderen Weg wählte. Diese Trennung der Neutronen von ihrem Spin könnte man bei Präzisions­messungen nutzen.

Forscher der Universität Wien haben einen Gegenstand mit Hilfe von roten Photonen sichtbar gemacht, die nie in seiner Nähe waren. Hingegen wurden infrarote Photonen, die den Gegenstand beleuchtet hatten, ignoriert und verworfen. Dieses neuartige Abbildungs­verfahren beruht darauf, dass die in den verworfenen IR-Photonen enthaltene Bild­infor­mation durch quanten­mechanische Verschränkung auf die roten Photonen übertragen wurde. So kann optische Information in einer Licht­wellen­länge gewonnen, aber in einer anderen sichtbar gemacht werden.

Moleküle und Festkörper

Atome lassen sich in magnetooptischen Fallen mit Laserlicht festhalten und auf sehr tiefe Temperaturen kühlen. Was bisher nur mit Atomen möglich war, gelang Forschern der Universität Yale erstmals mit Molekülen. In einer magneto­optischen Falle kühlten sie zweiatomige Strontiumfluorid-Moleküle auf wenige Millikelvin. Die Yale-Forscher wollen an ultrakalten Molekülen Präzisions­messungen zum Nachweis eines möglichen elektrischen Dipol­moments des Elektrons durchführen. Außerdem bilden Moleküle mit starkem elek­trischem Dipol­moment bei ultra­tiefen Temperaturen Kondensate mit neuartigen Eigen­schaften.

Abb.: Mit einem Rastertunnelmikroskop konnten die Forscher die Majorana-Zustände an den Enden der Eisen-Nanodrähte nach­weisen. In Vergrößerung ist die Wahrschein­lichkeit zu sehen, ein Majorana-Fermion zu finden. (Bild: Yazdani Lab, Princeton U.)

In einem „topologischen“ Supraleiter wurden erstmals Anregungs­zustände beobachtet, die sich wie Majorana-Fermionen verhielten. Nach diesen hypothetischen Partikeln, die ihre eigenen Antiteilchen sind, wird in der Hoch­energie­physik intensiv gesucht. Nun haben Fest­körper­physiker in Princeton elektrisch neutrale Quasiteilchen an den Enden eines supraleitenden Eisen­nano­drahts nachgewiesen, auf die die Beschreibung der Majorana-Fermionen zutrifft. Die beiden Quasiteilchen an den Drahtenden waren in einem besonders robusten quantenmechanischen Verschränkungszustand, der sich für das Quantencomputing eigenen könnte.

Auf die Dichte von Blei wurde Diamant mit Hilfe von extrem intensiven Laser­strahlen der National Ignition Facility am Lawrence Livermore Lab komprimiert. Dabei traten Rekord­drücke von fünf Terapascal auf, wie sie etwa im Kern des Planeten Saturn herrschen. Damit gewinnen die Forscher Einblicke in neuartiges Verhalten der Materie unter extremem Druck sowie in den Aufbau der Riesen­planeten.

Abb.: Im Target-Raum der NIF trifft extrem intensive Laserstrahlung aus den beiden horizontalen Spitzen auf ein dazwischen gehaltenes Target. (Bild: M. Swisher, LLNL)

Thermoelektrische Materialien sind von großem technischem Interesse, da man mit ihnen Wärme­energie direkt in elektrische Energie umwandeln kann. Für eine Überraschung sorgte die von Forschern der North­western University in Evanston gemachte Entdeckung, dass einkristal­lines Zinn­selenid eine unerreicht hohe thermo­elektrische Güte aufweist. Das vergleichsweise einfach aufgebaute Material übertrifft den bisherigen Rekordhalter – ein nano­struktu­riertes Material aus vier verschiedenen Elementen – deutlich. Das zeigt, dass die Möglich­keiten der Thermo­elektrik noch längst nicht ausgeschöpft sind.

Rainer Scharf

OD

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