Präzisionsmessungen, Quantentricks und exotische Zustände
Jahresrückblick 2014 – Highlights aus der Atom-, Quanten- und Festkörperphysik.
Warum enthält das Universum kaum Antimaterie? Auf der Suche nach subtilen Unterschieden zwischen normaler Materie und Antimaterie, die dies erklären könnten, führen Atomphysiker Präzisionsmessungen durch. 2014 hat das Alpha-Experiment am CERN nachgewiesen, dass das Antiwasserstoffatom genauso elektrisch ungeladen ist wie das Wasserstoffatom. Dazu wurden durch Paarerzeugung entstandene Antiprotonen abgebremst und mit Positronen zusammengebracht. Die daraus hervorgehenden Antiatome waren jedoch noch nicht kühl genug, als dass man ihre Anregungsenergien so genau hätte messen können wie die von ultrakalten Wasserstoffatomen. Eine bessere Kühlung könnte 2015 den Durchbruch bringen.
Abb.: Die gemessene elektrische Ladung des Antiwasserstoffatoms für unterschiedliche Datensätze, ausgewählt aus insgesamt 539 beobachteten Ereignissen. Der Datensatz mit den 386 genauesten Beobachtungen ist blau markiert. (Bild: C. Amole et al. / NPG)
Forscher der Universitäten Mainz und Heidelberg wollen hingegen herausfinden, ob das Proton und das Antiproton unterschiedliche magnetische Momente haben. Dazu hatten sie in Mainz das Moment des Protons mit bisher unerreichter Genauigkeit gemessen. Nun soll mit einem identischen Experiment, das am CERN aufgebaut wird, das magnetische Moment des Antiprotons bestimmt werden.
Ob sich die Naturkonstanten im Laufe von Jahrmillionen ändern, lässt sich ebenfalls durch Präzisionsmessungen klären. An der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig haben Forscher über mehrere Jahre der Gang zweier Atomuhren – einer Cäsiumuhr und einer Ytterbiumuhr – verglichen. Während in die Frequenz der optischen Ytterbiumuhr die Elektronenmasse eingeht, hängt die Frequenz der Cäsiumuhr von der Protonenmasse ab. Aus der perfekten Übereinstimmung der beiden Uhren schließen die Forscher, dass sich das Verhältnis von Elektronen- und Protonenmasse in fünf Milliarden Jahren höchstens um ein Millionstel geändert hat.
Einen weltumspannenden Zeitstandard von „überirdischer“ Genauigkeit könnte man mit quantenmechanisch gekoppelten Atomuhren erreichen, die einzeln in Satelliten die Erde umkreisen. Das haben Forscher vom NIST in Boulder und vom Niels Bohr Institut in Kopenhagen vorgeschlagen. Die Taktgeber der Atomuhren wären einzelne Ionen, die über tausende Kilometer hinweg miteinander quantenmechanisch verschränkt sind. Die Ganggenauigkeit der Atomuhren ließe sich durch diesen Verbund um das Hundertfache verbessern.
Quantencomputing
Einen rudimentären Quantencomputer aus sieben Kalziumionen, der einfache Berechnungen durchführen kann, haben Forscher der Universität Innsbruck ans Laufen gebracht. In ihm wurde ein Quantenbit auf mehreren quantenmechanisch verschränkten Ionen gespeichert. Dadurch gelang es, die durch Dekohärenz verursachten Fehler zu korrigieren, wodurch längere und kompliziertere Rechnungen möglich werden.
Abb.: Das Modell aus sieben Atomen zur Speicherung eines logischen Quantenbits kann als Grundbaustein für sehr viel größere Quantensysteme dienen. Je größer das Gitter ist, umso robuster wird es. (Bild: IQOQI, H. Ritsch)
Quantenbits kann man auch mit supraleitenden Schaltkreisen, sogenannten Josephson-Quantenprozessoren, speichern und verarbeiten. Doch auch hier macht die Dekohärenz den Forschern zu schaffen, weshalb sie nach Wegen für eine Fehlerkorrektur suchen. An der UC Santa Barbara hat man eine wichtige Hürde auf dem Weg zum fehlertoleranten Quantencomputing genommen. Indem man fünf Qubits quantenmechanisch verschränkt hat, wurde für die Speicherung der Quanteninformation eine Güte erreicht, wie sie bisher nur mit isolierten Ionen in Fallen möglich war.
Defekte in Diamanten könnte man ebenfalls für ein fehlertolerantes Quantencomputing nutzen, wie Forscher der Universität Stuttgart berichtet haben. Sie speicherten drei Qubits mit Hilfe der Kernspins zweier Kohlenstoff-13-Atome und eines Stickstoffatoms, die im Diamanten eingebaut waren. Über den Spin eines vom Stickstoffatom eingefangen Elektrons ließen sich die Qubits steuern und verarbeiten, wobei eine Fehlerkorrektur möglich war. Für diesen Quantenprozessor spricht, dass er ohne aufwändige Tieftemperaturtechnik oder Lasersysteme auskommt.
Quantentricks
Das vergangene Jahr hat eine Reihe spektakulärer Experimente mit Atomen gebracht, die die verblüffenden Möglichkeiten der Quantenphysik ausreizen. Für großes Aufsehen sorgte die Erzeugung eines magnetischen Monopols mit Hilfe des Quantenzustands einer ultrakalten Wolke von Rubidiumatomen. Am Amherst College in Massachusetts wurde ein ferromagnetisches Bose-Einstein-Kondensat erzeugt und in eine komplizierte Bewegung versetzt. Dadurch bildete sich im Kondensat eine von Atomen freie Linie, die der Knotenlinie eines Dirac-Monopols entspricht. Zudem hatte die quantenmechanische Phase des Kondensats dieselbe Ortabhängigkeit wie die eines Monopols.
Abb.: Die ungewöhnliche Geschwindigkeitsverteilung im Bose-Einstein-Kondensat verursacht ein radiales (fiktives) Magnetfeld, wie es auch einen magnetischen Monopol umgibt. Zugleich tritt ein Dirac-String (Schlangenlinie) auf, an dem die Geschwindigkeit singulär wird, die Dichte des Kondensats jedoch verschwindet. (Quelle: M. W. Ray et al. / NPG)
Wie die Cheshire-Katze aus „Alice im Wunderland“, die bei ihrem Verschwinden ihr Grinsen zurücklässt, können sich offenbar auch Neutronen von einer ihrer Eigenschaften – dem Spin – trennen. Am Institut Laue-Langevin in Grenoble wurde ein Experiment durchgeführt, bei dem Neutronen in einem Interferometer auf zwei verschiedenen Wegen zum Ziel gelangen konnten. Ausgeklügelte Messungen zeigten, dass Neutronen einer bestimmten Spinrichtung den einen Weg einschlugen, während ihr Spin den anderen Weg wählte. Diese Trennung der Neutronen von ihrem Spin könnte man bei Präzisionsmessungen nutzen.
Forscher der Universität Wien haben einen Gegenstand mit Hilfe von roten Photonen sichtbar gemacht, die nie in seiner Nähe waren. Hingegen wurden infrarote Photonen, die den Gegenstand beleuchtet hatten, ignoriert und verworfen. Dieses neuartige Abbildungsverfahren beruht darauf, dass die in den verworfenen IR-Photonen enthaltene Bildinformation durch quantenmechanische Verschränkung auf die roten Photonen übertragen wurde. So kann optische Information in einer Lichtwellenlänge gewonnen, aber in einer anderen sichtbar gemacht werden.
Moleküle und Festkörper
Atome lassen sich in magnetooptischen Fallen mit Laserlicht festhalten und auf sehr tiefe Temperaturen kühlen. Was bisher nur mit Atomen möglich war, gelang Forschern der Universität Yale erstmals mit Molekülen. In einer magnetooptischen Falle kühlten sie zweiatomige Strontiumfluorid-Moleküle auf wenige Millikelvin. Die Yale-Forscher wollen an ultrakalten Molekülen Präzisionsmessungen zum Nachweis eines möglichen elektrischen Dipolmoments des Elektrons durchführen. Außerdem bilden Moleküle mit starkem elektrischem Dipolmoment bei ultratiefen Temperaturen Kondensate mit neuartigen Eigenschaften.
Abb.: Mit einem Rastertunnelmikroskop konnten die Forscher die Majorana-Zustände an den Enden der Eisen-Nanodrähte nachweisen. In Vergrößerung ist die Wahrscheinlichkeit zu sehen, ein Majorana-Fermion zu finden. (Bild: Yazdani Lab, Princeton U.)
In einem „topologischen“ Supraleiter wurden erstmals Anregungszustände beobachtet, die sich wie Majorana-Fermionen verhielten. Nach diesen hypothetischen Partikeln, die ihre eigenen Antiteilchen sind, wird in der Hochenergiephysik intensiv gesucht. Nun haben Festkörperphysiker in Princeton elektrisch neutrale Quasiteilchen an den Enden eines supraleitenden Eisennanodrahts nachgewiesen, auf die die Beschreibung der Majorana-Fermionen zutrifft. Die beiden Quasiteilchen an den Drahtenden waren in einem besonders robusten quantenmechanischen Verschränkungszustand, der sich für das Quantencomputing eigenen könnte.
Auf die Dichte von Blei wurde Diamant mit Hilfe von extrem intensiven Laserstrahlen der National Ignition Facility am Lawrence Livermore Lab komprimiert. Dabei traten Rekorddrücke von fünf Terapascal auf, wie sie etwa im Kern des Planeten Saturn herrschen. Damit gewinnen die Forscher Einblicke in neuartiges Verhalten der Materie unter extremem Druck sowie in den Aufbau der Riesenplaneten.
Abb.: Im Target-Raum der NIF trifft extrem intensive Laserstrahlung aus den beiden horizontalen Spitzen auf ein dazwischen gehaltenes Target. (Bild: M. Swisher, LLNL)
Thermoelektrische Materialien sind von großem technischem Interesse, da man mit ihnen Wärmeenergie direkt in elektrische Energie umwandeln kann. Für eine Überraschung sorgte die von Forschern der Northwestern University in Evanston gemachte Entdeckung, dass einkristallines Zinnselenid eine unerreicht hohe thermoelektrische Güte aufweist. Das vergleichsweise einfach aufgebaute Material übertrifft den bisherigen Rekordhalter – ein nanostrukturiertes Material aus vier verschiedenen Elementen – deutlich. Das zeigt, dass die Möglichkeiten der Thermoelektrik noch längst nicht ausgeschöpft sind.
Rainer Scharf
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