21.04.2015

Präzisionswaage für die Milchstraße

Sternströme ermöglichen Massenbestimmung der Galaxis auf zwanzig Prozent genau.

Die meisten Menschen kennen ihr Körpergewicht bis aufs Kilo und selbst das Gewicht des Kölner Doms kann man auf wenige Prozent genau bestimmen. Wenn es jedoch um die Masse der Milchstraße geht, versagten bisher alle Messmethoden. Abschätzungen schwankten um vierhundert Prozent. Jetzt haben Astronomen eine Methode entwickelt, die einer Präzisionswaage für unsere Galaxie gleicht. Die Milchstraße besteht aus geschätzten hundert Milliarden Sternen, die sich zum größten Teil in der galaktischen Sternenscheibe befinden. Da wir uns mitten in dieser Scheibe befinden, sehen wir die Galaxis als Band am Himmel. Diese einzigartige Perspektive erlaubt es Wissenschaftlern, sie von Innen zu erforschen. Doch die fehlende Vogelperspektive macht es andererseits schwer, die Größe der Galaxie zu erfassen oder gar ihr Gewicht zu bestimmen.

Abb.: Diese Karte des nördlichen Sternenhimmels besteht aus Daten des Sloan Digital Sky Surveys. Palomar 5 ist der hellste der bisher entdeckten Ströme und diente nun als Waage für die Milchstraße.(Bild: A. Bonaca, Yale U. / Daten: SDSS)

Ein internationales Team von Wissenschaftlern unter Federführung von Andreas Küpper von der Columbia University in New York (USA) entwickelte nun eine Methode, mit der die Milchstraße mit einer unerreichten Präzision vermessen werden kann. In einer Studie machten sich die Forscher Sternströme von Kugelsternhaufen zunutze, um die Milchstraße zu wiegen und die Position der Erde innerhalb der Galaxie neu zu bestimmen.

„Kugelsternhaufen sind Gruppen von Tausenden bis zu Millionen von Sternen, die gemeinsam entstanden sind, als das Universum noch sehr jung war. Sie umkreisen unsere Galaxie seit vielen Milliarden Jahren und lösen sich langsam auf. Dabei hinterlassen sie eine Spur am Himmel“, erklärt Küpper. Diese Sternströme seien relativ leicht am Sternenhimmel zu erkennen, weil sie eine höhere Dichte als ihre Umgebung haben und ähnlich wie ein Kondensstreifen am Wolkenhimmel deutlich herausstechen.

Die Wissenschaftler verwendeten Daten des Sloan Digital Sky Surveys, der zehn Jahre lang den Nordhimmel kartographiert hat. „Ähnlich wie vor zweihundert Jahren Friedrich Wilhelm Argelander die Astronomie mit seiner ‚Bonner Durchmusterung’ revolutioniert hat, eröffnen uns moderne Surveys völlig neue Möglichkeiten, unser Universum zu verstehen“, kommentiert Pavel Kroupa, Professor am Helmholtz-Institut für Strahlen- und Kernphysik der Universität Bonn. Der Palomar-5-Sternstrom, den die Forscher verwendeten, um die Präzision ihrer Methode unter Beweis zu stellen, wurde bereits vor zehn Jahren zu Beginn des Surveys entdeckt. Mit den neuesten Daten des Surveys konnten die Forscher regelmäßige Dichteschwankungen entlang des Stroms entdecken. Diese hatte Küpper 2010 mithilfe von numerischen Simulationen vorhergesagt.

Küpper erzeugte mehrere Millionen Modelle des Palomar-5-Stroms mithilfe eines Supercomputers. Die unterschiedlichen Modelle verglichen die Forscher mit den Beobachtungen am Himmel und stellten fest, dass nur in einem sehr realistischen Modell der Milchstraße das computergenerierte Dichtemuster dem beobachteten Muster ähnlich sah. Um jedoch aus den Millionen von Modellen die wahrscheinlichsten herauszufiltern, mussten sie auf statistische Methoden zurückgreifen, die auch in der Genetik Anwendung finden und von Suchmaschinen wie Google dazu verwendet werden, um Suchergebnisse zu sortieren.

Mit ihrer neuen Waage erreichten die Forscher eine Präzision von bisher unerreichten zwanzig Prozent und bestimmten damit das Gewicht der Milchstraße in Sternen und Gas innerhalb eines Radius von 60.000 Lichtjahren. Mit 210 Milliarden Sonnenamassen attestieren die Wissenschaftler der Milchstraße ein „gesundes Gewicht“. Sie sei weder übermäßig schwer noch besorgniserregend leicht, resümiert Kroupa. Ein abweichendes Gewicht stünde im Widerspruch zu anderen unabhängigen Messungen. Jedoch werde sich in Zukunft zeigen, wenn weitere Sternenströme vermessen werden und somit erst ein Gesamtbild der Milchstraße entsteht, einschließlich der dunklen Materie.

RWU / OD

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